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NTW-Sondersendung zum Geiseldrama (Foto: NTW/rUFO)
NTW-Sondersendung zum Geiseldrama (Foto: NTW/rUFO)
Montag, 23.12.2002

Nachrichten und Soap-Operas. Die russische Fernsehlandschaft (2)

Von Karsten Packeiser, Moskau. Staatliche wie private Sender legen in Russland großen Wert auf ihre Nachrichtensendungen. Die abendlichen Hauptnachrichten dauern nach deutschen Maßstäben mit teils bis zu vierzig Minuten äußerst lange. Auch tagsüber gibt es in der Regel mehrere ausführliche Nachrichtensendungen. Der neue NTW-Direktor Boris Jordan hatte zwar noch im Sommer 2001 angekündigt, es werde im Rahmen seines Sanierungskonzepts bei dem Sender in Zukunft weniger der teuren Informationsprogramme geben. Aber seit dem Herbst 2002 sendet NTW Kurznachrichten sogar im Stundentakt.

Oft werden während der Nachrichten prominente Studio-Gäste befragt. NTW hat mit "Geroj Dnja" ein ausführliches Interview mit dem "Held des Tages" in seine Hauptnachrichten integriert. Gewöhnlich kommen hier Spitzenpolitiker zu Wort. Die Ausgaben der staatlichen Sender sind vor allem durch ihre langen Einspielungen von Putin-O-Tönen berüchtigt.

Anders als in Deutschland werden in russischen Fernsehnachrichten auch kleinere Reportagen ohne Nachrichtencharakter gesendet. Korrespondenten berichten dann auch ohne tagesaktuellen Bezug ausführlich über das schwere Leben der einfachen Leute in der sibirischen Provinz oder vom Kampf der Wasserschutzpolizei gegen die Kaviar-Wilderer im Kaspischen Meer.

Kriminalnachrichten bei Rossia (rUFO)
Kriminalnachrichten bei Rossia (rUFO)
Nachrichten aus der Welt des Kriminellen sind den meisten Kanälen eigene Sendungen wert. Kamerateams werden zusammen mit der Miliz auf Einsätze geschickt, dürfen Verhaftungen filmen und die Festgenommenen interviewen, noch ehe die überhaupt mit einem Anwalt reden konnten. Auch, wenn es um den Persönlichkeitsschutz von Verbrechensopfern geht, kennen russische Kriminal-Reporter keine übermäßige Zurückhaltung.

Nur wenige Auslandskorrespondenten

Lediglich der "1. Kanal", "Rossia" und NTW leisten sich ein teures Netz von Auslandskorrespondenten in den wichtigsten Hauptstädten der GUS und Westeuropas, den USA und dem Nahen Osten. TWS plante ursprünglich auch den Aufbau von Auslandsbüros. In der Berichterstattung über den Westen bleibt außer für Politik auch immer wieder Zeit für sympathische bunte Geschichten, wie beispielsweise über Gerhard Schröders Steuersong, Fitness-Kurse für deutsche Nikoläuse oder auch einmal über den Rattenfänger von Hameln.

Kommentierende Politsendungen haben dagegen vorübergehend an Bedeutung verloren, nachdem die großen Wahlschlachten erfolgreich abgeschlossen wurden. 1999 hatte allein ORT mit seinem damaligen Chefkommentator Sergej Dorenko einen erheblichen Anteil daran, dass die erst Monate vor den Dumawahlen gegründete Kreml-Partei "Jedinstwo" ("Einheit") ohne Spuren eines ernsthaften Programms über 20 Prozent der Wählerstimmen einheimsen konnte.

J. Kisseljow (Foto: Djatschkow/rUFO)
J. Kisseljow (Foto: Djatschkow/rUFO)
Mit seinen regelmäßigen und nicht immer durch Fakten gedeckten Attacken auf Jurij Luschkow raubte Dorenko dem mächtigen Moskauer Bürgermeister damals alle Chancen, die Macht im Kreml zu übernehmen, und räumte dadurch Wladimir Putin den Weg frei. Als sich Dorenkos Chef Boris Beresowskij mit dem Kreml überwarf, erhielt der auch als "Telekiller" bekannte Journalist sein Kündigungsschreiben.

Weiterhin Meinungsprogramme

Nach wie vor leisten sich aber alle großen Sender weiter ihre kommentierenden Meinungsprogramme. Der "1. Kanal" sendet das an den ehemaligen DDR-Propagandisten Eduard von Schnitzler erinnernde Kurzprogramm "Odnako" im Rahmen seiner abendlichen Spätnachrichten. Wechselnde Kommentatoren rechnen linientreu mit politischen Gegnern, Putin-Kritikern und gegebenenfalls auch dem Westen ab.

Bei NTW und TWS laufen jeweils Sonntags längere analytische Sendungen, in denen nicht nur das politische Geschehen der vergangenen Woche kommentiert wird. Der einstige NTW-Chef Jewgenij Kisseljow moderierte dort vor der Übernahme des Senders durch Gasprom seine Sendung "Itogi" ("Bilanz").

Seit diesem Frühjahr schaut Kisseljow, stets mit gut gegelten Haaren, bei TWS mit strengem Blick über die Brillengläser hinweg auf das Publikum herab. Bei NTW hat Leonid Parfjonow mit gleichem Konzept, aber eher lockerer Darbietung in "Namedni" ("Neulich") das Sonntagabend-Erbe Kisseljows angetreten.

Kaum Chancen für Satire

Die Zeiten für politische Satiren sind dagegen seit dem Machtantritt von Wladimir Putin weniger günstig. Gnadenlose Kritik am Kreml leistet sich derzeit nur noch Viktor Schenderowitsch mit seinem wöchentlichen Programm "Besplatnyj Syr" ("Kostenloser Käse") bei TWS. "Hoffentlich wird es das nächste Mal nicht irgendeinen Kindergarten treffen", wetterte Schenderowitsch nach dem Moskauer Geiseldrama, "sondern zum Beispiel den Kreml. Dann würde man die Geiseln eventuell nicht mit Gas vergiften." Nach dieser Folge sollen Berichten zufolge im Kreml Forderungen nach einer Entlassung Schenderowitschs laut geworden sein.

Derrick bei TWZ (Foto: rUFO)
Derrick bei TWZ (Foto: rUFO)
Russen sind Soap-Fans

Bereits Anfang der 90er Jahre kauften die russischen Fernsehsender massenhaft lateinamerikanische Seifenopern ein. Die einfallslosen Herz- Schmerz-Schmacht-Streifen faszinierten das russische Fernsehpublikum in der Anfangszeit so sehr, dass vor dem Moskauer Fernsehzentrum sogar Protestkundgebungen abgehalten wurden, als "Santa Barbara", der berüchtigste Latino-Dauerlutscher, schließlich abgesetzt wurde. Bis heute sind die Russen Soap-Fans. Bis zum Herbst etwa bot NTW wochentags täglich nach den Hauptnachrichten eine US-Krankenhausserie.

Neben billigen russischen Fernsehfilmen laufen im Abendprogramm auf allen Sendern vor allem US-Spielfilme. In der Regel sind nur ganz alte Streifen, die bereits die Sowjetzensoren ins Land gelassen hatten, vernünftig synchronisiert. Bei moderneren Filmen wählen die Fernsehsender eine billigere Methode. In der Regel ein Mann und eine Frau sprechen alle russischen Texte über den Originalton - zuweilen mit so monotoner Stimme, dass die entscheidenden Momente des Films stark an Dramatik verlieren.

US-Filme: ohne Rücksicht auf Klischees

Ohne Rücksicht auf mögliche patriotische Gefühle kommen auch immer wieder US-Produktionen ins Programm, in denen alle nur erdenklichen anti- russischen Klischees ausgewalzt werden. Die russischen Zuschauer nehmen solche Filme gewöhnlich zum Anlass, um entweder über die plumpen Zerrbilder aus Hollywood zu lachen oder beim Betrachten ihren eigenen Anti-Amerikanismus zu kultivieren.

Deutsche Produktionen sieht man im russischen Fernsehen so gut wie gar nicht. Einzige auffallende Ausnahme ist der Export-Schlager "Inspektor Derrick", von dem der Moskauer Sender "TW-Zentr" an die einhundert Folgen gekauft hat. Die Serie läuft im Nachmittagsprogramm, und auch russische Hausfrauen und Renter fragen sich seither, welche Rolle denn nun Derricks blasser Assistent Harry in der Serie spielt. "Rossia" kontert den deutschen Oberinspektor mit der Krimi-Serie "Kommissar Rex".

Bei Russland-Aktuell
• Telekiller, Star-Fabrik. Die russische Fernsehlandschaft (1)
Eigenproduktionen mit indirekten Zielen

Erst in jüngster Zeit lassen sich auch die Eigenproduktionen russischer Sender wieder sehen. Krimiserien wie "Kamenskaja" oder "Uliza rasbitych fonarej" ("Die Straße der eingeschlagenen Laternen") versuchen, ein wirklichkeitsnahes Bild der russischen Miliz zu zeichnen. Die Serien sollen aber gleichzeitig auch Sympathien für die allgemein als korrupt und unfähig verschrieenen russischen Ordnungshüter wecken.

Vor allem vor Feiertagen -- wie dem Tag des Sieges über Hitlerdeutschland oder dem Frauentag -- verschwinden Hollywood-Schinken auffallend aus dem Pogramm und werden durch "vaterländische Produktionen" ersetzt. Für Wiederholungen von Komödien wie "Kawkasskaja plenniza" ("Die Gefangene des Kaukasus") oder "Beloje Solnze Pustyni" ("Die weiße Sonne der Wüste") zeigen sich die Zuschauer immer noch mit hohen Quoten dankbar.

Neujahrs-Klassiker

Im Neujahrsprogramm gehört der Sowjet-Klassiker "S ljochkim parom" ("Wie neu geboren") genauso ins Programm wie das Glockenspiel des Erlöser-Turms und die anschließende Ansprache des Kreml-Chefs. In dem russischen Pendant zu "Dinner for One" gerät der volltrunkene Film-Held in einer Neujahrsnacht versehentlich aus Moskau in eine baugleiche Leningrader Wohnung und darf dort der Liebe seines Lebens begegnen.

(epd).

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