Mittwoch, 16.03.2005
Kasparow wechselt vom Schach in die PolitikMoskau. Dem Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow sind die gewohnten 64 Schwarz-Weißfelder zu eng geworden. Er will sich in dem großen Spiel der russischen Politik versuchen. Seine Präsidentschaftsambitionen verheimlicht er nicht. Zwar bezweifelt er den Erfolg selbst. Er wolle aber „der Diktatur von Wladimir Putin trotzen“, erklärte er in einem Interview der Zeitschrift „The Wall Street Journal“.
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Man kann Kasparow nicht nur Schach- sondern auch Lebenserfahrung nicht absprechen. Im März 1990 schwammen undefinierbare Trümmer in der Bucht von Baku zu den Füßen einer riesigen Lenin-Figur umher, die damals noch nicht abgerissen war. Anhänger der aserbaidschanischen Volksfront hatten eine Kanone zum Kai geschleppt und beide Jachten des Schachweltmeisters aus nächster Nähe kurz und klein geschossen. Dieser fand in Moskau Zuflucht. Neben ihm wurden 375.000 Armenier allein aus Baku vertrieben.
Keine Chance im heutigen System
„Wenn ich gefragt werde, ob ich kandidieren will, frage ich zurück, wo ich denn kandidieren soll“, sagte Kasparow in einem weiteren Interview für den „Guardian“. Putin wolle doch keine Wahlen mehr abhalten lassen. Auf Vorlage des Kremls werde die Möglichkeit diskutiert, den Präsidenten vom putintreuen Parlament bestätigen zu lassen. Unter Boris Jelzin habe das System viele Mängel gehabt, es sei aber immerhin demokratisch gewesen, behauptet Kasparow. Fünf Jahre nach Putins Amtsantritt gebe es keine unabhängige Presse mehr. Das Wahlsystem sei verändert worden. Und das Schlimmste: Putin hat laut Kasparow den Punkt überschritten, an dem sein Vorgänger zurückgetreten war.
Präsident Kasparow undenkbar
Als neuer Präsident käme Kasparow kaum in Frage. Seine Verbündeten im „Komitee 2008: Freie Wahl“ gehören der liberaldemokratischen Szene an, die kaum noch Anhänger in der Bevölkerung hat. Auch kann Halbjude Kasparow im traditionell antisemitischen Russland nie Präsident werden. Ein Jude kann in Moskau Drahtzieher und sogar zweite Person der russischen Politik werden, aber niemals die erste. Das weiß er sicher auch selbst. Das ganz große Spiel zieht aber ihn an. Er wolle sich der Politik mit aller Entschlossenheit und Leidenschaft widmen, die bisher dem Schachspiel galt, sagte er. Er spielt weiß für die Demokratie.
Kasparow braucht weißen König
Er könne das Gesamtbild besser als ein Berufspolitiker überblicken, glaubt der Ex-Weltmeister. Politiker konzentrierten sich oft auf Teilprobleme und begriffen nie, dass die Lösung auf einem ganz anderen, mit ihrem Anliegen scheinbar nicht zusammenhängenden Gebiet liegen kann. Wenn er auch seinen bekannten aggressiven Stil aus dem Schach auf das politische Spiel überträgt, so kann Kasparow dem Präsidenten Putin das Leben richtig schwer machen. Nur muss er schnellstmöglich einen weißen König finden, mit dem er wirklich gewinnen kann.
(adu/.rufo)
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