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Anstelle des verwahrlosten Anlegers könnte das Prussendorf entstehen: der Selenogradsker Hafen Cranzbeek (Foto: Plath/.rufo) |
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Montag, 26.06.2006
Am Kurischen Haff entsteht ein PrussendorfKaliningrad. Die alten Heiden kehren zurück zumindest für Touristen: Am Kurischen Haff entsteht ein prussisches Museumsdorf. Bis nächsten Sommer sollen die ersten Häuser nach frühmittelalterlichem Vorbild aufgebaut sein.
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Geplant ist der Bau des Freilichtmuseums auf einem Ufergrundstück gegenüber des Selenogradsker Hafens Cranzbeek, in einer geschützten Mündungsbucht des Haffs. Die Häuser werden in verschiedenen Baustilen auf Basis von Ausgrabungsfunden und Forschungsergebnissen errichtet, sagt Prof. Wladimir Kulakow, Chef der Baltischen Expedition am Nationalen Archäologie-Institut Russlands.
Wir verwenden Material, das es auch damals gab, also Holz, Schilf und Lehm. Dazu, soweit rekonstruierbar, die alten Bautechniken. Prussia-Experte Kulakow sieht das Projekt als riesige Chance, Archäologie erlebbar zu machen und Touristen einen authentischen Eindruck zu geben, wie die Ureinwohner dieser Region am Haff gelebt haben.
Geschichte und ein bisschen Show
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Prussen, Pruzzen, Preußen |
Sie galten als kriegerisch, dabei haben sie sich nur gewehrt: die alten Prussen oder Pruzzen, einer früheren Schreibweise nach. Bis ins 13. Jahrhundert hinein lebten die heidnisch-baltischen Bauernstämme, enge Verwandte der Litauer, ziemlich unbehelligt im Land zwischen Kurischen Haff und Weichsel. Der Bernsteinhandel brachte den Küstenbewohnern sogar einen gewissen Wohlstand. Dann fiel der Deutsche Orden hier ein und zwang die Heiden unter das Kreuz. Vergeblich wehrten sich die Ureinwohner gegen die Eroberungszüge der Mönchsritter. Von ihnen blieb nur der Name: Aus Prussen wurde Preußen. |
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Nicht nur das. Vor der Beek-Mündung liegt in der Uferzone des Haff die Insel Schwendlund. Auf der soll ein prussisches Heiligtum nachgebildet und als Attraktion mit einem historischen Segelboot angesteuert werden. In den Fachwerk- und Pfahlhäusern des Dorfes selbst will man den zahlenden Gästen zudem althergebrachte Handwerkstechniken demonstrieren: Weben, Schnitzen, Schleifen von Bernsteinschmuck. Alle Produkte dieser Arbeit sind käuflich vor Ort wie auch per Internet. Lebendige Geschichte, Mythos und ein bisschen Show - eine Mischung, die solche Frühmittelalter-Siedlungen rings um die Ostsee museal wie wirtschaftlich zum Erfolgsmodell avancieren ließen.
Die Idee ist nicht neu. Boomende Vorbilder wie das Ukranenland im vorpommerschen Torgelow, die Wikingersiedlung auf der polnischen Ostseeinsel Wolin und die berühmte Wikingerhaupstadt Haitabu (Haddeby) an der Schlei in Schleswig-Holstein stehen dem Museumsdorf bei Cranz Pate.
Vergangenheit Schlüssel zur Zukunft?
Historisches Potenzial und Forschungarbeit in touristischen Gewinn umwandeln, beschreibt Maik Springmann den Ansatz für das Ethno-Museum am Haff. Wir holen die Vergangenheit in die Gegenwart und bauen gewissermaßen eine Brücke zwischen Wissenschaft und der Öffentlichkeit. Der deutsche Meeres-Archäologe koordiniert das Prussendorf-Projekt im Auftrage der Universität Greifswald.
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Schon seit einiger Zeit ist historische Spuren- und Wurzelsuche populär in Kaliningrad: Prussia-Ausstellung in Kaliningrad (Foto: Plath/.rufo) |
Denn das Freilicht-Museum ist Teil des Lagormar-Netzwerkes eines internationalen, von der EU geförderten Programms, das in fast zwei Dutzend Teilprojekten die Erforschung und touristische Nutzung von Kulturlandschaften im Ostseeraum zum Ziel hat. Leitmotto: Schlüssel zur Vergangenheit - Schlüssel zur Zukunft.
Da greift eins ins andere. Deutsche, russische, polnische und litauische Studenten inventarisieren derzeit die Lagunen-Landschaften rings um das Stettiner, das Frische und das Kurische Haff. Heraus kommen soll der Fingerabdruck eines gemeinsamen maritimen Lebensraums. Im Ukranenland wird demnächst ein nach historischen Wrackfunden gezeichnetes frühnordisches Handelsboot auf Kiel gelegt. Es soll ab 2008 eine Wanderausstellung Küstenlandschaften in viele Ostseestädte bringen. Auch nach Selenogradsk. Es geht darum, Grenzen zu überwinden, sagt Springmann.
Internationaler Beirat
Das ist längst gelungen. Am Lagomar-Netz knüpfen Menschen vieler Küsten mit. Zu den Partnern zählen die Universitäten Greifswald, Kaliningrad und Klaipeda, das Deutsche Schifffahrtsmuseum Bremerhaven und das Kaliningrader Weltmeeresmuseum.
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Mythos Geschichte: Freilichtmuseum in Smiltyne auf der Kurischen Nehrung (Foto: Plath/.rufo) |
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Auch für das Lagormar-Projekt Cranz wurde ein internationaler Beirat gebildet. In dem ist der neue Direktor des Selenogradsker Heimatmuseums, Alexander Liebenstein, ebenso vertreten wie der polnische Wikinger-Experte Tomasz Woitan und Chefarchäologe Wladimir Kulakow. Das Expertengremium soll verhindern, dass der Kommerz überbordet und aus dem prussischen Museumsdorf am Ende ein Disneyland wird.
Die Stadt Selenogradsk sitzt ebenfalls mit im Boot. Sie stellte das Grundstück am Haff bereit und verpflichtete sich vertraglich, das in der ersten Bauphase auf 40.000 Euro veranschlagte Projekt finanziell mitzutragen. Bürgermeister Waleri Gubarow verspricht sich touristischen Aufschwung davon. Das Museum passt genau in unser Konzept, eigene Angebote für Gäste zu schaffen. Das einstige Nobelseebad arbeitet, befreit von den Fesseln der Sowjetagonie, mit Macht an einer neuen Kurort- Karriere. Für den verlodderten Cranzbeek-Hafen existieren bereits fertige Pläne, das Becken in einen modernen Yachtport auszubauen.
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Legendäres Wiskiauten: Grabfunde belegen den Wohlstand der alten Prussen (Foto: Plath/.rufo) |
Rätselhaftes Wiskiauten
Auf das alte Cranz fiel die Wahl des Museums-Projekts indes nicht von ungefähr. Ähnlich wie Haitabu, die Vineta-Insel Wolin oder die legendäre Haffstadt Truso nahe dem heutigen Elblag ragt auch ein Ort am Südende der Kurischen Nehrung aus der frühen Siedlungsgeschichte der Ostsee heraus. Hier lag Wiskiauten eine heidnische Küstensiedlung, in der prussischen Handwerker schwunghaften Handel mit den Wikingern trieben. Reiche Grabfunde belegen das.
Das Gräberfeld ist bekannt. Es liegt quasi in Sichtweite des künftigen Museumsdorfes. Nur wo sich Wiskiauten selbst befand, weiss man bis heute nicht. Darum graben der Kieler Archäologe Timo Ibsen und sein Kaliningrader Kollege Konstantin Skorzow schon im dritten Jahr nach dem versunkenen Ort. Jüngste Georadar-Untersuchungen lassen die Forscher hoffen, endlich auf Reste des nordischen Handelsplatzes gestoßen zu sein.
Forschung erlebbar machen
Für den Lagormar-Mann Maik Springmann sind die archäologischen Forschungen ein Argument mehr für das Museumsprojekt.
Die Grabung und das Prussendorf, das passt doch bestens zusammen, sagt er. Darum geht es ja gerade: Wir müssen die Ergebnisse solche Forschungen auch für die Öffentlichkeit erlebbar machen, anstatt Funde in Fachzeitschriften auszuwerten und dann in Magazinen zu verstauen. Sonst sind teure und aufwändige Grabungen heute gar nicht mehr zu rechtfertigen.
(tp/.rufo)
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