Dienstag, 22.03.2005
Skandalumwitterte Weltpremiere am BolschoitheaterMoskau. Für Dienstagabend haben sich 42 Duma-Abgeordnete für die Generalprobe der neuen Oper „Die Rosental-Kinder“ im Bolschoi Theater angemeldet. Der Grund für das ungewohnte Kunstinteresse der Parlamentsmitglieder waren Proteste gegen den Textautor Wladimir Sorokin. Die Uraufführung findet am Mittwoch auf der neuen (Kleinen) Bühne des Bolschoi statt.
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Vor der Säulenpforte des Theaters protestierte die kremltreue Jugendorganisation „Iduschtschije Wmestje“ (Gemeinsam Gehende) mit Plakaten in der Hand gegen den „Pornographen und Kotfresser“, den Librettisten Sorokin.
Der auch in Deutschland bekannte nonkonformistische Schriftsteller hatte ihren Unmut einst mit seinem Roman „Blauer Speck“ erregt, in dem ein imaginärer Geschlechtsakt zwischen dem Ex-Diktator Stalin und dessen Nachfolger Chruschtschow, der die Entstalinisierung einleitete, beschrieben wird.
Sorokin-Werke sind aber auch wegen ihrer hemmungslosen Unflätigkeiten (die sich besonders gut russischen Lesern erschliessen) in Russland weithin umstritten.
Bolschoi-Direktion wollte niemand ärgern
Die Bolschoi-Direktion hatte die Kremljugend jedenfalls bestimmt nicht ärgern wollen. In drei Monaten schließt die wichtigste Musikbühne Russlands für mindestens zweieinhalb Jahre zur Renovierung. Die sperrigen Opern von Mussorgski und Glinka, sonst das Aushängeschild des Bolschoi, passen auf die als Überbrückung gedachte Kleine Bühne nicht.
Deshalb bestellten der Generaldirektor Anatoli Iksanow und der künstlerische Leiter Alexander Wedernikow etwas Leichteres beim bekannten Komponisten Leonid Dessjatnikow. Die Regie führte der berühmte Litauer Eimuntas Nekrosius.
Nichts Anzügliches
Opern werden immer nach dem Komponisten und nie nach dem Textautor benannt. Korrekterweise sollte man also von der Dessjatnikow-Oper „Rosental-Kinder“ sprechen. Entgegen Behauptungen der Kremljugend und der Duma tut deren Inhalt dem „Nationalstolz Russlands“, wie sie das Bolschoitheater bezeichnen, keinen Abbruch.
In dem Stück klont der geniale Professor Rosental berühmte Komponisten. Diese kommen mit der neuen russischen Wirklichkeit nicht zurecht, müssen in einer Unterführung spielen, lernen dort eine Prostituierte kennen und werden von deren Zuhälter umgebracht. Besonders Anzügliches kommt darin nicht vor.
Da vergeht einem das Lachen
Die Situation entbehrt nicht einer gewissen Komik. Der Duma-Abgeordnete Sergej Newerow, der die Protestaktion einleitete, gab offen zu, er kenne den Operntext nicht, lehne ihn aber ab, weil der Autor Sorokin heiße. Man hätte darüber lachen können. Nun wiederholte er aber fast wörtlich die Formel, mit der Sowjetschriftsteller den Roman „Doktor Schiwago“ verurteilt hatten. „Ich habe Pasternaks Buch nicht gelesen, verurteile es aber“, hieß es damals. Angesichts solcher Parallelen vergeht einem das Lachen.
Fingerzeig des Präsidialamts
Die neuen russischen Saubermänner sind weniger naiv, als es scheinen mag. Der Gründer der „Gemeinsam Gehenden“ Wassili Jakemenko hatte früher in Wladimir Putins Präsidialamt gearbeitet. Es ist ein offenes Geheimnis in Moskau, dass der mächtige Leiter der politischen Abteilung Wladislaw Surkow hinter der Neugründung stand. Er soll die „Gemeinsam Gehenden“ auf Sorokin angesetzt haben. Deshalb stimmten wohl auch die Abgeordneten in den Chor der allgemeinen Ächtung ein.
(adu/.rufo)
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