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Geschichte und Moderne: Ausstellungsbesucherin, historische Aufnahme Königsbergs. (Plath/.rufo) |
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Sonntag, 25.06.2006
Kaliningrad: Ausstellung Geschichte KönigsbergsKaliningrad. Das alte Königsberg war schon öfter Thema für die Staatliche Kunstgalerie Kaliningrad. Nun steht der deutsch-sowjetisch-russische Lebenslauf der Ostseestadt erstmals im Mittelpunkt einer großen Dauer-Ausstellung.
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Titel der großen Retrospektive: Kaliningrad-Königsberg. Tagebücher einer Stadt.
Das erste, worauf der Besucher in der neuen Dauerausstellung trifft, ist eine Reihe haushoher Holzregale. Wie überdimensionale Raumteiler ragen sie hintereinander auf, imposante historische Stadtansichten des alten Königsberg präsentierend.
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Retrospektive gebrochener Geschichte: die neue Dauerausstellung in der Kaliningrader Kunstgalerie. (Plath/.rufo) |
Die fachwerkhafte Konstruktion schafft Transparenz und Distanz zugleich, gewährt Durchblicke auf Bilder in den benachbarten Reihen und auf Gebrauchsgegenstände, wie wahllos in die Fächer verteilt: ein Türknauf, Ziegelsteine, ein Porzellantopf mit dem Aufdruck Nudeln. Versunkene Baukunst und deren wiederaufgetauchte Reste, zusammengesperrt in ein Geviert aus Fachwerkregalen.
Ruinen hinter Sehschlitzen
Diese Modulbauweise prägt das Konzept der Retrospektive, die Königsberger Malerei und Plastiken mit Kaliningrader Gegenwartskunst vereint, in verfremdeten Fotografiken Symbole der Stadt aufeinander projiziert und einen weiten Bogen spannt über Bebenrisse der Geschichte. Hinter grauen Stellwänden taucht plötzlich impressionistische Farbwucht auf. Durch enge Sehschlitze stürzt der Blick unvermittelt auf surrealistische Ruinenlandschaften.
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Staatliche Kaliningrader Kunstgalerie |
Die Staatliche Kaliningrader Kunstgalerie am Moskowskij Prospekt besteht seit 1988. Sie birgt das größte Ausstellungszentrum der Stadt. In acht Sälen mit einer Gesamtfläche von 3000 qm werden pro Jahr bis zu 40 Expositionen russischer und ausländischer Künstler gezeigt. Die ständige Sammlung der Galerie, als offizielle Filiale der Staatlichen Russischen Museen gelistet, umfasst mehr als 10 000 Bilder, Grafiken und Skulpturen, darunter ein Zyklus wertvoller Drucke des deutschen Impressionisten Lovis Corinth. |
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Den Überraschungseffekt hat Galina Sobolozkaja, künstlerische Leiterin der Galerie, bei den von ihr entworfenen Installationen bewusst und geschickt genutzt. So gelang ihr mit den vier Tagebuch-Modulen nicht nur, den hallenartigen Raum des einst für sowjetische Monumentalkunst gebauten Ausstellungssaales zu bändigen.
Sie schaffte es auch, die Besucher mittels Durchbrüchen und Blickachsen in den Bann der doppelbödigen Stadt zu ziehen: Da zeigt etwa eine Fotoserie die Euphorie des Aufbaus der jungen sowjetischen Stadt. Wer sich umdreht, sieht gegenüber die Zerstörung Königsbergs. Aufbau und Untergang, das eine brachte das andere mit sich, sagt die Galina Sobolozkaja. Und beides lag so nah beieinander.
Zeitreise durch die Kunstwelt
In Kaliningrad trifft die Ausstellung auf viel Interesse. Mehrere tausend Menschen kamen in den ersten Tagen in die Schau. Die ist für manchen Besucher sichtlich gewöhnungsbedürftig. Da es keine vorgegebene Richtung gibt, wechselt man zwischen Zeiten, Themen, Genres. Was ist Vergangenheit, was Gegenwart? Wo endet Königsberg, wo beginnt Kaliningrad? Grenzen verschwimmen in der Welt der Kunst.
Schwarzweiß und schonungslos ehrlich
Ergänzt und bereichert wird die Retrospektive durch eine Sonderausstellung des Fotografen Dmitrij Wyshemirskij. Belym po tschornomu, Weiß auf Schwarz hat der Philosoph der Kaliningrader Fotokunst-Szene seine Werkschau genannt, die zuvor schon in Berlin und München zu sehen war. Dass sie dort als Königsberg, verzeih firmierte, deutet auf das Leit-Thema der großrahmigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen hin: die deutsche Vergangenheit in der russischen Gegenwart der Stadt.
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Skurril bis bedrückend: Besucher in der Fotoausstellung Weiß auf Schwarz. (Plath/.rufo) |
Es sind beeindruckend bedrückende Bilder, skurril auch, amüsant und schonungslos ehrlich: Ein zerbrochenes Kruzifix auf einem Erdhaufen, aus einem Grab gewühlt von einem Raubgräber. Ein Eisbär im Zoo, rücklings an Felsgestein gelehnt und mit erhobenen Pranken wie amüsiert zum Geländer seines Geheges hochblickend zu einer Runde lachender russischer Soldaten.
Eine Straßenfegerin auf nächtlichem Königsberger Kopfsteinpflaster, von einer Straßenlaterne surrealistisch beleuchtet. Ein Kaliningrader Liebespaar, engumschlungen auf der Trägerkonstruktion einer Königsberger Brücke, darunter die verwaschene Losung Wählt Thälmann!. Russische Dorfkinder, begeistert fussballspielend vor einer vor einer grässlich verfallenen ostpreußischen Kirchruine
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Der Philosoph der Kaliningrader Fotokunst-Szene: Dmitrij Wyshemirskij. (Plath/.rufo) |
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Momentaufnahmen eines Foto-Poeten
Betrachter verharren oft viele Minuten lang vor den abgründigen Momentaufnahmen Wyshemirskijs, der in Kaliningrad als Foto-Poet bekannt ist - seiner unangepassten Kunst und seiner lichtbildnerischen Mahnungen wegen, Geschichte als Teil der Kultur zu begreifen.
Seit über 20 Jahren fotografiert Wyshemirskij das Thema Königsberg-Kaliningrad. Aus tausenden Motiven wählte er 150 für das Ausstellungsprojekt aus. Für 50 war Platz.
Die Auswahl beeindrucke die Besucher so sehr, dass der Chef der renommierten Hamburger ZEIT-Stiftung, Prof. Michael Göring, nach einem Rundgang durch die Ausstellung zusagte, den Druck eines hochwertigen Bildbandes zu unterstützen.
Bis Ende August werden die allegorischen Fotografien Dmitrij Wyshemirskijs zu sehen sein. Daneben zeigt die Kunstgalerie im Jubiläumsjahr (60 Jahre Kaliningrader Gebiet) noch eine weitere Sonderausstellung: Silberschmuck Königsberger Meister, eine Auswahl kostbarer Leihgaben aus der Petersburger Eremitage.
(tp/.rufo)
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