Montag, 21.03.2005
Die Rosental-Kinder im BolschoiMoskau. Am 23.3. findet im Moskauer Bolschoi-Theater die Uraufführung der Oper „Die Rosental-Kinder“ statt. Schon die Ankündigung der Premiere hat für ein Maß an Aufruhr gesorgt, das den üblichen Rahmen sprengt. Und das nur aus einem Grund: der Autor des Librettos ist niemand anders als Wladimir Sorokin. Er ist einer der umstrittensten modernen russischen Schriftsteller.
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Um kaum einen modernen russischen Autoren wird so viel Wind gemacht wie um Wladimir Sorokin. Das betrifft nicht nur Russland, auch das westliche Ausland nimmt regen Anteil an der Diskussion um seine Werke.
Schund im Bolschoi
Bis heute spalten seine Bücher die Gesellschaft. Für die einen sind sie hohe Literatur, vom Besten Russlands. Für die anderen sind sie einfach nur Schund, Pornografie und Schmutz; Verderbnis und Untergang der russischen Jugend. Solange Sorokins Bücher nur in den Regalen der Läden stehen, kann ihre Existenz ignoriert werden. Wer sich für sie interessiert, kann sie lesen.
Wenn aber am Bolschoi Theater eine Oper mit einem Libretto von Wladimir Sorokin aufgeführt wird, findet dies an der ersten Bühne Russlands statt. Die Exponiertheit des Ortes führt unweigerlich zu einem weiteren lautstarken Streit zwischen den Gegnern Sorokins und seinen Befürwortern.
Grund dafür ist nicht der Inhalt der Oper, er war den Kritikern der Aufführung lange Zeit unbekannt. Grund für diesen Aufstand der Saubermänner ist einzig und allein der Name Sorokin und der Inhalt seiner vorangegangenen Bücher. Zugegeben, die derbe, obszöne Ausdrucksweise Sorokins ist stark gewöhnungsbedürftig und nicht die ideale Sommerlektüre für den Platz auf der warmen Terrasse, das Glas Wein vor der Nachtruhe könnte im Mund zu Essig werden.
Unbekannter Inhalt, bekannte Kritik
Das Libretto von „Die Rosental-Kinder“ aber wurde weder von Sergej Newerow, dem Dumaabgeordneten aus der Kremlpartei „Einiges Russland“ noch vom Kulturbeauftragten der Jugendorganisation „Gemeinsam Gehende“ (Iduschtschie Wmestje), Michail Mjasojedow, gelesen. Beide vermuten in ihm Handlungen, die das Ansehen des Bolschoi-Theaters in den Schmutz ziehen könnten. Auch die Versicherung der Theaterdirektion, dass in dem Stück keine unsaubere Sprache und Pornografie enthalten sei, konnte sie nicht von weiteren Protesten abhalten. Sorokin selber schlägt eine Diskussion über das Stück für den Zeitpunkt nach der Aufführung vor.
Das Stück handelt von Professor Alex Rosental, der am Ende der 1930er Jahre vor den Nazis aus Deutschland in die Sowjetunion flieht. Dort soll er Stachanow-Arbeiter klonen, träumt aber von der Wiederauferstehung verstorbener Genies. So „dubliert“ er Mozart, Verdi, Tschaikowski, Mussorgski und Wagner.
Nach dem Tod ihres Meisters Rosental anno 1992 versuchen sich die Komponisten als Straßenmusikanten in Moskauer Unterführungen, um die Wirren der Nachwendezeit zu überstehen. Dort lernen sie auch die Prostituierte Tanja kennen, in die sich Mozart verliebt. Die fünf Freunde wollen sie von ihrem Zuhälter loskaufen und dann in den Süden fahren um die Hochzeit der beiden zu feiern. Der Zuhälter jedoch verabreicht ihnen Gift und nur Mozart überlebt den Anschlag.
Protest als Werbung
Ein Sujet, das im Ausland wohl kaum die Aufmerksamkeit erregt hätte, wenn nicht die „Gemeinsam Gehenden“ und Vertreter der Duma gegen die Aufführung der Oper aktiv geworden wären und der Autor nicht Sorokin hieße. Moralapostel auf der einen Seite und provozierende Bücher an der Grenze zum guten Geschmack auf der anderen Seite.sind Extrempositionen, die sich nicht vereinbaren lassen.
Gespaltene Meinungen
Für manche Leser ist Sorokin nur unerträglich, seine Bücher haben mit Literatur im gemeinen Sinne nichts zu tun. Für diese ist der Angriff der „Gemeinsam Gehenden“-Bewegung gegen den Autoren überzogen doch nicht ein Ausdruck für eine gelenkte Demokratie, die neben der großen Politik am liebsten auch die Zivilgesellschaft lenken würde.
Für andere ist Sorokin intellektueller Leuchtturm in einer Bücherlandschaft, die von schlechten Krimis und Science Fiction dominiert wird. Durch die Angriffe auf ihn wird er zur Ikone von Meinungsfreiheit und Widerstand gegen staatlichen Druck.
Beiden Seiten eigen sind aber Unverständnis und die Unfähigkeit, sich auf die Gegenposition einzulassen und sie womöglich zu akzeptieren. Und so dreht sich die Diskussion auch weniger um den Inhalt des Stückes. Vielmehr ist sie ein Beispiel für fehlende Toleranz.
(jb/.rufo)
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