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Michail Kononow. Die nackte Pionierin

Michail Kononow. Die nackte Pionierin. Roman.
Aus dem Russischen von Andreas Tretner. Verlag Antje Kunstmann, 2003.
ISBN 3-88897-337-6, Preis: 21,90 EUR

Von Caroline Uhlig. „Die nackte Pionierin“ heißt eigentlich Maria Muchina oder auch Motte, wie sie in der Division genannt wird. Sie ist die Muse, die gebeutelten Offizieren etwas Liebe und weibliche Wärme zukommen lässt. Vierzehn Jahre ist sie alt, die Waise, die aus ihrem kleinen Dorf an die Front gegen Hitler verschlagen wurde.

Sie verehrt Stalin, den Vater des Sowjetischen Reiches, und General Sukow, den obersten Heerführer. Beider Wort ist ihr Befehl, kein Zweifel macht sich in ihrem Pionierherz breit- nur der kollektive Wille zählt und dem hat sich der Pionier unterzuordnen. Auch wenn es schmerzt in der Nacht, wenn wieder einer der hungrigen Kämpfer den Weg zu ihr findet und ihren pubertären Körper zum Befriedigen der eigenen Qualen missbraucht. Was dem Kollektiv hilft, um den Feind Hitler in die Flucht zu schlagen, muss man bereit sein zu tun. Da gilt kein Jammern und Zagen, was getan werden muss, muss getan werden. So könnte man Mottes Sicht auf die Vorkommnisse in ihrem jungen Leben beschreiben. Es ist eine naive, indoktrinierte Sichtweise.

Sie weiß genau, wie sie die Welt, in der sie lebt, einschätzen soll. Sie ist diejenige, die im Zug eine exponierte Stellung einnimmt, zu ihr kommen die Genossen! Sie steht unter direktem Befehl von General Sukow, der sie auf Geheimmissionen schickt und des Nachts zur „Möwe“ werden lässt. Als Möwe spioniert sie den feindlichen Lindwurm aus. Als Motte durchlebt sie den Armeealltag, als Möwe lebt sie in ihren Träumen. Sie hält sich an ihren Träumen derart fest, dass sie manchmal erst aufwacht, wenn wieder mal einer nicht warten kann und ihr erneut den Schlüpfergummi zerrissen hat. Schlüpfergummi ist eines von Mottes größten Problemen. Die Kriegsproduktion dieses wertvollen Gutes funktioniert einfach nicht und dafür müsste man auf der einen Seite dem Hitler mal so richtig die Meinung geigen – aber auch, ganz ehrlich gesagt, Genossen Stalin.

Es ist recht schwer sich in Michail Kononows Buch einzufinden. Die Geschichte entspinnt sich an Mottes Erlebnissen, zwischen ihrer Wirklichkeit und ihren nächtlichen Traumflügen. Doch was erzählt wird, will so gar nicht die 14-jährige Hauptheldin im Geiste erstehen lassen. Ein vierzehnjähriges Mädchen als Regimentshure, die ihren Dienst am Kameraden politisch in einer Art und Weise rechtfertigt, die dem Leser die Haare zu Berge stehen lässt. Die Abgebrühtheit und Gleichgültigkeit, mit der Motte über die nächtlichen Ereignisse redet, sind schockierend. Sie erträgt ihr Schicksal zum Einen aus Unwissenheit (zum Beispiel küsst sie ihre nächtlichen Besucher nicht, weil das den dicken Bauch macht) und zum Anderen wegen der Flamme im Komsomolzenherz, welche alles Leiden erträglich macht, wenn man das große Ziel vor Augen hat.

Dann aber triumphiert wieder der Krieg über das Buch und lässt Mottes Übel in den Hintergrund driften. Man erfährt von Munitionsmangel, Erschießungen, täglichen Wodkarationen, blutjungen Soldaten. Es fällt schwer zu entscheiden, was schlimmer ist – Mottes oder des Soldaten Schicksal.

Alles in allem schuf Michail Kononow ein bedrückendes Buch. Es wird verständlich, warum Kononow zwölf Jahre auf Veröffentlichung warten musste, warum man ihn fürchtete. Der sowjetische Mythos des Großen Vaterländischen Krieges wäre wohl im russischen Volk nicht zerbrochen, doch Zweifel daran wären sicherlich aufgekommen. Starke Nerven braucht man für dieses exzellent geschriebene und brisante Buch. Es lohnt sich zweifellos Motte zu folgen, sie immer näher kennen zu lernen, sich mit ihr über die erste zart aufkeimende und dennoch hoffnungslose Liebe zu freuen. Aber wie der Krieg, so endet auch das Buch in nichts Gutem. In Russisch erschienen bei Limbus Press, St. Petersburg, 2001. (cu/.rufo)



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