Freitag, 11.03.2005
Gorbi, das Werkzeug der GeschichteMoskau. Vor 20 Jahren wurde Michail Gorbatschow zum Generalsekretär der KPdSU gewählt. Nach drei binnen drei Jahren verstorbenen Partei- und Staatsführern hoffte man, dass dem jungen und kerngesunden neuen Mann eine lange Karriere beschieden war. Es kam anders. Aber auch heute bereut der ex-sowjetische Präsident es nicht, seine Perestroika angefangen zu haben.
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Gorbatschows schwerster Fehler
Manches hätte er anders machen können, sagte Michail Gorbatschow in einem Interview der Wochenzeitung „Moskowskije Nowosti“. Die Reformierung der kommunistischen Partei und der Sowjetunion hätte er entschlossener und schneller durchziehen sollen. Und sein schwerster Fehler (so die Eigeneinschätzung): Boris Jelzin hätte er nach dem denkwürdigen ZK-Plenum nicht in Moskau lassen, sondern „als Botschafter in eine Bananenrepublik schicken“ sollen.
Werkzeug der Geschichte?
Zwar herrscht heute die Meinung vor, dass Gorbi die Rolle eines Werkzeugs der Geschichte zufiel, weil das Sowjetimperium sowieso zu Niedergang und Zerfall verurteilt war. Doch hätte es auch anders kommen können. Als erste Wahl galt 1985 der erzkonservative Moskauer Parteichef Viktor Grischin. Der damalige KGB-Chef Viktor Tschebrikow erklärte aber, dieser wäre zu anrüchig, weil er mit dem berühmt-berüchtigten Lawrenti Berija verwandt sei. Der Geheimdienst setzte Gorbatschow durch, der als Nachfolger des Ex-KGB-Chefs und Präsidenten Juri Andropow galt.
Andropow erfand die Perestroika
Das Wort und die Idee der Perestroika stammen ursprünglich nicht von Gorbatschow, sondern von Andropow, sagte der sowjetische Ex-Parlamentschef Anatoli Lukjanow der „Komsomolskaja Prawda“. Wäre Andropow nicht schon anderthalb Jahre nach seinem Amtsantritt gestorben, so hätte die UdSSR den Weg eingeschlagen, den China gegangen sei. Für den Zusammenbruch der Sowjetunion habe es „keine objektiven Gründe“ gegeben, glaubt der Politologe Sergej Kurginjan.
Kampf gegen Wodka und Niederlage
Die Zeitung zählte Fehler auf, die der Ex-Präsident in seinem Interview nicht erwähnt hatte. Mit seiner Anti-Alkoholkampagne brachte Gorbi die Bevölkerung gegen sich auf. Ein Reim machte damals die Runde (hier in freier Nachdichtung): „Der neue, hohe Wodka-Preis/ lässt uns tiefer blicken./ Was hast du da nur angestellt,/ Glatze mit dem Flicken.“ Angeblich stammte auch diese Idee von Andropow, doch wollte er nicht mit Verboten, sondern mit dem Bau billiger Wein- und Bierstuben vorgehen. 1987 musste Gorbatschow seine Niederlage im Kampf gegen das nationale „Wässerchen“ eingestehen.
Bester Deutscher statt bester Russe
In Berlin sei Gorbi als „der beste Deutsche“ gefeiert worden, schrieb die „Komsomolskaja Prawda“. Dabei wäre der Ruf des „besten Russen“ für dessen politische Gesundheit nützlicher gewesen. Zu seinen Fehlern zählt das Blatt auch den nach seiner Meinung zu schnellen Truppenabzug aus Deutschland. Als Kohl hörte, dies solle binnen drei bis vier Jahren geschehen, habe er angeblich gewarnt: „Es wird ein Problem für Sie.“ Er frage sich, wohin die Soldaten ziehen sollen und was sie erwarte.
Nachsicht mit Putschisten
Ein schwerer Schnitzer Gorbatschows war nach Meinung seines Mitstreiters Alexander Jakowlew, der ebenfalls an dem Zeitungsinterview teilnahm, dass er Ex-Regierungschef Valentin Pawlow und Ex-Verteidigungsminister Dmitri Jasow nicht feuerte, nachdem sie ihm „das ideologische Programm des Augustputsches“ vorgelegt hatten. Dann hätte es 1991 keinen Umsturzversuch gegeben. Alles wäre anders gelaufen, meint der Perestroika-Ideologe.
Putin nicht voreilig verurteilen
Er habe nichts übereilen wollen, so Gorbatschow. Auch heute will er es nicht. Zur Kritik am Präsidenten Wladimir Putin sagte er, dieser habe in dessen erster Amtszeit „Voraussetzungen für eine Modernisierung Russlands“ geschaffen. Man sollte deshalb keine voreiligen Urteile abgeben. Nur wenn Putin seine zweite Amtszeit für die Festigung seiner persönlichen Macht missbrauche, werde er sich radikalen Kritikern anschließen. (adu/.rufo)
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