Mittwoch, 13.04.2005
Russische NGOs in der gelenkten DemokratieVon Jens Siegert, Moskau. Die russische Zivilgesellschaft entwickelt sich, aber auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Ihre Träger, die Nichtregierungs-Organisationen, bleiben von ausländischer Hilfe abhängig.
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Von staatlicher Seite wird ständig versucht, ihre Tätigkeit zu regulieren, zu lenken und, in Einzelfällen, auch gezielt zu stören. Im folgenden soll versucht werden, das durchaus ambivalente Verhältnis Staat-Nichtregierungs-Organisationen (NGOs) in einen mittelfristigen Entwicklungszusammenhang zu stellen, und den Fragen nachzugehen, wie NGOs sich in das Putinsche System der „Gelenkten Demokratie“ einfügen, und inwiefern die Behinderungen von NGOs systemischen oder gar systematischen Charakter haben.
Gespannte Beziehungen seit Putins Machtantritt
Von Beginn der Präsidentschaft Putin an waren die Beziehungen zwischen den Nichtregierungsorganisationen, die nicht als Vertreter korporativer Interessen (so wie z.B. Gewerkschaften oder Invalidenverbände) auftraten und sich meist relativ leicht in das System der Gelenkten Demokratie einfügen ließen, gespannt.
Schon allein wegen des Tschetschenienkriegs standen Menschenrechtsgruppen wie Memorial, die Moskauer Helsinki Gruppe oder die Soldatenmütter dem neuen Präsidenten von Beginn an skeptisch bis kritisch gegenüber und hatten umgekehrt auch wenig Zuneigung aus dem Kreml zu erwarten. Die von Beginn des Krieges an restriktive, bis an den Rand der Zensur gehende Medienpolitik des Kremls und das Vorgehen gegen den Fernsehsender NTW erklären die Besorgnis von NGOs wie der Stiftung zur Verteidigung von Glasnost, die im Bereich Meinungsfreiheit, freie Medien engagiert sind. Umweltschutzgruppen wiederum kritisieren die industriefreundliche Politik Putins und den fortgesetzten Abbau ökologischer Schutzrechte.
Allerdings finden sie sich im Gegensatz zur Jelzin-Zeit in der Putin-Ära in regionalen und überregionale NGO-Koalitionen zusammen. Die größtenteils aus Vertretern großer moskaubasierter NGOs bestehende „Narodnaja Assambleja“, in der Memorial, der Moskauer Helsinki Gruppe, der Stiftung zur Verteidigung von Glasnost oder der Sozialökologischen Union vertreten sind, ist der bekannteste dieser Zusammenschlüsse, vor allem, weil er stellvertretend für viele in den vergangenen vier Jahren eine bevorzugete Verhandlungspartnerin der Präsidentenadministration war.
Das „Bürgerforum“ im Herbst 2001
Von Seiten des Kremls war der erste praktische Versuch, die NGOs zu formieren, die Initiierung einer großen Bürgerversammlung im Kreml („Grashdanskij Sjesd“), die anfangs unter Auschluss von aus Kremlsicht „unkonstruktiven“ NGOs geplant war. Memorial zum Beispiel gehörte in diese Kategorie, die Moskauer Helsinki Gruppe dagegen, deren Tätigkeit sich im Bereich Menschenrechte kaum von der Memorials unterscheidet, sollte einbezogen werden.
Bei dieser Zuordnung dürften taktische Erwägungen eine größere Rolle gespielt haben als eine systematische Einordnung. Es ist hier nicht ausreichend Platz, noch einmal im Einzelnen nachzuvollziehen, warum dieser Formierungsversuch fehl schlug. Doch dürften letztendlich vor allem Interessengegensätzen in Präsidentenadministration und Regierung dazu geführt haben, dass auch vorher als „unkonstruktiv“ gescholtenen NGOs einbezogen wurden. Voraussetzung dafür war aber, dass sich die NGOs der „Narodnaja Assambleja“ nicht auseinanderdividieren ließen und auf der gemeinsamen Vertretung gemeinsamer Interessen dem Staat gegenüber bestanden.
Steuergesetze behindern NGOs
Zur Konsolidierung der NGO-Koalition hatten seit Mitte 2000 insbesondere Verhandlungen mit der Regierung über die anstehende Steuerreform beigetragen. Sie berücksichtigte in der von der Regierung ins Parlament eingebrachten Form nicht die Interessen von NGOs.
Die bis dahin herrschende Unterscheidung von „kommerziellen“ und „nicht-kommerziellen“ Organisationen bei der Besteuerung von Einnahmen wurde aufgehoben. Damit mussten künftig praktisch alle Einnahmen von NGOs, egal aus welcher Quelle und zu welchen Zwecken versteuert werden. Die NGOs standen vor dem Problem künftig Steuern auch auf Zuwendungen von ausländischen Geberorganisationen zahlen zu sollen.
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Im Internet |
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Das ist besonders problematisch, weil vor allem NGOs, deren Funktion die Kontrolle staatlichen Handelns einschließt und bei denen damit Konflikte mit staatlichen Stellen unausweichlich sind, bis heute weitgehend auf ausländische Finanzierung angewiesen. Eine vorsichtige Entwicklung hin zu inländischen Finanzierungsquellen am Ende der Präsidentschaft Jelzins und zu Beginn des neuen Jahrtausends sind spätestens mit der Verhaftung von Michail Michail Chodorkowski im Herbst 2003 und der Zerschlagung des Yukos-Konzerns zu einem jähen Ende gekommen.
Die Verhandlungen zwischen Finanzministerium und der „Narodnaja Assambleja“ gehen zwar bis heute weiter, aber bisher ohne grundsätzlichen Kompromiss.
Der neue Steuerkodex trat nichtsdestotrotz Anfang 2002 in Kraft. Zwar haben die NGOs eine ganze Reihe juristisch mehr oder weniger überzeugender Auswege aus diesem Dilemma gefunden, eine mögliche Steuerschuld hängt aber seither wie ein Damoklesschwert über vielen von ihnen. Das Vorgehen gegen Yukos und Chodorkowski zeigt den NGOs zudem, wie der Staat die Steuerbehörden zu einem politischen Instrument macht, auch wenn bisher kein Verfahren gegen eine NGO bekannt ist, wenn man von den Untersuchungen gegen die Chodorkowski-Stiftung „Offenes Russland“ und eine vorerst im üblichen Rahmen befindliche Steuerprüfung bei den Soldatenmüttern absieht.
Staat gegen NGOs
Allerdings gingen in den vergangenen Jahren föderale oder regionale Behörden in einer Reihe von Fällen gegen missliebige NGOs vor. Gewiß sind alle Übergriffe auf NGOs ernst zu nehmen. Aber bis heute ist nicht zu erkennen, dass es sich dabei um ein systematisches, von Moskau aus angeordnetes oder gar gesteuertes Vorgehen handelt.
Ich möchte drei Beispiele nennen: 1. die Durchsuchung des Büros und zeitweise Beschlagnahme fast aller Computer der Ökologischen Baikalwelle in Irkutsk durch den Inlandsgeheimsdienst FSB Ende 2002, 2. die versuchte Schließung der Menschenrechtsorganisation Jushnaja Wolna durch die Gebietsverwaltung in Kranodar 2002 und 2003 und 3. die beiden Überfalle auf den Vorsitzenden von Memorial St. Petersburg Wladimir Schnittke im Sommer 2003 und noch einmal im Herbst 2004.
Das Vorgehen des FSB gegen die Baikalwelle wurde, Ironie des Schicksals, mit großer Wahrscheinlichkeit von der regionalen Verwaltung des Yukos-Konzerns initiiert. Die Baikalwelle hatte eine Kampagne gegen eine von Yukos geplante Ölpipeline von Angarsk ins chinesische Dazin gestartet.
Im Gebiet Krasnodar ging der Gouverneur Tkatschow gegen einen ganze Reihe von NGOs vor. Gemeinsam war fast allen, dass sie sich gegen die Vertreibung der Anfang der 90er Jahre aus Georgien zugewanderten Turko-Mescheten durch die Gebietsverwaltung gewandt hatten. Im Fall der Jushnaja Wolna ist zudem nicht ausgeschlossen, dass es auch um die Kontrolle über das Gebäude ging, in dem die Organisation ihr Büro hatte.
Weniger klar sind die Hintergründe der Überfälle auf Wladimir Schnittke von Memorial St. Petersburg. Schnittke selbst vermutet, dass sie mit der entschiedenen Arbeit von Memorial gegen die starken neonazistischen Tendenzen in der Stadt zu tun haben. Auch hier ist zumindest ein Angehöriger der regionalen FSB-Verwaltung in die Angelegenheit verwickelt. Es ist aber nicht ungewöhnlich, dass sich kriminelle Sturkturen, aber auch einzelne Unternehmen, FSB-Angehöriger bedienen, um ihre Ziele zu erreichen. Das muss nicht auf offizielles Handeln hinweisen.
Jens Siegert leitet das Moskauer Büro der Heinrich Böll Stiftung. Dieser Beitrag erschien ursprünglich in den Russlandanalysen der Bremer Forschungsstelle Osteuropa. Fortsetzung folgt.
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