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Demonstranten in Pugatschow fordern die Aussiedlung aller Kaukasier. Die Obrigkeit kann die Menge nur mit Mühe beruhigen (Foto: bfm.ru)
Demonstranten in Pugatschow fordern die Aussiedlung aller Kaukasier. Die Obrigkeit kann die Menge nur mit Mühe beruhigen (Foto: bfm.ru)
Donnerstag, 11.07.2013

Pugatschow-Aufstand gegen tschetschenische Diaspora

Pugatschow. Russlands Vielvölkerstaat steht auf dem Prüfstand: Eine Messerstecherei führt zu Massenunruhen und ethnischen Konflikten in der südrussischen Kleinstadt Pugatschow. Der Aufstand bringt die Obrigkeit unter Druck.

Es ist schon Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet in der Stadt, der die Sowjets den Namen des berühmt-berüchtigten Führers der blutigen Bauernaufstände Jemeljan Pugatschow verliehen haben, das Volk rebelliert. Auslöser war eine Messerstecherei, bei der ein 16-jähriger Tschetschene einen 20-jährigen Ortsansässigen tötete.

Anwohner wollen Kaukasier rauswerfen


Der geständige Täter wurde festgenommen, doch die Stadt explodierte förmlich. Hunderte gingen auf die Straße, um die Aussiedlung aller Kaukasier aus Pugatschow zu fordern. Mit Mühe gelang es der Polizei, die aufgebrachte Menge vom Anzünden mehrerer kaukasischer Cafés abzuhalten.

Bei Russland-Aktuell
• Im Spannungsfeld der Gegenwart: Muslime in Russland (17.10.2012)
• Urteile im Kondopoga-Prozess gegen Tschetschenen (01.04.2010)
• Radikale Fußballfans schwappen in die Protestszene (13.12.2010)
• Umfrage: Die meisten Russen gegen Masseneinwanderung (17.06.2008)
• Tschetschenen: Konflikte um die Diaspora eines Volkes (04.09.2006)
Saratows Gouverneur Waleri Radajew und sogar der Präsidentenbevollmächtigte des Wolga-Gebiets Michail Babitsch mussten einfliegen, um die Menge zu beruhigen. Sie feuerten den Polizeichef, versprachen eine harte Bestrafung des Täters und die Wiederaufnahme mehrerer eingestellter Verfahren, in denen Tschetschenen als Verdächtige auftauchen.

Weitere Krawalle drohen


Zugleich droht die Polizei den Organisatoren der wilden Proteste mit Extremismus-Verfahren. Ungeachtet dessen bleibt die Lage gespannt. Die Behörden verhängten ein Alkoholverbot. Die Tageszeitung „Moskowski Komsomolez“ mutmaßt, dass es weitere Krawalle geben werde.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein blutiger Alltagskonflikt (dem Vernehmen nach ging es bei dem Streit um eine junge Frau) politische Konsequenzen hat. Immer wenn Kaukasier involviert sind, sind die Spannungen besonders groß. 2006 kam es in der karelischen Stadt Kondopoga zu Pogromen, 2010 zu Straßenschlachten in Moskau fast direkt vor dem Kreml.

Misstrauen und Angst


Meldungen über den Bau neuer Moscheen rufen – sei es in Kaliningrad, in St. Petersburg oder in Moskau – massiven Unmut und Misstrauen hervor. Mit der Angst vor „Überfremdung“ lassen sich in Russland dieser Tage leicht politische Punkte sammeln – und das obwohl das Land seit Jahrhunderten verschiedene Völker und Religionen vereinigt.

Gründe für die neue Xenophobie in Russland gibt es viele. Zwei Punkte stechen dabei hervor. Erstens sind die Ressourcen in Russland sehr ungleich verteilt, was zu massiven Migrationsbewegungen führt (hauptsächlich nach Moskau und in andere Großstädte). Die Mobilität, die es in früheren Jahrhunderten nicht gab, sorgt für eine räumliche Annäherung ohne kulturelle Annäherung zu schaffen.

Integration verfehlt


Hier kommt der zweite Punkt ins Spiel: Fehlender Integrationswille (wird speziell den Kaukasiern vorgeworfen), aber auch fehlende Möglichkeiten dazu. Es gibt trotz Wladimir Putins Warnungen vor Nationalismus und seiner Forderung, den Vielvölkerstaat zu bewahren, keine stringente staatliche Politik, um Gegensätze auszugleichen, Konflikte zu lindern, Toleranz und Vertrauen zu schaffen.

Lange hat der Kreml vom Prinzip „Teile und herrsche“ profitiert. Die wachsende Xenophobie wird inzwischen allerdings zunehmend auch für die herrschende Elite zum Problem. Gewaltausbrüche wie in Kondopoga oder Pugatschow, die sich auch gegen die Obrigkeit richten, werden sich wohl häufen, wenn nicht bald gegengesteuert wird.



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