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Mitunter in Viererreihe: Stau am Grenzübergang Bagrationowsk. (Foto: Plath/.rufo
Mitunter in Viererreihe: Stau am Grenzübergang Bagrationowsk. (Foto: Plath/.rufo
Donnerstag, 27.07.2006

Kaliningrad: Dauerstau verschreckt Reisende

Endlose Autoschlangen, bis zu 30 Stunden Wartezeit, Zollbürokratie: Alltag an den Grenzübergängen des Kaliningrader Gebiets. Wer durch ist, weiß warum Touristen und Investoren fernbleiben. Hauptschuldiger: der polnische Zoll?

„Hätte ich das vorher gewusst, nie wäre ich hierher gefahren!" Margrit Thietke war wütend. Gemeinsam mit ihren Mann wollte sie ein paar Tage Urlaub machen an Russlands Bernsteinküste, doch am Grenzübergang Gromowo/Mamonowo, 40 Kilometer südlich von Kaliningrad, verging den Deutschen die Ferienlaune.

Dreieinhalb Stunden dauerte die Grenzpassage bei der Einreise. „Am liebsten wären wir wieder umgekehrt. Erst steht man ewig, dann dieser Zirkus mit der Einfuhrurkunde für das Auto. Und niemand sagt einem, wo man was erledigen muss. Reine Schikane."

„Welcome in Russia“ – Willkommen in der Bürokratie


Dabei hatten die beiden Greifswalder Kaliningrad-Touristen noch Glück. Gewiss, die Einreise nach Russland ist umständlich; vor allem das Ausfüllen der in Kyrillisch gehaltenen Migrationskarten und das bürokratische Prozedere der zeitweiligen Einfuhrerlaubnis für den privaten Pkw zerren an den Nerven EU-verwöhnter Westtouristen. Trotzdem geht es meist vergleichsweise zügig.

Noch schlimmer als die Einreise nach Russland ist die Ausreise - bzw. die Einreise nach Polen



Wer es dann geschafft hat und den letzten Schlagbaum passiert, bekommt hinter dem Schild „Welcome in Russia" einen Eindruck davon, was ihm auf der Rückfahrt blüht: Stoßstange an Stoßstange reihen sich die Autos zu einer kilometerlangen Dauerschlange, eine Spur für Russen, eine für die EU. Die ist meist fünfmal länger, denn Europa – das ist auch Polen.

Und polnische Männer sind hier die überwältigende Mehrheit, viele sind jung, vielleicht Mitte 30, manche Rentner. Man steht in Gruppen beieinander, redet, raucht, lacht. Man kennt sich. Seit Jahren.

Beruf: Schmuggler


Bei Russland-Aktuell
• Kaliningrad: Neue Fährlinie ab 2007 nach Deutschland (06.07.2006)
• Kaliningrad: Russlands Boomtown an der Ostsee (01.07.2006)
• Kaliningrad: Altes Stadttor im neuen Glanz (11.01.2006)
• Warum im Zentrum Europas Russisch verstanden wird (26.07.2005)
• Kaliningrad: Neue Strassenverbindung mit Polen (05.05.2005)
Es sind Grenzhändler. Die Grenze ist ihr Arbeitsplatz, das Auto auf internationalen Warenumschlag bestens vorbereitet:

Mit billigem russischem Benzin im präparierten, auf das Dreifache des ursprünglichen Volumens erweiterten Tank, Schmuggelzigaretten und ein paar Flaschen Wodka an Bord warten sie auf die Heimfahrt.

Fast alle nutzen die wie erstarrt stehende Kolonne, um Verstecke in den Autos zu füllen. Einer stopft seelenruhig eine Stange Zigaretten nach der anderen in blickdichte schwarze Strumpfhosen, umwickelt die Pakete mit Klebestreifen und verstaut sie hinter dem abgeschraubten Armaturenbrett. Eine Frau hat die Sitzbank ihres klapprigen Uralt-Golf hochgeklappt, um dort Wodka zu bunkern.

"Der Grenzer, der Hund, wird immer fetter"


Dass Miliz und Grenzschutz in Sichtweite stehen, stört hier in der Warteschlange des Übergangs Mamonowo niemanden. „Alle wissen es", sagt einer der Pendler und schickt verächtliche Blicke in Richtung Schlagbaum. „Na und? Kriegen doch auch alle genug davon ab. Guck sie dir an! Werden immer fetter, die Hunde."

Arbeitsplatz Grenze: Pendlerkolonne am Übergang Mamonowo (Foto: Plath/.rufo)
Arbeitsplatz Grenze: Pendlerkolonne am Übergang Mamonowo (Foto: Plath/.rufo)
Ameisen werden die Grenzschmuggler in Polen genannt, in Kaliningrad heißen sie „Tschelnoki" – weil sie wie Webschiffchen, russisch tschelnok, rastlos hin- und hereilen. Etwa 100.000 Menschen, so vorsichtige Schätzungen, leben beiderseits der russisch-polnischen Grenze von dem Geschäft mit Wodka und Zigaretten. Die Leute sind arm, der Handel blüht. Um die 50 Dollar verdient ein Schmuggler pro Grenzpassage, immerhin noch 20, wenn er sich an die Zollnorm hält.

Teure Schleuserdienste - besonders in Richtung Westen, Polen, EU


Da stehen sie und blockieren die Grenze, vor allem in Richtung Westen. Während sich auf der polnischen Seite der Kaliningrader Übergänge Mamonowo, Goldap und Bagrationowsk bei der Einreise nach Russland selten mehr als zehn Autos stauen, liegen die Wartezeiten bei der Ausreise aus Russland bei bis zu 30 Stunden, wer unter acht steht, hat einen richtig guten Tag erwischt.

Touristen, die den Laden nicht kennen, haben kaum eine Chance, das System zu überwinden. Es sei denn, sie zahlen. „Kaum hatten wir den Motor abgestellt, stand schon ein Mann neben uns am Auto, klopfte an die Scheibe und bot an, uns nach vorne an den Schlagbaum zu bringen, an der Schlange vorbei. Hundert Euro wollte er dafür", schildert ein Tourist aus Köln typisches Grenzerlebnis.

Polizei fordert Staugebühr


Festung Europa: Polnische Abfertigungsterminal Bezledy (Foto: Plath/rufo)
Festung Europa: Polnische Abfertigungsterminal Bezledy (Foto: Plath/rufo)
Andere, die sich weigerten und lieber anstehen wollten, erlebten es am Übergang Mamonowo noch dreister. Dort macht sogar die Miliz mit den Schleusern gemeinsame Sache, wie ein Kaliningradreisender in einem Brief an die Zeitung „Komsomolskaja Prawda“ berichtet: „Als wir nicht bezahlen wollten, ging der Grenzhelfer wieder, dafür kam ein paar Minuten später ein Polizist von dem Postenhäuschen weiter vorn, und nun sollten wir die Wartezeit in der Grenzschlange bezahlen. Als Parkgebühr. Die stecken alle unter einer Decke dort!"

Zumindest diese extremen Fälle von Touristen-Abzocke sind in den letzten Monaten weniger geworden. Wegen der Wellen, die die Berichte in der Öffentlichkeit schlugen, griffen die Grenzbehörden ein, nicht zuletzt auf Druck der Gebietsregierung und des Deutschen Generalkonsulats in Kaliningrad.

Pendler sind sich einig: seit Polen die EU-Grenze bewachen, geht alles noch langsamer


Wer schuld ist an der einseitig verstopften Grenze, darüber sind sich in der Pendlerkolonne alle einig: Polen. Seit der polnische Grenzschutz zum Torwächter der Europäischen Union avancierte, schleift es mit dem Abfertigungstempo.

Da platzt selbst hart gesottenen Schmugglern schon einmal der Kragen: Höchstens alle halbe Stunde hebt sich der Schlagbaum unter dem blauen Banner mit dem Sternenkranz, mal dürfen 20 Autos rein, mal auch nur fünf. Selbst Reisebusse stehen schon mal zwei Stunden am Zaun der EU-Außengrenze – obwohl fünfzig Meter weiter in der Busspur alles frei ist.

Die polnischen Zöllner lassen sich derweil viel Zeit beim Kontrollieren und Abfertiegen, bei der Teepause und dem Schichtwechsel.

Der polnische Zoll wird nicht müde, das restriktive Regime mit den strengen EU-Bestimmungen zu begründen. Man sei willens und angewiesen, Schmuggel und Menschenhandel einzudämmen.

Scharf kontrolliert werden die Fahrzeuge tatsächlich. Vor allem die russischen. Mit Spezialkameras, die in jeden Karosseriespalt passen, Klopfproben, Drogenhunden.

Bei den eigenen Leuten ist es offenbar etwas anders. Es ist ein offenes Geheimnis unter den polnischen Grenzpendlern: Wer zahlt, kommt durch.

(tp/.rufo)


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