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Mark Rosowski (Foto:rufo)
Mark Rosowski (Foto:rufo)
Freitag, 25.10.2002

Das bedeutet, meine Tochter wird mit vierzehn Jahren sterben

Interview mit Mark Rosowski, Jahrgang 1937, Art-Direktor des „Theaters am Niktitski-Tor“ in Moskau. Seine 14-jährige Tochter Katja befindet sich unter den Geiseln. Das Interview entstand am Rande der Kundgebung der Geiseln-Angehörigen am Roten Platz. Der kräftige Mann schluckt und hält im Gespräch die Tränen nur mühsam zurück.

Wie konnte es denn Ihrer Meinung nach zu diesem Drama kommen?

M. R.:
„Es ist doch so, dass die Terroristen den gleichen Weg gehen wie wir. Wenn der Zweck die Mittel heiligt, dann kommt es zu Verbrechen. Dass alles so nicht endet – geb’s Gott! Die Sittlichkeit verfällt von unten bis oben und von oben bis unten. In der Politik gibt es überhaupt keine sittlichen Richtlinien mehr. Eine einzige Demagogie! Geschwätz von morgns bis abends.“

Wie hätte die Regierung denn handeln sollen?

M. R.:
„Wenn sie in der Nacht schon von der Forderung der Terroristen gewusst haben, dann hätten sich doch schon am frühen Morgen die Leute im Krisenstab finden müssen, die in der Lage sind zu sagen, dass wir darauf eingehen werden. Denn wenn wir das nicht tun, dann ist der Tod unserer Kinder besiegelt - und nicht nur den Tod der Kinder. Es hieß erst, so schnell wie möglich kommen die Frauen und Kinder frei. Merkwürdigerweise bilden die Frauen und Kinder bisher noch das Schutzschild für die Männer. Und was dann?“

Was muss nun passieren?

M. R.:
„Es muss nur ein Satz kommen. Unser Präsident soll im Namen der Rettung von Menschenleben den Mut finden zu sagen: „Ab morgen ziehen wir unsere Truppen aus Tschetschenien ab. Und jetzt, nach diesem Satz, müsst ihr unsere Leute freilassen.“ Wenn aber gesagt wird, dass die Forderungen der Terroristen von Anfang an inakzeptabel sind, dann bedeutet das, da ist ein politisches Spiel im Gange.

Was heißt das – ein politisches Spiel?

M. R.:
Das bedeutet, alles geht in Pharisäertum unter. Das bedeutet, dass die Leute nicht gerettet werden können. Das bedeutet, es besteht das riesige, kolossale Risiko der Explosion, vor der die ganze Welt Angst hat. Das bedeutet, meine Tochter wird mit vierzehn Jahren sterben. Deshalb bin ich hier! Deshalb bin ich auf dem Roten Platz. Ich nenne das nicht mal Meeting. Das ist reine Ausweglosigkeit und Kraftlosigkeit. Kraft-lo-sig-keit.“

Warum Kraftlosigkeit?

M. R.:
Das heißt, dass die Geiseln nicht nur die da drinnen sind. Auch wir sind Geiseln. Ich bin auch eine Geisel, Geisel dieser Stammtischpolitik, dieser politische Spiele und Demagogie. Alle begreifen, was los ist. Aber man kann doch nicht einfach die Hände in den Schoß legen und zusehen. Was passiert?

Denken Sie denn, dass Präsident Putin den Satz sagt – dass er die Forderungen der Tschetschenen erfüllt ?

M. R.:
Ich bin Vater einer Tochter, die dort drinnen ist. Ich spreche emotional. Ich bin natürlich kein Staatsmann, der für das ganze Land zuständig ist, aber ich hoffe, dass der gesunde Menschenverstand, der Humanismus keine hohlen Worte sind. Ich hoffe, dass die Situation begriffen wird und wenn, w e n n im Krisenstab zur Rettung der Menschenleben kluge Verhandlungsführer, wirkliche Profis sind, dann vertraue ich denen auch. Aber das reicht nicht. Jeder Tag und jede Stunde bringt uns einem tragischen Ende näher und dann wird es zu spät sein. Die Banditen, Terroristen, ich weiß nicht, wie ich sie sonst noch nennen soll, Leute, die zweifelsohne Greueltaten begangen haben, müssen eine präzise Antwort bekommen. Bis jetzt gibt es keine präzise Antwort.

Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrer Tochter Katja gesprochen?

M. R.:
Heute Nacht. Aber eine Stimme redete dazwischen. Wahrscheinlich stand jemand über ihr, denn sie hat mit versagender Stimme gesagt: Papa, morgen gibt es wahrscheinlich ein Meeting, geh mit deinen Freunden dorthin, sonst werden wir alle totgeschlagen.“

Ende des Interviews
(rUFO/Anastasija Branovets/Ines Lasch)

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