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Vielfalt und wachsendes Vertrauen verdrängen alte Klischees

An Russland muss man glauben, lautet ein Sprichwort. Das sieht auch der deutsche Literaturagent für russische Autoren, Thomas Wiedling, so. Er hofft, dass die neue russische Literatur mit ihren vielen Facetten alte Klischees über Russland und die Russen aufbricht. Im Vorfeld der Franfurter Buchmesse sprach er mit Ines Lasch von russland-aktuell auch über das wachsende gegenseitige Vertrauen deutscher und russischer Partner im Literaturbetrieb.



Russland präsentiert sich unter dem Motto „Neue Seiten“ mit einem Mammutprogramm. Sind das, was die russischen Organisatoren zur Buchmesse mitbringen, wirklich neue Seiten der russischen Literatur?
Aber sicherlich. Auch wenn freilich in keinem Land der Welt nach noch so großen politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen alle Autoren plötzlich ganz anders schreiben. Aber das, was die russischen Autoren, egal welcher Generation sie angehören, in den letzten zehn Jahren "aufgeblättert haben", war zu einem großen Teil neu für das russische Lesepublikum und ist es erst recht für die westlichen Leser.

Wie gestaltete sich Ihre Zusammenarbeit mit den russischen Organisatoren in Vorbereitung der Buchmesse?
Sehr gut. Wir wurden gebeten unsere Erfahrungen einzubringen, unsere Ideen wurden gehört, und es wurde versucht Vieles davon umzusetzen. Dass so etwas nie zu hundert Prozent gelingt, ist bei solchen Mammutprojekten überall auf der Welt so. Und dass die Russen Vieles sehr spät und ein wenig chaotischer organisieren würden als die Deutschen, musste uns als Agenten, die wir lange vertraut sind mit dem Russian way of life, von vornherein klar sein. Aber wenn wir nicht an einen erfolgreichen Schwerpunkt Russland glauben, wer dann?

Warum fehlen viele der jungen Autoren in der offiziellen Delegationsliste und kommen auf Initiative ihrer deutschen Verlage? Zum Beispiel Irina Deneschkina.
Es sind mehr junge Autoren in der offiziellen Delegation als durch andere Initiativen anreisen. Aber jede Initiative ist positiv. In der Marktwirtschaft ist Privatinitiative gefragt. Es ist doch auch ein Zeichen der neuen Zeit in Russland, wenn die offiziellen Behörden nicht alles an sich reißen, sondern Verlage zusammen mit deren deutschen Partnern selbst aktiv werden lassen.

Es heißt, die russische Delegation umfasst mehrere tausend Mitglieder, aber nur knapp ein halbes Hundert Autoren. Was ist daran wahr?
Nibbe&Wiedling Literary Agency hat allein für knapp 80 Autoren die deutschen Übersetzungen für deren Lese-Auftritte auf der Buchmesse beschafft. Allein solch ein Lese-Marathon im Forum und in der Halle 5 spricht für sich. Und dass es den russischen Organisatoren darauf ankam, die Top-Leute der hiesigen Übersetzer dafür zu engagieren, zeigt, dass es ihnen sehr auf das "Literarische" bei diesem Frankfurt-Auftritt ankommt.

Ist die Präsentation letztlich nur eine PR-Veranstaltung des Kremls bzw. Ausdruck der Machtverhältnisse im russischen Literaturbetrieb?
Darüber nach der Buchmesse zu urteilen, überlasse ich besser der internationalen Presse.

Die russische Seite gab auf unsere Anfrage keine Auskünfte darüber, welche Verlage letztlich zur Buchmesse anreisen. Warum tun sich die russischen Organisatoren Ihrer Meinung nach so schwer mit detailierten Auskünften zu den Teilnehmern der Messe? Ein Überbleibsel aus Sowjetzeiten?
Vielleicht auch ein Zeichen für die schwindende Macht einer alles überwachenden Zentralgewalt?

Wie arbeiten Sie mit russischen Verlagen zusammen? Mit welchen zum Beispiel Mit allen, die interessante Autoren in ihrem Programm haben.

Wie und mit wessen Hilfe entdecken Sie neue russische AutorInnen?
Als Slawist beschäftige ich mich seit rund zwanzig Jahren intensiv mit russischer Literatur. Meine Geschäftspartnerin Bettina Nibbe ist seit knapp zehn Jahren mit ihrer Agentur in Osteuropa, vor allem auch Russland zu Hause. Zusammen mit unserem Scout in Moskau sowie weisen Ratgebern und weltweiten Co-Agenten hat sich ein engmaschiges Netzwerk entwickelt. Wir glauben, dass unser wachsender Erfolg darin besteht, dass russische Autoren wie Verlage uns mehr und mehr vertrauen.

Welche sind für Sie die Kriterien, einen neuen Autor oder eine neue Autorin deutschen Verlagen und dem deutschsprachigen Publikum vorzustellen?
Die Eigenwilligkeit des Werkes.

Wie reagieren deutsche Verlage darauf, wenn Sie völlig unbekannte AutorInnen anbieten?
Offen und interessiert.

Eine Alexandra Marinina oder Polina Daschkowa verkaufen sich nach dem ersten Erfolg wie warme Semmeln. Ein Autor wie Fridrich Nesnanski hingegen, dessen Bücher in Russland genau so erfolgreich verkauft und verfilmt werden, wurde seit Mitte der 1980er Jahre nicht mehr in deutscher Sprache verlegt, nachdem seine Agentin in England gestorben war. Kommt dem/der Literaturagente/in eine Schlüsselrolle für den kommerziellen Erfolg eines Autors in zu?
Der Agent kann auf Dauer niemals besser sein als die Bücher, die er vertritt.

Sind Sie als LiteraturagentIn gleichzeitig eine Art PR-Agent für die AutorInnen, die sie betreuen?
Schön, dass Sie das Weibliche ins Spiel bringen. Denn Nibbe&Wiedling sind Bettina Nibbe und Thomas Wiedling, ein eingespieltes Team, in dem jeder seine Stärken einbringen kann. Und nicht zuletzt in der Betreuung von Autoren wie Autorinnen sind manchmal weibliche, manchmal männliche Stärken gefordert.

Welche Kriterien legen deutsche Verlage an die Veröffentlichung eines neuen russischen Autors bzw. einer Autorin?
Das fragen Sie besser die Verlage selbst.

Sie haben Alexander Terechows „Rattenjagd“ übersetzt. Ist die Groteske aus Ihrer Sicht das Mittel der Autoren, in der sich rasend schnell ändernden russischen Gesellschaft Orientierung und Halt zu finden?
Was für einen Autor das richtige Mittel ist, kann für den anderen das falsche sein.

Haben Sie eine Reaktion von Lesern und Verlagen, welches Russlandbild die neue russische Literatur im Westen vermittelt?
Hoffentlich ein sehr vielfältiges Bild in den unterschiedlichsten Farben, das alle alten Klischees grau aussehen lässt.

Wer wählt die ÜbersetzerInnen für neue anzubietende Werke aus?
Der Verlag.

Wie werden Übersetzungen russischer Literatur in Deutschland gefördert?
Durch verschiedene deutsche Stipendien privater wie staatlicher Förderer an die immer noch nicht adäquat entlohnten Übersetzer.

Welche Foren und Veranstaltungen haben Sie auf der Frankfurter Buchmesse vor zu besuchen?
Zuallererst die unserer Autoren, am liebsten natürlich alle zum Schwerpunkt.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Der Winter ist eingezogen. Für ein paar Monate können sich die Russen in den Moskauer Parks an zahlreichen Eisskulpturen erfreuen. (Topfoto: Ballin)



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