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Die bissige NTW-Satire-Sendung Puppen brachte den Kreml in Rage (Foto: Djatschkow/.rufo) |
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Freitag, 14.04.2006
Es sah aus wie Pressefreiheit, war aber AuftragsarbeitMoskau. In der Nacht zum 14. April 2001 stürmten schwerbewaffnete schwarz Maskierte die Redaktion der TV-Gesellschaft NTW. Es war der Anfang vom Ende einer Ära, die fälschlich als Blütezeit der Journalistik galt.
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Vorausgegangen war dem Sturmangriff eine Kundgebung gegen die Übernahme des einzigen landesweit verbreiteten Privatsenders durch den Staatskonzern Gazprom (Gasprom). 20 000 Menschen kamen trotz Regens nach Ostankino. Diese letzte Massenprotestaktion schloss die 1991 begonnene Ära der liberalen Demokratie in Russland ab. Die Journalisten glaubten damals zwar noch, alles werde glimpflich enden. Gazprom Media machte aber kein Federlesens. Sie wurden kurzerhand vor die Tür gesetzt.
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Blütezeit des ersten russischen Privatsenders
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Der erste unabhängige Fernsehsender Russlands war 1993 von einem privaten Bankenkonsortium gegründet worden. Sein Motor waren der Unternehmer Wladimir Gussinski und der Journalist Jewgeni Kisseljow. Bald erreichte NTW vor allem mit seinen professionell gemachten Nachrichtenprogrammen und politischen Analysen landesweit die höchste Popularität. NTW setzte völlig neue Maßstäbe in der russischen Fernsehgeschichte.
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Viele prominente Journalisten haben NTW in den letzten Jahren verlassen (Foto: Djatschkow/.rufo) |
Aber gleich nach der Geburt begann auch schon der journalistische Sündenfall. NTW sah aus wie ein Wahrzeichen der Pressefreiheit, stellte sich aber schnell in den Dienst der Macht von Staat und Geld.
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Die Enthüllungsgeschichten von Jewgeni Kissiljow lockten an jedem Sonntagabend die politische Elite vor die Bildschirme, weil hier nicht nur kommentiert, sondern auch die schmutzige Wäsche der aufwärts strebenden Oligarchen rücksichtslos gewaschen wurde oft auch direkt im Auftrag des einen oder anderen Kontrahenten. Es bildete sich eine unheilige Dreieinigkeit von Politik, Kapital und Medien.
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Nach dem journalistischen Sündenfall - Dreieinigkeit von Politik, Kapital und Medien
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NTW-Korrespondenten wurden für ihre Tschetschenien-Berichterstattung mit Verdienstorden ausgezeichnet. 1996 sicherte der Sender trotzdem mit massiver Wahlpropaganda die Wiederwahl des Kriegs-Präsidenten Boris Jelzin, der sonst gegen den KP-Chef Gennadi Sjuganow verloren hätte. An den Kommentaren Kissiljows war regelmäßig abzulesen, was der Kreml plante. Außenminister Kosyrjew erfuhr hier von seiner bevorstehenden Entlassung. NTW war die Stimme des Kremls.
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Den Vorwurf undemokratischen Verhaltens und der Verletzung der Pressefreiheit konterte die NTW-Führung damals mit dem Argument, jedes Mittel sei recht, um die Kommunisten zu stoppen.
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Gussinski und Beresowski lenkten das Schicksal Russlands
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Als Dank für diese Unterstützung erhielt NTW landesweite Sendelizenzen und einen günstigen Kredit von Gazprom. Gussinski griff nach den Sternen. Er stürzte sich in das teure Medienabenteuer Satellitenfernsehen und begann den Neubau eines neuen, eigenen Fernsehzentrums an der Chaussee nach Minsk. NTW machte dem Ersten Programm ORT Konkurrenz, das im Auftrag Jelzins von dem zweiten Medienmagnaten Boris Beresowski gesteuert wurde.
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Beresowski und Gussinski fühlten sich als die Strippenzieher und Schicksalslenker Russlands. Es sah wie Pressefreiheit und mutiger Enthüllungsjournalismus aus, war aber doch nichts anderes als Auftragsarbeit und eine Abbildung der Grabenkriege verschiedener Cliquen im gnadenlosen Kampf um die permanente Umverteilung des Staatsvermögens.
Das NTW-Team wurde ein Opfer rücksichtsloser politischer Instrumentalisierung
Das hervorragende Journalistenteam von NTW, in dem sich zeitweise sicher die besten Fernsehjournalisten des Landes versammelten, wurde ohne Rücksicht auf Verluste instrumentalisiert - und es wurde schließlich ein Opfer dieser Instrumentalisierung.
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Im Kampf um die Nachfolge des scheidenden Präsidenten Jelzin stellte sich Gussinski auf die Seite des Moskauer Oberbürgermeisters Juri Luschkow und des Ex-Regierungschefs Jewgeni Primakow, was Jelzins Kronprinz Wladimir Putin dem Medienmagnaten nie verzieh. Gussinski wollte alles gewinnen, setzte aber auf das falsche Pfernd - und verlor alles.
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Gussinski verliert die Gunst des Kremls und seine Kreditwürdigkeit
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Gazprom forderte die sofortige Kreditrückzahlung durch den mit etwa 150 Millionen US-Dollar recht hoch verschuldeten TV-Sender. Gussinski wurde verhaftet und vor die Wahl gestellt, für Jahre im Lager zu verschwinden oder seinen Besitz zur Begleichung der Schulden abzugeben, um ausreisen zu dürfen. Wie ernst das Ultimatum gemeint war, wurde erst Jahre später am Beispiel des Yukos-Chefs Michail Chodorkowski klar, der nicht einlenkte.
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Journalistentreibjagd: Das alte NTW-Team löst sich restlos auf
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Das Journalistenteam um den Ex-Generaldirektor Kisseljow versuchte, die alte Redaktionspolitik beim Moskauer Lokalsender TV-6 und später bei TWS fortzuführen. Aber besonders unter dem nicht nachlassenden Druck der Behörden erwies sich Kisseljows diktatorischer Führungsstil als verhängnisvoll. Das alte NTW-Team lief endgültig auseinander. NTW-Gründungsdirektor Dobrodejew war schon vor Jahren selbst zum Staatssender RTR gegangen und verführte viele Ex-Mitarbeiter zum Wechsel. Andere namhafte NTW-Journalisten wanderten zum ebenfalls staatlich kontrollierten Ersten Programm ORT ab.
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Bei NTW, jetzt unter der Kontrolle von Gazprom, blieb wenig beim Alten. Starmoderator Leonid Parfjonow wurde gefeuert, weil er die Sendeleitung öffentlich kritisiert hatte. Parfjonow übernahm später die Chefredaktion bei der von Axel Springer herausgegebenen russischen Newsweek.
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Die NTW-Nachrichtensprecherin Tatjana Mitkowa verschwand ganz von den Bildsschirmen. Selbst der neue Generaldirektor Boris Jordan, der die feindliche Übernahme geleitet hatte, musste wegen zu ausführlicher Berichterstattung über das Geiseldrama im Moskauer Musicaltheater Nordost seinen Hut nehmen.
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Es gab und gibt in Russland kein von Staat oder Kapital unabhängiges Massenmedium. Instrumentalisiert werden sie alle. Die Frage ist nur - von wem?
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Kritische Journalisten finden bis heute bei dem mittlerweile ebenfalls landesweit ausgestrahlten Radio Echo Moskaus Unterschlupf, obwohl auch Echo Moskaus seit Jahren schon zu Gasprom Media gehört. Es wird vom Kreml als eine Art Sicherheitsventil der öffentlichen Meinung geduldet. Es gibt kaum einen Spitzenpolitiker, der Echo Moskaus nicht Rede und Antwort stehen würde, obwohl dort auch Soldatenmütter und andere NGOs Redefreiheit genießen.
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Comeback von NTW unvorstellbar
Ein Comeback des alten NTW könne er sich nicht vorstellen, sagte Echo-Gastmoderator Kisseljow in einer Jubiläumssendung von Echo Moskaus. Das wäre erst nach einem Regimewechsel denkbar. Auch Massendemonstrationen wie 2001 seien nicht mehr möglich. Zwar hätten bekannte Journalisten für kommenden Samstag zu einer Solidaritätskundgebung um 13:00 Uhr Moskauer Zeit auf dem Puschkin-Platz aufgerufen. Es werde aber bestenfalls eine Gedenkfeier werden.
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Wozu allerdings auch erheblich beigetragen hat, dass die russische politische Journalistik sich durch bezahlte Gefälligkeitsberichterstattung und Prinzipienlosigkeit selbst gründlichst blamiert und diskreditiert hat. Galten zu Beginn der Perestroika Journalisten meist noch als Helden, so ist inzwischen die Bezeichnung Journalist wie auch der Begriff Demokratie fast schon ein Schimpfwort geworden.
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(adu/gim/.rufo)
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