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Freitag, 09.09.2005

Ukraine: Schlangengrube an der Staatsspitze

Moskau. Putin hat gut Lachen. Noch in Berlin griff er zum Telefon –auf Schröders Schreibtisch– und sprach Viktor Juschtschenko in Kiew Mut zu. Man solle die Lage nicht dramatisieren. Tatsächlich steuert Kiew in die Krise.

Premierministerin Julia Timoschenko, so wollen ukrainische Medien wissen, habe Viktor Juschtschenko nach ihrem Rauswurf Verrat vorgeworfen. Schon den dritten Verrat an seiner engsten politischen Partnerin, ohne die er nie Präsident geworden wäre.

Das erste Mal habe er sie verraten, als er seinerzeit im Amt des Premierministers trotz aller Freundschaft der Entlassung seiner Vize-Premierin Timoschenko zustimmte. Das zweite Mal habe er sie verraten, als er die von Timoschenko angeführte Bewegung „Ukraine ohne Kutschma“ faschistisch nannte. Timoschenkos Pressedienst dementierte das, aber es scheint sicher, dass die Beziehung der beiden seit gestern beendet ist.

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Schlangengrube an der Staatsspitze

Gestern hatte Viktor Juschtschenko das Bild einer Schlangengrube an der ukrainischen Staatsspitze gezeichnet. In seiner Rede, mit der er den Rauswurf des gesamten Kabinetts und der Spitzen von Geheimdienst, Nationalem Sicherheitsrat und Staatsanwaltschaft begründete, beklagte er sich bitterlich.

Bei Versammlungen habe man nicht ihm zugehört, sondern an den eigenen Intrigen gestrickt und nach der Besprechung nur das gemacht, was der eigenen Karriere förderlich ist. Logische Schlussfolgerung: die ganze Mannschaft in die Wüste zu schicken.

Juschtschenko konnte nicht anders. Aber so kann er auch nicht

Juschtschenko hatte seine Position natürlich auch in politische Begriffe gegossen. Das Orangene Team habe den Teamgeist verloren. Der Dauerkonflikt zwischen staatlichen Schlüsselpositionen habe die Ukraine an die Grenze der Ruhe und Stabilität gebracht. Das Team sei degeneriert, es hätten sich Blöcke gebildet, die sich gegenseitig mit „Kompromat“ aller Art erpressten. Die orangenen Wähler seien enttäuscht.

Unfähig, das Land zu regieren

Tatsächlich schien die Regierung Juschtschenko-Timoschenko nicht mehr in der Lage, das Land zu regieren.

Vor allem, weil auch die neuen orangenen Machthaber fast alle aus dem alten Stall stammten und den alten Stallgeruch mitbrachten. Die „neue Elite“ betrachtet den Staatsdienst weiter als Selbstbedienungsladen.

Zum zweiten aber wurde die Regierungsarbeit durch zunehmende Reibereien zwischen Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko paralysiert. Die kleine Julia, so meinen Beobachter, habe es geschafft, den großen Viktor an die Wand zu spielen.

Timoschenko habe in den letzten Wochen darüber nachgedacht, ob sie bei den Parlamentswahlen im kommenden Jahr mit ihrer Partei selbstständig – und in Konkurrenz zu Juschtschenko – antreten sollte.

Die kleine Julia spielt den großen Viktor an die Wand

Juschtschenko hat nach seinem Befreiungsschlag von gestern jetzt zwar die Hände frei, wird aber wenig damit anfangen können, weil er Probleme haben dürfte, eine neue Regierungsmannschaft zu bilden, die frei vom alten Stallgeruch ist. Und die erzieherische Wirkung des Rundumschlages auf die alten Team-Mitglieder dürfte ausgesprochen begrenzt bleiben.

Julia Timoschenko hingegen hat auch die Hände frei. Sie kann sich in der Opposition zu ihrem alten Kampfgenossen und dessen Fehlern noch besser profilieren und ihn noch besser an die Wand spielen, darin scheinen sich Moskauer und Kiewer Beobachter einig zu sein.

Demnach hat Juschtschenko mit seinem Befreiungsschlag gestern nicht den Weg für sich, sondern für seine Konkurrentin frei geräumt.

Und von einer weiteren Integration der Ukraine in Richtung Europa kann erstmal nicht mehr die Rede sein.

(gim/.rufo)


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