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Florentinisches Mosaik im Bernsteinzimmer (foto: ld/.rufo) |
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Mittwoch, 14.05.2003
Bernsteinzimmer: Ein Mythos wird RealitätVon Lothar Deeg, St. Petersburg. Ein einzigartiges und beispielloses Projekt in der Kulturgeschichte und den Beziehungen Deutschlands und Russland wurde vollendet, resümierte stolz Russlands Kulturminister Michail Schwydkoj bei der Unterzeichung des Abnahmeprotokolls und benotete die geleistete Arbeit mit einem hervorragend. Keine Frage: Das alte wie das neue Bernsteinzimmer ist nicht nur das größte Kunstwerk, das je aus dem Gold des Nordens geschaffen wurde. In den 200 Jahren seiner Existenz wurde es auch zum symbolträchtigen Spielball im Verhältnis der beiden Staaten, in guten wie in schlechten Zeiten.
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1716 schenkte Preußens König Friedrich Wilhelm I. einige drei Jahre zuvor in seinem Tabakskollegium installierte Bernstein-besetzte Wandtafeln als Friedensgeste dem Zaren Peter dem Großen. 40 Jahre später wurden sie im Katharinenpalast aufgestellt und wegen der dort bedeutend größeren Wandflächen ergänzt: Königsberger Meister arbeiteten wie ihre heutigen Nachfolger ein Vierteljahrhundert an der Vervollkommnung. Das Material musste der Zarenhof damals in Preußen teuer einkaufen.
1941 holten sich die deutschen Belagerer Leningrads das Geschenk zurück, der geplünderte Palast lag nur ein paar Kilometer hinter der Front. Vier Jahre später verbrannte das Bernsteinzimmer im Königsberger Schloss in einem von Rotarmisten gelegten Feuer so jedenfalls die gängigste Theorie. Und im letzten Akt verfügte nun zwar Russland über autodidaktisch zur Perfektion gelangte Bernstein-Meister wie auch die Bernsteinvorkommen des Samlandes, nicht aber über das nötige Geld, um die eingeleitete Wiedergeburt zu vollenden: Die deutsche Ruhrgas AG, zugleich Stammkunde und Aktionär des russischen Erdgas-Monopolisten Gazprom, sprang 1999 generös als Sponsor ein. Dies rettete die bedrohte Werkstatt und sorgte für etwas Tauwetter im frostigen deutsch-russischen Beutekunst-Streit.
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Detail eines Bernsteinrahmens (foto: ld/.rufo) |
Wohl nur wenige Kunstwerke lassen sich so exakt in Zahlen zerlegen: Etwa 50 Spezialisten sägten und schliffen im Laufe der letzten 24 Jahre aus sechs Tonnen Rohbernstein eine halbe Million Plättchen und Stückchen zurecht, um damit den 100 Quadratmeter großen Saal im Katharinenpalast wieder originalgetreu auszukleiden. Dreieinhalb Jahre lang finanzierte die Ruhrgas mit 3,5 Millionen Dollar das Projekt. Ein ähnlich bis doppelt so großer Betrag (je nach Umrechnungskurs) floss zuvor schon in sowjetischen und russischen Rubeln aus dem Staatsbudget in die Bernsteinwerkstatt.
Solch kaltes Kalkül betrifft aber nur die Kopie, die nun zum idealen Erhalt aufzubewahren ist bei 45 bis 60 Prozent Luftfeuchtigkeit und einem Durchzug von maximal 0,1 Meter pro Sekunde. Zur Fertigstellung des Bernsteinzimmers hat der Katharinenpalast sogar die alten ausgelatschten Besucher-Filzpantoffeln durch fusselfreie Kunstfaserüberzieher ausgetauscht. Derartig beschuht dürfen Schlossbesucher nun ab dem 2. Juni - zwei Tage nach der feierlichen Eröffnung durch Putin und Schröder - diese begehbare Schmuckschatulle betreten.
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Eine Ecke des Bernsteinzimmers (foto: ld/.rufo) |
Endlich darf man sich eine von Legenden und Geschichte unverbrämte Meinung bilden: Ist dieses verspiegelte und verspielte, in kleinste Gravuren, Figürchen und Genreszenen ausziselierte und von goldenen Putten bekrönte Prachtstück noch schön oder schon zu üppig? Macht das zwischen Waldhonig und Rinderfilet changierende Bernstein-Puzzle Appetit auf den Kauf eines Bernstein-Souvenirs aus der nun weltberühmten Werkstatt? In Russland schwanken die Einschätzungen zwischen handwerkliches Glanzstück deutschen Durchschnitts-Rokoko und achtem Weltwunder.
Das Vorbild hingegen entzieht sich der rationalen Beurteilung: Ungeachtet seines damals reichlich heruntergekommenen Zustandes wurde es nach seinem Verschwinden mystifiziert und glorifiziert wie kein anderes Kunstwerk und dies gleich in zwei Ländern: Denn den Deutschen ging das Bernsteinzimmer zusammen mit Ostpreußen und jener windigen Küste verloren, von der weltexklusiv das eigenartige Material kommt, aus dem es gefertigt war. Am Bernsteinzimmer haftet das Trauma vom Untergang der Kulturstadt Königsberg und der faszinierend-schaurige Ruch von Nazi-Gold.
In Russland galt das von der Wehrmacht geraubte Bernstein-Interieur dagegen als Sinnbild für die gewaltigen kulturellen Kriegsschäden. Die Wiederherstellung des verlorenen Schatzes anhand einiger alter Fotos und 74 zuvor schon herausgefallener Bruchstücke sollte zugleich ein Triumph der sowjetischen Wissenschaft und der sozialistischen Arbeit werden: Schließlich hatte die Bernsteinverarbeitung in Russland so gut wie keine Tradition und die im 18. Jahrhundert angewandte Technik zum Einfärben des Bernsteins war vergessen. Die Restauratoren mussten nicht nur ein Objekt ohne greifbares Vorbild rekonstruierten, sondern auch die Arbeitsweisen zu dessen Herstellung.
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Deutsche wie russische Experten und auch die Restauratoren selbst sind sich sicher, dass ihnen diese Aufgabe mit Bravour gelungen ist. Sollte das Original oder Teile davon doch noch gefunden werden, würde man dafür im Palast mit Freude Vitrinen oder einen ganzen Raum freiräumen, sagt Boris Igdalow, der Leiter der Werkstatt. Lieber zwei Bernsteinzimmer als gar keines, lautet die Parole. Dass seine Mannschaft den Vergleich nicht zu scheuen braucht, bewies schon das 1997 in Bremen aufgetauchte originale florentinische Steinmosaik, eine der vier ins Bernsteinzimmer integrierten Darstellungen der menschlichen Sinne: Es gibt da Abweichungen in Farbnuancen einzelner Flächen. Aber als beide Mosaike das erste Mal nebeneinander standen, wurde die Leistung unserer Leute erst richtig deutlich.
Weniger sicher ist dagegen die Zukunft der Bernsteinwerkstatt: Mit Bernstein-Souvenirs und -Kunstobjekten sowie Restaurierungsaufträgen hofft das Kollektiv nun über die Runden zu kommen Arbeit findet sich immer, wir haben nicht vor zu sterben, so Igdalow. Im Katharinenpalast harrt auch noch das weniger prominente Achat-Zimmer auf seine Restaurierung vorausgesetzt, es findet sich wieder ein Sponsor von solchem Kaliber.
(ld/.rufo)
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