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Michel Gaissmayer ist ein langjähriger Kenner des russischen Films und des Moskauer Filmfestivals (Foto: Ballin/.rufo)
Michel Gaissmayer ist ein langjähriger Kenner des russischen Films und des Moskauer Filmfestivals (Foto: Ballin/.rufo)
Montag, 03.07.2006

Moskauer Kinofestival ist nicht auf der Höhe

Moskau. Michel Gaissmayer, Journalist und Kulturmanager, ist ein langjähriger Kenner und Kritiker des Moskauer Kinofestivals. Im Interview mit Russland-aktuell gibt er eine Einschätzung des diesjährigen Film-Events.


R-A: Herr Gaissmayer, was hat Sie in diesem Jahr nach Moskau geführt?

Gaissmayer: Seit 1987 existiert unsere Gesellschaft dctp (development company for television) in Deutschland und gibt unabhängige Kulturmagazine z.B. bei RTL oder SAT1 heraus. Einer unserer Teilhaber ist Dentsu aus Japan. Ich präsentiere hier in Moskau den Film “Samurai I loved”, wo Dentsu als Produzent auftrat. Nicht nur, weil Dentsu unser Partner ist, sondern auch weil der Film in Japan erfolgreich war und nicht der „üblichen Konfektionsgröße” entspricht.

R-A: Wie schätzen Sie die Qualität der Filme ein, die an dem Wettbewerb teilnehmen?

Gaissmayer: Der Wettbewerb ist ganz unterschiedlich stark besetzt. “The Promise” von Chen Kaige halte ich für einen großartigen Film. Er ist voller chinesischer Antagonismen und philosophischer Aspekte. Kaige ist ja ein sehr intelligenter und gebildeter Mann. Gleichzeitig wählte er als Regisseur zur Erzählung seiner Geschichte die Filmsprache des 21. Jahrhunderts.

R-A: Auf welchem Stand ist denn Ihrer Meinung nach das Moskauer Kinofestival?

Gaissmayer: Das Moskauer Filmfestival ist nach Berlin, Cannes oder Venedig ein wichtiges A-Festival. Doch es befindet sich nicht auf der Höhe der Entwicklung Moskaus. Vor allem hat es seine Bedeutung für die Moskauer verloren. Es findet praktisch außerhalb der russischen Öffentlichkeit statt. Das wird auch daran deutlich, dass bei der Eröffnung weder der Moskauer Oberbürgemeister Juri Luschkow, noch der Kulturminister Sokolow oder der Chef der Film- und Kulturbehörde Schwydkoi, geschweige denn Präsident Putin anwesend waren.

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Dabei gebe es hervorragende Möglichkeiten. Endlich hat das Festival Sponsoren gefunden, die freilich nach außen kaum präsentiert werden. Mit dem Kino „Oktober” haben die Organisatoren darüber hinaus nach langen Jahren endlich ein geeignetes Kino zur Verfügung. Es ist wesentlich moderner als bspw. das Puschkinski-Kino oder das Dom Kino. Doch das „Oktober” ist hermetisch abgeriegelt. Ich halte es für einen großen Fehler, dass die Filme nicht auch noch wenigstens am Abend im Puschkinski gezeigt werden.

R-A: Womit hängt es zusammen, dass so wenige russische bekannte Größen oder auch Nachwuchsregisseure teilnehmen?

Gaissmayer: Das hängt damit zusammen, dass die Organisatoren das ihnen zur Verfügung gestellte Geld in andere Sachen stecken. Außerdem gibt es Querelen innerhalb der Organisationsleitung. Und schließlich gibt es noch Nikita Michalkow, der sicher die große Figur ist, die das Festival braucht, der aber auf der anderen Seite den anderen keinen Raum zur Entfaltung lässt.

R-A: Wie schätzen Sie denn die Entwicklung des russischen Films ein?

Gaissmayer: Russland zeigt einen beispielhaften Aufschwung in der Filmindustrie. Der russische Film ist zurück. Filme wie “Koktebel” beweisen dies.

R-A: Und wie sieht es insgesamt mit der russischen Kultur aus?

Gaissmayer: Auch hier gibt es in einigen Bereichen einen Aufschwung. Die Fotobiennale hat sich zu einer großen Ausstellung entwickelt. Das liegt auch an Luschkow, der im Gegensatz zu anderen Leuten, die Geld haben, an bestimmten Dingen interessiert ist.

Die bildende Kunst hingegen ist schwach. Vor allem die Zeretelisierung Moskaus sehe ich sehr kritisch. Aber da vertritt Luschkow die Ansicht, dass man ein „Genie” gegen das Volk verteidigen müsse.

Was den Konstrukivismus und die Avantgarde der 20er Jahre betrifft, hat Russland dazu immer noch ein sehr schweres Verhältnis. Das betrifft auch die Architektur. Immerhin wurde jetzt beschlossen, zumindest das Melnikow- und das Ginsburg-Haus, sowie den Rusakow-Club und vor allem die Metro zu erhalten. Es gibt fünf – sechs Galerien, aber kein Museum für zeitgenössische Kunst.

Auch das Theater hat zu wenig Geld. Das Bolschoi hat enorme Probleme. Immerhin wurde jetzt in Moskau für die Musikszene das Internationale Haus der Musik geschaffen.

Die russische Literatur ist wieder im Kommen, auch dank Akunin und Sorokin. Sicher hat es auch eine Rolle gespielt, dass auf der Frankfurter Buchmesse vor zwei Jahren Russland das zentrale Thema war. Dennoch ist vor allem die Selbstdarstellung ein Schwachpunkt der russischen Kultur.

R-A: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte André Ballin.



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