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Russische Neuheiden (Foto: Woronin/.rufo)
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Donnerstag, 06.11.2003

Falsche Propheten auf dem Vormarsch

Von Karsten Packeiser, Moskau. Alexander Dworkins bescheiden eingerichtetes Büro liegt im Hinterhof des Patriarchen-Verlagshauses. Russische und englische Schriften der Scientology-Organisation liegen neben Hetzbroschüren nationalsozialistischer russischer Neuheiden. Das Wort „Cultbusters“ („Sektenjager“) wandert als Bildschirmschoner über den Monitor des grauhaarigen Professors. Dworkin, Russlands bekanntester und zugleich umstrittenster Sektenexperte, schlagt Alarm: Totalitäre Sekten sind seinen Angaben zufolge in Russland weiter auf dem Vormarsch.

Genau Zahlen gebe es nicht, nach Schätzungen gehörten 600.000 bis 800.000 Russen einer Sekte an, sagt Dworkin. Teilnehmer einer von orthodoxen Kirchenkreisen in Moskau organisierten Konferenz kamen Ende Oktober gar zu dem Schluss, die Millionengrenze sei bereits überschritten. Laut Dworkin expandieren von den Organisationen, die sein Zentrum kritisch beäugt, vor allem die Zeugen Jehovas, die Mormonen und die von der orthodoxen Kirche ebenfalls zu den Sekten gezählte charismatische Neupfingstler-Bewegung.

Kritiker werfen den orthodoxen Sektenjägern vor, in Wahrheit gehe es der Kirche gar nicht so sehr darum, vor gefährlichen Kulten zu warnen, sondern sich unliebsame Konkurrenten vom Hals zu schaffen. Anatolij Ptschelinzew, dessen Anwalts-Zentrum vor allem religiöse Minderheiten vertritt, ist sich sicher, dass dem Kampf der orthodoxen Kirche gegen Sekten auch völlig harmlose Organisationen zum Opfer fallen. „Es gab Versuche, die Heilsarmee zu verbieten, weil es sich um eine militaristische Organisation handele“, resümiert er. „Genauso gut könnte man den Weihnachtsmann verbieten. Der trägt auch Uniform.“

Sergej Torop alias Wissarion hält sich für den neuen Christus (Foto: Junissowa/.rufo)
Sergej Torop alias Wissarion hält sich für den neuen Christus (Foto: Junissowa/.rufo)
Laut Dworkin konzentrieren sich die Sekten auch in Russland inzwischen erfolgreich auf politische Lobby-Arbeit und wissen nicht nur Spitzenbeamte, sondern auch einen Teil der Bürgerrechtler-Szene auf ihrer Seite. Die Moskauer Helsinki-Gruppe, gewissermaßen der russische Dissidenten-Olymp, arbeitet orthodoxen Angaben zufolge eng mit Scientology zusammen. Herzliche Kontakte zwischen umstrittenen religiosen Führern und der russischen Elite haben inzwischen Tradition. Bereits Michail Gorbatschow empfing als sowjetischer Staats- und Parteichef den Chef der „Vereinigungskirche“, San Myung Mun, offiziell im Kreml. Mitte der 90er Jahre knüpften Vertraute von Boris Jelzin enge Bande zu dem japanischen Sektenführer Shoku Asahara. Erst als dessen Aum-Sekte einen Giftgas-Anschlag auf die Metro von Tokio unternahm, gingen die russischen Behörden aktiv gegen die Organisation vor, die sich in Russland bis zu diesem Zeitpunkt unbehelligt ausbreitete.

Waren zum Ende der Sowjetzeit fast ausschließlich ausländische Pseudokulte auf Seelenfang in Russland, gibt es inzwischen immer mehr russische religiöse Heilslehren, die ihrerseits zum Teil bereits im Westen aktiv sind. Die „Kirche des letzten Testaments“ um den Russen Sergej Torop etwa, der sich selbst Wissarion nennt, wirbt nach Erkenntnissen Dworkins unter Russlanddeutschen und anderen russischsprachigen Emigranten in der Bundesrepublik aktiv um neue Anhänger. Seit Mitte der 90er Jahre lasst der Taiga-Guru von seinen Jüngern in Südsibirien eine Öko-Kommune errichten.

Orthodoxe gegen Hare-Krischna-Tempel in Moskau (22.10.2003)
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Wir können diesen Ansturm stoppen (26.4.2002)
• Heilsarmee siegt vor Russlands Verfassungsgericht (8.3.2002)
• Russische Aum-Anhänger planten Terrorserie (6.12.2001)
• Orthodoxes Netz - Die russische Kirche im Internet (28.7.2003)
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Von den Nachfolgern des zuletzt in Finanznöte geratenen Wissarion gehe in Russland die zurzeit womoglich größte Gefahr aus, so Dworkin. Im schlimmsten Fall könnte die Geschichte der Sekte mit einem kollektiven Massenmord enden. „Zwei Mal hat Wissarion bereits das Ende der Welt angekündigt und dann wieder abgesagt. Ewig kann er das so nicht weitermachen“, fürchtet der Professor.

(epd)

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