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Die Feuerwehr in Wartestellung (foto: newsru.com)
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Freitag, 07.05.2004

Ukraine: Zwölf Dörfer unter Dauerfeuer

Von Lothar Deeg, St. Petersburg. Es brennt, aber Löscharbeiten sind unmöglich: Im Süden der Ukraine verglüht ein riesiges Munitionsdepot – und im weiten Umkreis hagelt es Granaten, Raketen und Trümmerteile. 7.000 Menschen, die Bevölkerung von zwölf Dörfern in einem Radius von zehn Kilometern um den Brandherd, wurden evakuiert. Eine Gaspipeline durch das Katastrophengebiet geriet in Brand. Gefährdet ist auch ein 40 Kilometer entferntes Atomkraftwerk.

Die Bilder aus der Ukraine erinnern fatal an die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vor 18 Jahren: Dorfbewohner werden eilig mit Bussen und Vorortzügen weggeschafft, ohne dass sie irgendwelche Habseligkeiten, Geld oder Dokumente mitnehmen konnten. Manche flohen sogar ohne Schuhe und Jacken, als am Donnerstag Mittag die ersten Granaten in ihre Häuser einschlugen. In der Gegenrichtung fahren Feuerwehren, Krankenwagen und Panzerfahrzeuge in die Sperrzone, über 2000 Helfer sind im Einsatz. Und immer wieder steigen neue Feuerbälle auf, begleitet vom Pfeifen der durch die Luft sausenden Geschosse. „Die Abstände zwischen den Explosionen betragen 30 bis 60 Sekunden“, so der Chef der Kommunalverwaltung von Melitopol, Igor Bogdanow.

Vorübergehend, so berichten Augenzeugen, hätte die Feuerwand über dem Munitionslager 300 Meter Höhe erreicht. Im Radius von drei Kilometern zerstörte eine Druckwelle alle Gebäude. Ein Soldat berichtete, dass er bei seiner Flucht aus dem Stützpunkt mehrfach von den Beinen gerissen wurde. Bislang wird von fünf Todesopfern berichtet: Ein Wachmann wurde durch einen Splitter getötet, vier Menschen hätten während der Evakuierung Herzanfälle erlitten. Elf Verletzte kamen in Krankenhäuser. Ukrainische Ärzte gehen aber davon aus, dass jetzt 3000 bis 4000 Menschen ärztliche Hilfe benötigen.

Etwa 140 Menschen sollen sich geweigert haben, trotz der Gefahr ihre Häuser zu verlassen, um ihre Habe und ihr Vieh nicht im Stich zu lassen. Die Behörden versuchten, etwa 3.500 Rinder aus der Gefahrenzone zu treiben. Am Freitag flogen aus Moskau russische Munitions- und Brandexperten zur Hilfe bei der Eindämmung der Katastrophe ein.

In dem Munitionslager 25 Kilometer nördlich der Großstadt Melitopol lagerten etwa 4.500 Wagenladungen Munition. Neben Waffen, die von der ukrainischen Armee eingesetzt werden, handelt es sich auch um Altbestände, die seinerzeit von den Sowjettruppen aus der DDR abgezogen wurden. Darunter sind neben Artilleriegeschossen auch Raketen für Raketenwerfer, die theoretisch 70 Kilometer weit fliegen können. Bislang wurden Einschläge im einem Umkreis von 15 bis 17 Kilometern festgestellt, aber noch hat das Feuer die Lager mit den besonders weitreichenden Raketen nicht erreicht. Näher als fünf Kilometer können sich die Löschtrupps gegenwärtig nicht heranwagen. Experten gehen deshalb davon aus, dass der Großbrand bis zu einer Woche lang andauern wird. Starker Regen bremste am Freitag die weitere Ausbreitung des Feuers.

Bei Russland-Aktuell
• Explosionen im Waffendepot – Lage undurchsichtig (07.05.04)
Für Melitopol, eine 175.000 Einwohner zählende Großstadt wurde Katastrophenalarm gegeben und die Gasversorgung und das Telefonnetz in der Stadt abgestellt. Zumindest theoretisch gefährdet ist auch das Kernkraftwerk Saporoshje, das 40 Kilometer vom Unglücksort entfernt ist. Die Bedienungsmannschaft des Kraftwerks ist in erhöhter Alarmbereitschaft. Eine in Brand geratene Gasleitung konnte gelöscht werden. Auch eine der beiden Bahnlinien auf die Halbinsel Krim sowie die Fernstraße Moskau-Krim sind unterbrochen.

„Unsere Arsenale sind überfüllt mit Geschossen aus Sowjetzeiten, die die Ukraine nicht im geringsten braucht“, sagte Verteidigungsminister Jewgeni Martschuk. Auch das jetzt explodierte Lager war um 20 bis 30 Prozent überfüllt. Für die Beseitigung der explosiven Erblasten bräuchte die Armee „nach den bescheidensten Berechnungen“ etwa 140 Millionen Euro. Der Brand sei ein weitere Beweis für den Reformbedarf der Streitkräfte, so Martschuk. Die ukrainische Armee hatte in den letzten Jahren mit einer Reihe von Katastrophen immer wieder für Schlagzeilen und insgesamt über 160 zivile Opfer gesorgt: So stürzte vor zwei Jahren ein Jagdflugzeug bei einer Flugschau in die Zuschauer, eine Rakete holte 2001 bei einer Übung ein russisches Zivilflugzeug vom Himmel, ein Jahr zuvor war eine Übungsrakete in einem Kiewer Wohnblock eingeschlagen.
(ld/rufo)

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