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Erhängte Armenier während des Genozids zwischen 1915 - 1919 in der Türkei (Foto: genocide.ru)
Erhängte Armenier während des Genozids zwischen 1915 - 1919 in der Türkei (Foto: genocide.ru)
Freitag, 22.04.2005

Armeniergenozid ging Holocaust voraus

Alexej Dubatow, Moskau. An diesem Sonntag jährt sich das Massaker gegen Armenier in der Türkei zum 90. Mal. Die Weigerung der türkischen Regierung, es als Genozid anzuerkennen, löste weltweit Diskussionen aus.

Ein sehr beeindruckendes Mahnmal steht in Jerewan auf einer Anhöhe über der Stadt: Betonstelen, deren Zahl jener der armenischen Stämme entspricht, verneigen sich im Kreis vor einer Ewigen Flamme. Etwas abseits symbolisiert ein pfeilförmig aufstrebender Obelisk das wieder auferstehende Armenien. In dem von den Stelen gebildeten Innenraum spielt die Musik des großen Nationalkomponisten Komitas.

Als erste wurden 800 Intellektuelle hingerichtet

Komitas sei bei dem Massaker von 1915 zwar nicht getötet worden, erzählt der Fremdenführer. Er habe aber den Verstand verloren, nachdem 800 in Konstantinopel lebende armenische Intellektuelle in der Nacht zum 24. April festgenommen und später hingerichtet wurden. Damit hatte die Jungtürkenregierung den Völkermord begonnen, dem bis 1919 1,5 Millionen Armenier zum Opfer fielen. Die Türkei spricht immer noch von „Kriegsnotwendigkeit“ und 20.000 Toten.

Deutschland war 1915 mit der Türkei verbündet

Der Fremdenführer erinnert an eine Äußerung Hitlers, mit der er Bedenken gegen die Judenvernichtung von sich gewiesen haben soll: „Wer denkt heute noch an die Armenier“. Deutschland sei übrigens 1915 Kriegsverbündeter der Türkei gewesen, sagt er dem russischen Dolmetscher. Dieser brauche es der deutschen Delegation nicht zu übersetzen. Einmal wegen der armenischen Gastfreundschaft. Und dann verurteilen viele Deutsche heute ja den Genozid.

Die Erinnerung ist genetisch verwurzelt

Allen, auch jungen Armeniern, stecke dieser Begriff gleichsam in den Genen, schrieb Sati Spiwakowa, die Frau des berühmten russischen Dirigenten Wladimir Spiwakow, in einem Artikel der „Moskowskije Nowosti“. „Als reinrassige Armenierin empfinde ich den Genozid, über den ich nur nach Berichten meiner Großmutter urteilen kann, mit meinem Unterbewusstsein“, heißt es darin.

Keine Armenierfamilie blieb unberührt

1,5 Mio. Armenier fanden den Tod (Foto: genocide.ru)
1,5 Mio. Armenier fanden den Tod (Foto: genocide.ru)
Es gibt wohl keine armenische Familie, die das Massaker und dessen Folgen nicht berührt hätten. Es blieb nicht beim ersten Pogrom im Frühsommer 1915. Im damaligen Osmanischen Reich lebende Armenier wurden nach einem besonderen Erlass der Regierung entwaffnet und dann kaltblütig niedergemacht. 60.000 armenische Soldaten der türkischen Armee im Alter von 18 bis 45 Jahren wurden auf Befehl des Kriegsministers Enver-Pascha massakriert. Friedliche Armenier wurden zu Tausenden in Vernichtungslager in der Osttürkei gesperrt.

Weltweite armenische Diaspora

Jahrelange Verfolgungen hatten mindestens 600.000 Flüchtlinge zur Folge. Es entstand die weltweite armenische Diaspora (Spürk). Ein Armenier sei in die südliche Hemisphäre gezogen, um einen Ort zu finden, wo seine Landsleute nicht lebten, berichtet ein gutmütiger Witz. In Papua-Neuguinea könne es keine geben, dachte er. Am Strand begegnet ihm aber ein Mann mit einem Bauchladen. „Hai es?“ (Bist du Armenier), fragt der Neuankömmling. „Tsche, papuasam“ (Nein, Papua), antwortet der andere auf armenisch. Selbstverspottung ist ein Beweis für die Überlebenskraft eines Volkes.

Schicksalskampf geht weiter

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In Ostarmenien hätten sich neben Türken mit ihnen eng verwandte „kaukasische Tataren“ (Aserbaidschaner) am Genozid beteiligt, heißt es auf der armenischen Internet-Seite genocide.ru. Schon in der späten Sowjezeit, als Moskau seinen Griff im Kaukasus lockerte, rief die armenische Enklave in Aserbaidschan, Berg-Karabach, die Unabhängigkeit aus. Daraufhin kam es zu einem blutigen Pogrom gegen Armenier im aserbaidschanischen Sumgait. 1989 und 1990 wurden 375.000 Armenier allein aus Baku vertrieben und in der ganzen früheren Sowjetunion verstreut.

Lange hält Armenien es nicht durch

Im Karabach-Krieg, der von 1988 - 1994 dauerte, erlitt Aserbaidschan schwere Verluste. Bis heute bleiben weite Teile des Landes, darunter der so genannte Latschin-Korridor im traditionellen kurdischen Siedlungsgebiet, armenisch besetzt. Lange hält Armenien die Besetzung aber kaum mehr durch. Es wurde vom Krieg ausgezehrt. Politische Wirren der letzten Jahre kamen dazu. Aserbaidschan verfügt dagegen über kaspisches Öl, das Investoren und Geld anlockt. Nicht einmal Amerika mit seiner großen armenischen Gemeinde kann sich diesem Zwang entziehen.

Armeniens Stärke bleibt jenes von Sati Spiwakowa erwähnte genetische Empfinden. „Sie haben Glück“, sagt ein armenischer Begleiter bei der Verabschiedung im Jerewaner Flughafen Swartnoz. Der Himmel sei wolkenlos und der heilige Berg Ararat klar zu sehen. Der Ararat stehe zwar heute in der Türkei, er gehöre aber für immer zu Armenien.


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