Montag, 24.01.2005
Das Wunder vom Baikalsee: Der ewige Lama ItigelowVon Karsten Packeiser, Moskau. In einem Kloster am Baikalsee versammelte der buddhistische Würdentrager Dascha-Dorscho Itigelow im Jahre 1927 seine Schüler um sich und verkündete ihnen, sein Tod stehe bevor. Nach 75 Jahren werde er wiederkehren, versprach der Mönch, setzte sich im Lotussitz auf den Boden, begann zu meditieren und starb. Mehr als sieben Jahrzehnte lang blieb der Körper Itigelows nahezu unverändert erhalten. Wissenschaftler, die ihn untersucht haben, sind ratlos.
|
Es gebe keine wissenschaftliche Erklärung für das Phänomen, sagt der Moskauer Gerichtsmediziner Viktor Swjaginzew, der Gewebeproben des Leichnams analysierte. „Ich weiß nicht einmal, wie man diesen Zustand bezeichnen kann.“ Der Körper des Mönches, der im Jahr 2002 exhumiert worden war, zeige bis heute nur minimale Verfallserscheinungen auf. „Ich würde sagen, dass es sich um einen Menschen handelt, der vor drei oder fünf Tagen gestorben ist.“
Der burjatische Waisenjunge und Hirte Dascha-Dorscho Itigelow war in einem Lama-Kloster zum Doktor der Philosophie und der tibetischen Medizin ausgebildet worden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stieg er zum Klostervorsteher auf, schrieb einen Aufsatz über das Wesen der Leere. 1911 wurde er zum Hambo Lama, dem geistlichen Oberhaupt aller Buddhisten des Russischen Zarenreiches, gewählt. Dieses Amt gab er aber 1917 freiwillig wieder ab.
Mönche als Landarbeiter in die Kolchosen
In Burjatien, das sprachlich und kulturell eng mit der benachbarten Mongolei verbunden ist, war vor der Oktoberrevolution 1917 jeder zehnte Mann ein buddhistischer Mönch gewesen. Kurz nach dem Tod Itigelows im Jahr 1927 war die Terrorwelle der religionsfeindlichen Sowjetführung
auch über die Teilrepublik gerollt. Kloster wurden gesprengt, die Lamas mussten als Landarbeiter in den Kolchosen schuften oder wurden in Straflager deportiert. Nur an Itigelow selbst, der im Lotussitz in einem Korb beerdigt wurde, gingen alle Erschütterungen scheinbar spurlos
vorbei.
Dreißig Jahre nach dem Tod wurde das Grab in Übereinstimmung mit Itigelows Testament zum ersten Mal geöffnet, der nicht verweste Körper heimlich erneut bestattet. Vor zwei Jahren schließlich wurde das Grab im Beisein verblüffter Behördenvertreter erneut geöffnet, und der in einen orangefarbenen Seidenmantel gekleidete Itigelow noch immer unverändert vorgefunden.
Der Leichnam wurde feierlich in den Dazan von Iwolginsk, das bedeutendste buddhistische Kloster Russlands, überführt. Die Gelenke Itigelows seien bis heute elastisch, es seien keine der sonst typischen Leichenflecken am Körper zu sehen, erklärt der Mediziner Swjaginzew. Gewebeproben hätten keine nennenswerten Unterschiede zu einem lebenden Menschen ergeben. Seit der Exhumierung habe sich zwar unter anderem die Körperfarbe leicht verändert, doch diese Prozesse würden an einem normalen Leichnam innerhalb weniger Stunden und keineswegs innerhalb von zwei Jahren ablaufen.
Selbst zum Buddha geworden
Mit Mumien, Moorleichen und anderen Fallen, in denen Körper nach dem Tod nicht verwesen, habe dies alles nicht das Geringste zu tun. Auch, dass Itigelow in einem Korb mit Salz bestattet wurde, könne keine Ursache für den Erhaltungsgrad seines Korpers sein. „Salz ist zwar ein Konservierungsmittel, aber nicht in einem derartigen Ausmaß“, so der Medizinprofessor. Das eigentliche Rätsel für ihn sei aber, so Swjaginzew, dass Itigelow vor seinem Tod bereits wusste, dass seinem Körper nichts widerfahren wurde.
Für die buddhistischen Pilger, die in immer größerer Zahl nach Iwolginsk pilgern, steht fest: Der Lama ist selbst zum Buddha geworden und aus dem nach buddhistischem Glauben ewigen Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt ausgebrochen. „Viele Burjaten glauben, dass unser
Gott zurückgekehrt ist“, sagt Janschima Wassiljewa, eine Großnichte Itigelows. Legenden zufolge gelang es auch anderen beim Meditieren weit fortgeschrittenen buddhistischen Lamas in der Vergangenheit, einen ähnlichen Zustand wie Itigelow zu erreichen.
Nach seiner Überfuhrung nach Iwolginsk hatten die Mönche den Körper im Gebetssaal zunächst einfach auf dem Boden abgesetzt. Inzwischen wird der Leichnam in einem gläsernen Sarg aufbewahrt, zu dem Besucher an sieben Tagen im Jahr Zutritt haben. Auf dem Gelände des Dazan entsteht derzeit ein eigener Tempel, in dem der Körper künftig sein letztes Zuhause finden soll. Bis heute hat das Kloster nach eigenen Angaben keine speziellen Maßnahmen zur Balsamierung des Leichnams ergriffen - im Fall des in Moskau aufgebahrten Revolutionsführers Wladimir Lenin ist damit ein ganzes Forschungsinstitut beschäftigt.
(epd)
|
|
|
|
Schnell gefunden
|