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Demonstration für den inhaftierten Umwelt-Aktivisten Grigori Pasko (Foto: Djatschkow/.rufo)
Mittwoch, 04.05.2005

Russische NGOs in der gelenkten Demokratie

Jens Siegert, Moskau (Fortsetzung des Beitrags vom 13. April). Der Burgfrieden zwischen Staat und NGOs nach dem Bürgerforum im Herbst 2001 hielt nicht lange. Genauer gesagt: nicht auf allen Ebenen.

Während es regional und sektoral durchaus gelang, mit den Behörden dauerhafte Arbeitsbeziehungen zu entwickeln (so zum Beispiel in den Bereichen Bildung, Zivildienst, teilweise Flüchtlinge) bleiben die Beziehungen zwischen NGOs und Kremlapparat vom politischen Tagesgeschehen, sowie von taktischen und strategischen Überlegungen des Kremls bestimmt.

Seit 2002 versuchten hochgestellte Mitarbeiter der Präsidentenadministration, die sich darum bemühten, ein aus ihrer Sicht konsolidiertes Parteiensystem zuentwickelen, eine Reihe von NGOs dazu zu bewegen, eine politische Partei zu gründen. Nach deren Weigerung erlahmte das Interesse des Kremls zunächst.

Drei Ereignisse im Spätherbst 2003 führten dann zu einer Wiederbelebung der Anstrengungen – die Verhaftung Michail Chodorkowski, die „Rosenrevolution“ in Georgien und die Niederlage der liberalen Parteien bei den Dumawahlen im Dezember. Die Verhaftung Chodorkowskis beendete die kurze Hoffnung auf langfristige und nachhaltige Finanzierungsmöglichkeiten für NGOs innerhalb Russlands.

NGOs halfen dem Rosenrevolutionär Michail Saakaschwili in Georgien beim Umsturz (Foto: www.newsru.com) Bereits im Sommer 2003 – nach der Verhaftung des Jukos-Aktionärs Platon Lebedjew, das das Vorgehen gegen den Konzern einleitete – hatten führende NGO-VertreterInnen gemeinsam mit den Vorsitzenden der drei wichtigsten Unternehmer- und Industrieverbände zudem einen offenen Brief an Präsident Putin geschrieben, in dem sie Gespräche zu einem „neuen Gesellschaftsvertrag“ anboten. Der offene Brief blieb ohne Antwort.

NGOs auf verbotenem Terrain

Die Verhaftung von Michail Chodorkowskij im Herbst 2003, der am Vortag auf einer von Kreml und NGOs gemeinsam organisierten Nachfolgekonferenz des Bürgerforums von 2001 aufgetreten war, wurde von vielen NGOs in öffentlichen Erklärungen verurteilt. Damit begaben sie sich aus Kremlsicht auf verbotenes, im russischen Diskurs als „politisch“ bezeichnetes Terrain.

Der Umsturz in Georgien wurde in großen Teilen der russischen Machtelite als Niederlage gegenüber „dem Westen“ und als Misserfolg der russischen Politik aufgefasst. Zudem eine Niederlage in der eher „weiche“, beim russischen Politikestablishment und seinen Polittechnologen bis dahin eher gering geachtete Kräfte eine große Rolle spielten.

Insbesondere die von der Soros-Foundation unterstützte Studentenbewegung „Chmara“ wurde in der innerrussischen Diskussion als ein entscheidendes, „von außen gesteuertes“ Element der georgischen Revolution wahrgenommen. Nichtregierungsorganisationen verwandelten in dieser Perzeption von einer ab und an unangenehmen zu einer potentiell gefährlichen, vor allem aber Russland gegenüber „feindlich“ eingestellten Erscheinung.

Im Büro der Soldatenmütter (Foto: .rufo) Die Niederlage der liberalen Parteien Jabloko und SPS (Union der Rechten Kräfte) bei den Dumawahlen am 7. Dezember 2003 führte in der Präsidentenadministration zur Wiederbelebung der internen Diskussionen um eine „liberale“ oder „rechte“ Partei im konsolidierten Parteiensystem der Gelenkten Demokratie. Bei einem Treffen mit Mitgliedern der Kommission für Menschenrechte beim Präsidenten, der führende NGO-Vertreter angehörten, zeigte sich Präsident Putin drei Tage nach der Wahl über die Niederlage beider liberaler Parteien wenig erfreut.

Steuergesetze und Rat für Zivilgesellschaft

Aus all diesen Gründen stieg im Kremlapparat in der ersten Jahreshälfte 2004 das Interesse an den NGOs. Dies führte zu Aktivitäten in zwei Bereichen: Zum einen gab es bereits seit Beginn 2004 Gespräche zwischen Kremlverwaltung und führenden NGO-Vertretern über die Umwandlung der Kommission für Menschenrechte beim Präsidenten (Vorsitzende: Ella Pamfilowa) in einen Rat zur Förderung der Zivilgellschaft.

Analyse
• Russische NGOs in der Gelenkten Demokratie (Teil 1)
Den Verhandlungsführern aus der Präsidentenadministration war insbesondere die Einbindung einer Reihe von oppositionellen NGO-Führungspersonen wichtig. Die Gespräche stockten aus unbekannten Gründen kurz vor der Präsidentenwahl und wurden erst nach Beslan wieder aufgenommen. Die Kommission wurde im Herbst 2004 in den angestrebten Rat umgewandelt, dessen wichtigste Funktion aus Kremlsicht die eines Kommunikationskanals in den zivilgesellschaftlichen Sektor sein soll. Eine Funktion, über die Präsident Putin selbst mehrfach bei Treffen mit NGO-Vetretern gesprochen hatte.

Zum anderen erarbeitete das Finanzministerium eine Änderung der Steuergesetze, die zweckgebundene Zuwendungen betreffen (russisch: „granty“). Zukünftig sollen alle Geberorganisationen, also nicht nur ausländische wie bisher, verpflichtet werden, sich in einer einheitlichen, von der Regierung zu führenden Liste registrieren zu lassen. Nur für „granty“ von registrierten Organisationen sollen die Empfänger künftig keine Gewinnsteuern von 24 Prozent zahlen. Die steuerbefreiten Zwecke werden in dem Gesetzentwurf, hier einer seit 2001 erhobenen Forderung der NGOs folgend, erweitert: Neben der Förderung von Kultur, Kunst, konkreter wissenschaftlicher Forschung, dem Schutz der Umwelt und Bildung sollen künftig auch soziale Hilfe und der Schutz der Menschenrechte förderwürdig sein.

Als dritte wesentliche Änderung soll künftig jedes steuerbefreite Projekt von einer Regierungskommission begutachtet und genehmigt werden. Zudem kann diese Genehmigung nur erteilt werden, wenn sich eine regionale oder kommunale Behörde schriftlich verpflichtet, die zweckgemäße Verwendung des „grant“ zu garantieren. Diese beiden Vorschriften sind, so sie Gesetz werden, ein Instrument für unmittelbare politische Kontrolle und eine Einladung zur Korruption, wie das soziologische Forschungsinstitut INDEM im Herbst 2004 in einem Gutachten feststellte. Die beschriebenen Gesetzesänderungen wurden am 5. August 2004 von der Staatsduma in erster Lesung angenommen.

Wladimir Putin - hier bei einer Regierungssitzung - will einen kontrollierten Dialog mit der Zivilgesellschaft (Foto: Kreml-Pressedienst) Als Resultat intensiver Verhandlungen leitete Ende des Sommers der Leiter der Präsidentenabteilung Dmitri Medwedjew der Duma eine von Präsident Putin unterzeichnete Stellungnahme zu, in der der Duma empfohlen wird, den Absatz mit der Erweiterung der förderwürdigen Ziele auch in zweiter und dritter Lesung anzunehmen, die Absätze über die Liste von Geberorganisationen und die Genehmigungskommission dagegen zu streichen.

Die zweite Lesung sollte Ende Oktober stattfinden. Doch wohl vor allem im Zusammenhang mit den Ereignissen um die Präsidentenwahlen in der Ukraine wurde die zweite Lesung mehrfach verschoben und hat bis zur Veröffentlichung dieses Artikels noch nicht stattgefunden. Die \\"orangene Revolution\\" in der Ukraine verstärkte Befürchtungen in der Präsidentenadministration, auch russische NGOs könnten zukünftig eine ähnlich entscheidende Rolle spielen, wie die Studentenorganisation „Pora“ in der Ukraine.

Beslan im September 2004

Die Tragödie von Beslan rief im Kreml große Ratlosigkeit hervor. Putins erste Ansprache am 4. September, dem Tag nach dem blutigen Ende der Geiselnahme, war in der Analyse wenig stringent und bot sehr widersprüchliche Erklärungen und Handlungsoptionen an. Der russische Präsident paraphrasierte mit seiner These, Russland habe Schwäche gezeigt „und die Schwachen schlägt man!“ (unbewusst?) Stalin, bemerkte aber auch: „Die Ereignisse in anderen Ländern zeigen: Auf die effektivste Gegenwehr stoßen die Terroristen gerade dort, wo sie es nicht nur mit der Macht des Staates, sondern gleichzeitig mit einer organisierten, solidarischen Zivilgesellschaft zu tun haben.“

Zehn Tage später konkretisierte Putin welche Maßnahmen er zum „Kampf gegen den internationalen Terrorismus“ zu ergreifen gedenke. Die wichtigste war die Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure und Republikspräsidenten. Mit der angestrebten Bildung einer „Gesellschaftskammer“ (Obschtschestwennaja Palata) nahm er die alte Idee einer korporativen Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen wieder auf.

Im Laufe des Herbstes wurde ein Gesetzentwurf für die Schaffung einer „Gesellschaftskammer beim Präsidenten der Russischen Föderation“ vorgelegt. Die Aufgabenbeschreibung dieses Organs ist widersprüchlich. So soll es auf der einen Seite den Präsidenten in allen die Zivilgesellschaft betreffenden Fragen beraten. Auf der anderen Seite soll die Kammer staatliches Handeln einer zivilen und gesellschaftlichen Kontrolle unterwerfen.

Putin ernennt Vertreter der Zivilgesellschaft

Auch die Art der Auswahl der Mitglieder der Kammer stößt bei vielen NGOs auf Kritik. Es ist vorgesehen, dass das erste Drittel der insgesamt 126 Mitglieder vom Präsidenten selbst ernannt wird, die nächsten 42 Mitglieder werden von den Ersternannten kooptiert. Weitere 42 Personen werden in sieben in den sogenannten Föderalbezirken einzuberufenden Konferenzen „gewählt“, ohne dass der Gesetzentwurf Hinweise gibt, wie diese Konferenze zustande kommen und welche Wahlverfahren zur Anwendung kommen sollen. Damit sind möglichen Manipulationen Tür und Tor geöffnet.

Die Menschenrechtgesellschaft Memorial hat angesichts dieser Widersprüche Mitte Februar 2005 in einer öffentlichen Stellungnahme erklärt, sich keinesfalls an der Gesellschaftskammer zu beteiligen. Staat und Gesellschaft müssten in einem echten Dialog unabhängige Partner bleiben. „Alle Versuche, diesen Dialog in einem Organ zu konzentrieren, werden lediglich zu einer Imitation dieses Dialogs führen. In einer Kammer, die in das System der staatlichen Macht eingebaut ist, wird der Staat nur mit sich selbst reden.“

Die Diskussion, ob es nicht insbesondere für regionale NGO geradezu notwendig sein kann, sich an der Gesellschaftskammer oder deren zu erwartender, teilweise bereits existierender kleiner, regionaler Schwestern zu beteiligen hält aber weiter an.

Repression gegen NGOs?

Ohne Frage sind die Handlungsspielräume für NGOs in Russland in den vergangenen Jahren kleiner geworden, eine Entwicklung, die sich 2004 eher noch verstärkt hat. Ihre bisherige Hauptfinanzierungsquelle, ausländische Geberorganisationen, sprudelt weit weniger üppig als noch zu Beginn des Jahrzehnts. Das hat einerseits mit der Umorientierung vor allem amerikanischer Stiftungen und Demokratie-Förderungs-Einrichtungen in den Nahen und Mittleren Osten und auch nach China zu tun, andererseits aber auch mit der gezielten Politik des Kremls, die den Zugang zu diesen Finanzierungsquellen erschwert.

Dazu gehören das Steuerrecht ebenso wie die verstärkte Bildung von GONGOs („Governmental Non-Governmental Organisations“), die zu den bestehenden NGOs in Wettbewerb um Fördergelder treten. Nicht zu vernachlässigen ist auch, dass für die NGOs seit der Niederlage der liberalen Parteien bei der Dumawahl Ende 2003 die Beeinflussung der Gesetzgebung durch Lobbying und alternative Gesetzesinitiativen mittels befreundeter Abgeordneter und Fraktionen ungleich viel schwieriger, wenn auch nicht unmöglich geworden ist. Als politische Handlungsfelder bleiben ein sehr eingeschränkter Medienzugang, direkte Verhandlungen mit der Exekutive und der traditionelle Versuch über westliche Medien, Politiker und internationale Organisationen, in den Russland Mitglied ist, Einfluss auf die russische Innenpolitik zu nehmen.

Bei www.aktuell.RU
• Russische NGOs in der gelenkten Demokratie - Teil 1 (13.04.2005)
• Sergej Kowaljow: Mitzumachen war uns peinlich (28.2.2005)
• In Tschetschenien verschwinden weiter Menschen (09.02.2005)
• Baschkirien: Großproteste gegen Polizeiwillkür (28.02.2005)
• Sacharow-Zentrum: Geist der Inquisition gespürt (30.03.2005)
Direkte Repressionen treten bisher nur vereinzelt auf und können in den meisten Fällen auf konkrete Interessen einzelner staatlicher (manchmal auch wirtschaftlicher) Akteure zurückgeführt werden. Weit empfindlicher und direkter reagiert der Kreml, wenn sich einzelne NGOs auf tabuisierte Politikfelder begeben. Dazu gehört insbesondere der Krieg in Tschetschenien.

Die Überprüfungen der Soldatenmütter durch FSB und Steuerbehörden in den vergangenen Monaten hängen aller Wahrscheinlichkeit nach direkt mit deren Initiative zu Friedensverhandlungen im Tschetschenienkrieg mit Aslan Maschadow zusammen. Zusammengefasst: Es gibt keine systematische Behinderung der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen, wohl aber bemüht sich der Staat, rechtliche und politische Instrumentarien zu schaffen, um die Tätigkeit von NGOs jenseits direkter Repression kontrollieren und lenken zu können.

Jens Siegert leitet das Moskauer Büro der Heinrich Böll Stiftung. Dieser Beitrag erschien ursprünglich in den Russlandanalysen der Bremer Forschungsstelle Osteuropa.


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