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Montag, 27.05.2002

Vom Eise verweht

ld) Im Nordosten Sibiriens macht sich der Frühling erst jetzt bemerkbar – dafür aber mit um so größerer Gewalt: Eine Flotille von 28 Binnen-Frachtschiffen wurde auf dem Fluß Jana von einer Welle aus Eisschollen mitgerissen und teilweise zerstört. Auf den Schiffen befinden sich noch Besatzungsmitglieder.

Die auch für das an Klimaextreme gewohnte Jakutien ungewöhnliche Naturkatastrophe ereignete sich im Dorf Ust-Kujga. Anstatt langsam zu tauen und vom Frühlingshochwasser weggetragen zu werden, brach das zwei Meter dicke Eis des Flusses über Nacht auf. 28 im Hafen vor Anker liegende Binnenschiffe wurden von dem Strom aus gewaltigen Eisplatten einfach mitgerissen. Auf jedem der Schiffe befanden sich drei bis fünf Mann Besatzung. Sie bereiteten ihre noch im Eis festliegenden Schiffe für kurze Navigationsperiode im Sommer vor, wenn über die Flüsse Fracht und Treibstoff in die weltabgelegenen sibirischen Siedlungen gebracht wird. Am Oberlauf der Jana liegt die Stadt Werchnojansk, die mit Wintertemperaturen von bis zu minus 71 Grad als der Kältepol der Erde gilt.

Ein Hubschrauber begann mit der Evakuierung der Mannschaften, doch weigern sich viele Besatzungen, ihre Schiffe zu verlassen. Über Opfer wurde zunächst nichts bekannt. Ein Teil der Frachter wurde schon nach kurzem Drift aufs Ufer geworfen, andere trieben inmitten der Eismassen in Richtung Meer. Ein Schiff sei gekentert, ein anderes so schwer beschädigt, dass es vermutlich sinken werde. Auch mindenstens zwei weitere Schiffe wurden von den Eisgang so zerdrückt, dass sie nicht mehr einsatzfähig sind, meldete die Internetzeitung „gazeta.ru“.

In Jakutien ist der von Schmelzwasser und ansteigenden Temperaturen ausgelöste Eisgang ein sich Jahr für Jahr wiederholendes, gefährliches Naturschauspiel. Letztes Jahr bildeten sich auf der Lena dabei trotz Sprengungen und Bombardierungen aus der Luft hohe Eisbarrieren, die zu verheerenden Überflutungen führten. Die Stadt Lensk wurde dabei weitgehend zerstört.

So etwas wie die gleich alles mitreißende Eiswelle auf der Jana haben aber auch erfahrene jakutische Flussschiffer noch nicht erlebt. „Dieses Mal kam zusammen mit dem Wasser auch gleich das Eis im Bewegung – zwei Meter dicke Schollen, so hart wie Beton“, berichtete Viktor Kasakow, der Chef der Schiffahrtsverwaltung von Nischnejansk an der Mündung der Jana. Ein Sprecher der jakutischen Regierung sprach von „völlig verrückten Naturgewalten“.

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