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Dienstag, 01.02.2005

Weißrussland: Musikquote macht Radio zu schaffen

Von Karsten Packeiser, Moskau. In Weißrussland wissen Radiomoderatoren nicht mehr, welche Musik sie ihren Hörern noch spielen sollen. Seit dem 1. Januar müssen alle Rundfunksender des Landes zu mindestens 75 Prozent Musik auflegen, die in Weißrussland produziert wurde. Erschwert wird die von dem autoritären Staatschef Alexander Lukaschenko initiierte Quotenregelung dadurch, dass gegen alle namhaften Rockbands des Landes ein Aufführverbot verhängt wurde.

„Abends, wenn unser Volk im Auto sitzt und das Radio anmacht, soll das Produkt unserer Leute zu hören sein. Die (russische Pop-Sängerin Alla) Pugatschowa hören wir doch aus jedem Bügeleisen (*)“, hatte sich Lukaschenko im vergangenen Herbst ereifert. „Ich sage nicht, dass es sie überhaupt nicht mehr geben darf, aber 25 Prozent sind völlig ausreichend.“ In Weißrussland, von westlichen Zeitungen, gewöhnlich als „letzte Diktatur Europas“ bezeichnet, gelten derartige Aussprüche des Staatschefs als Anweisung zum Handeln.

Weißrussische Sender betreiben Ahnenforschung

Bereits seit Sommer 2003 galt in der GUS-Republik eine Quote von 50 Prozent für weißrussische Musik. Die Umsetzung der Regelung wurde von Beamten des Informationsministeriums kontrolliert, und bereits vor dem Jahreswechsel konnten die weißrussischen Radiomacher ihre Programme nur mit einem Griff in die Trickkiste füllen: In den Playlisten, die den Behörden vorgelegt werden mussten, gaben sie auch russische Interpreten als einheimische an, wenn es irgendwelche biografischen Verbindungen der Künstler nach Weißrussland gab. Auch die allermeisten weißrussischen Musiker singen auf Russisch – nicht zuletzt, weil der Gebrauch der weißrussischen Sprache in dem 10-Millionen-Einwohner-Staat lange Zeit nicht gefördert wurde.

Die von Lukaschenko jetzt verschärften Vorschriften übersteigen aber offensichtlich das Improvisationsvermögen der Sender. Bereits drei Sender, „Hit-FM“, „Nowoje Radio“ und „Junistar“, wurden im Januar offiziell vom Informationsministerium verwarnt, weil sie die Dreiviertel-Quote nicht umsetzten. Wiederholungstätern droht der Verlust der Sendelizenz.

Wie das Sowjet-Radio in den 70-ern

Das Hauptproblem der weißrussischen Radiosender ist, dass es bislang so gut wie keine qualitativ hochwertige weißrussische Musik gibt. Die Moskauer Zeitung „Gaseta“ zitierte einen Minsker Radiochefredakteur mit den Worten, etlichen Stationen drohe der Bankrott. Denn es gebe etwa in der Hauptstadt Minsk weder die Zuhörer, noch Werbegeber für zehn Radiosender mit einem identischen Repertoir. In einem anderen Moskauer Zeitungsbericht klagte die Minsker Korrespondentin, das weißrussische Radioprogramm klinge seit dem Jahreswechsel „wie das sowjetische Radio während der Siebziger Jahre“.

Wie zu Zeiten der Sowjetunion gibt es in Weißrussland nämlich heute wieder ein inoffizielles Auftrittsverbot für die populärsten Rockgruppen des Landes. Die führenden weißrussischen Rocker hatten es gewagt, zum 10. Jahrestag der Machtübernahme Lukaschenkos auf einer Oppositionskundgebung aufzutreten, die unter dem Motto „Er muss gehen!“ stand. Seither werden sie von Fernsehen und Radio nicht mehr gesendet werden.

Bei www.aktuell.RU:
• Kinderreisen: Hat Lukaschenko nachgegeben? (3.1.2005)
• Lukaschenko hat das dickste Ei (19.03.2004)
• Nur Lukaschenko kann im Nebel landen (14.10.2003)
In allen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, sogar im Baltikum, ist russische Pop- und Rockmusik bis heute oft erheblich populärer als die in der jeweiligen Staatssprache. In der Ukraine war erst im vergangenen Jahr ein Gesetz in Kraft getreten, dass Ukrainisch zur einizigen erlaubten Sprache in Radio- und Fernsehsendungen machte. Gegen das Gesetz hatte es erheblichen Widerstand gegeben, da mindestens so viele Ukrainer Russisch als ihre Muttersprache bezeichnen, wie Ukrainisch. In Russland endeten Debatten über eine Quote zum Schutz der einheimischen Musik- und Filmbranche gegenüber anglo-amerikanischen Produktionen bislang ergebnislos.

(epd/kp)

(*) Lukaschenko spielt damit wahrscheinlich auf einen Witz aus der Sowjetzeit an: Fragt der Richter den Angeklagten: „Warum haben Sie den Passanten mit dem Bügeleisen erschlagen?“ „Ach, ich kam abends nach Hause und habe das Fernsehen eingeschaltet, da hielt Genosse Breschnew eine Rede. Dann habe ich das Radio angeschaltet, da sprach wieder Genosse Breschnew. Da wollte ich dann das Bügeleisen gar nicht erst anschalten und habe es gleich aus dem Fenster geworfen.“


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