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Mittwoch, 29.05.2002

Streit um Kaliningrad-Transit geht weiter

Von Lothar Deeg (St. Petersburg) Nach zwei ausgesprochenen Freundschafts-Gipfeln mit US-Präsident Bush und der Nato schlug Wladimir Putin bei seinem dritten Gipfeltreffen innnerhalb einer Woche erstmals scharfe Töne an: Die Beziehungen Russlands zur Europäischen Union stehen und fallen mit einer Lösung für den Transitverkehr aus der russischen Ostsee-Exklave Kaliningrad ins russische Mutterland. Doch Russland biss mit seinen Wünschen bei der EU-Delegation auf Granit.

Putin und die Europäer unter Führung des spanischen Ministerpräsidenten Jose Maria Aznar einigten sich nur darauf, dass dies eine „Schlüsselfrage“ sei, die es weiter zu verhandeln gelte. Gestritten wird über ein Problem, dass es noch nicht gibt: Nach dem für 2004 erwarteten EU-Beitritt Polens und Litauens wird das Gebiet Kaliningrad an der Ostsee, die Nordhälfte des einstigen deutschen Ostpreußens, zu einer russischen Insel innerhalb der Gemeinschaft. Gleichzeitig werden sich die Beitrittsländer auch der „Schengen-Zone“ anschliessen, die den internen ungehinderten Reiseverkehr mit verschärften Kontrollen und Visa-Bestimmungen an den Außengrenzen kompensiert. Schon jetzt kündigten Polen und Litauen die bisherigen Regelungen auf, die es den Exklaven-Bewohnern erlaubten, ohne größere Hindernisse ein- und auszureisen.

Freizügige Ausnahmen gibt es bekanntlich - doch etwa im Gegensatz zur reichen, ebenfalls EU-umschlossenen Schweiz handelt es sich bei der von 900.000 Menschen bewohnten russischen Provinz um den armseligsten Flecken Nordeuropas: Kaliningrad erreicht nur 75 Prozent des durchschnittlichen russischen Pro-Kopf-Bruttosozialprodukts. Ein großer Teil der Bevölkerung lebt vom Kleinhandel und Schmuggel über die Grenzen zu den – vergleichsweise wohlhabenden - Nachbarn. Die Kriminalität ist erschreckend hoch, genauso wie die Aids-Rate. Lässt auch noch die EU die Schlagbäume herunter, droht die Exklave zu einem „Reservat“ zu werden, so der russische Fernsehsender NTW.

Die EU möchte jedoch verhindern, dass der Kaliningrad-Transit zu einem Loch im Zaun wird, das es nicht nur den Kaliningradern, sondern allen russischen Transitreisenden erlauben würde, sich unterwegs nach Schengen-Land abzusetzen. Die russische Forderung nach „Korridoren“ nach dem Muster der einstigen Transit-Strecken durch die DDR nach West-Berlin wurde deshalb schon vor dem Gipfel von der EU abgelehnt. Trotz aller aktueller Freundschaftsbeweise zwischen Russland und dem Westen beharrt die EU „aus Sicherheitsgründen“ auf Pass- und Visapflicht. Bereit ist man zur Hilfe beim Ausbau der Kontrollstellen und zur Eröffnung zusätzlicher Konsulate im einstigen Königsberg.

„Nach der Beerdigung des Kalten Krieges ist dieser Rückschritt nicht verständlich“, ärgerte sich Putin in Moskau. „Das Recht russischer Bürger, ihre Verwandten in diesem oder jenem Landesteil zu besuchen, wird vom Willen ausländischer Staaten abhängen.“ Laut Wladimir Nikitin, dem Vorsitzenden des Kaliningrader Gebietsparlaments, fordert Russland wenigstens Züge, die ohne Halt durch Litauen rollen, „zur Not verplompt und mit einem Polizisten in jedem Waggon“.

Doch EU-Kommissionschef Romano Prodi beharrte in Moskau eisern auf den Schengen-Prinzipien, die weder Transitzüge noch langfristig erteilte Zwölf-Stunden-Visa kennen. Angesichts dieser Machtdemonstration der Europäer wurde von russischer Seite gar der Vorwurf des „Bürokratismus“ laut – etwas absurd angesichts der eigenen verkrusteten Verwaltungsmaschine. Auch besteht Russland aus Prinzip darauf, dass die Reise-Regelung für alle Bürger und nicht nur die Exklave-Bewohner gilt.

Einigkeit herrschte bei den Gesprächen in Fragen der Energie-Kooperation, beim Blick auf die Krisenherde in Nahost und Kaschmir sowie bei der Unterstützung eines russischen WTO-Beitritts. Die EU will Russland als marktwirtschaftliches Land anerkennen, obwohl die auf dem russischen Binnenmarkt bedeutend niedrigeren Energiepreise dieses momentan eigentlich nicht erlauben.

Die radikalste Lösung für das leidige Transit-Problem wurde von EU-Kommissionschef Romano Prodi allerdings schon vor Beginn des Gipfels ad acta gelegt: Russland sei zwar ein grundlegender Teil Europas – für einen Beitritt zur Gemeinschaft sei es aber einfach zu groß.

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