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Russische Grundschüler (Foto: Djatschkow/rUFO)
Russische Grundschüler (Foto: Djatschkow/rUFO)
Montag, 25.11.2002

Vom Sinn des orthodoxen Fastens

Von Karsten Packeiser, Moskau. Fünfundachtzig Jahre nach der Oktoberrevolution und über ein Jahrzehnt nach dem Zerfall der Sowjetunion soll der Religionsunterricht in den Schulen Russlands zurückkehren. In einem Empfehlungsschreiben regt das Moskauer Bildungsministerium an, das kulturwissenschaftlich ausgerichtete Wahlfach „Grundlagen der orthodoxen Kultur“ an den Schulen einzuführen.

„Im modernen Russland wächst in allen Gesellschaftsschichten das Interesse am geistig-sittlichen und kultur-historischen Erbe und der orthodoxen Kultur als dessen zentralem Bestandteil“, heißt es in dem 30-seitigen Papier. Als mögliche Themen für einen schriftliche Abschlussaufsatz nennt das Ministerium „Glauben und Aberglauben in der modernen Welt“, „Sinn des orthodoxen Fastens“ oder auch „Moskau - das dritte Rom“.

Die Entscheidung über Art und Umfang des Religionsunterrichts bleibt den Bildungsbehörden auf regionaler Ebene vorbehalten. In einigen russischen Regionen pauken die Schüler bereits den Lebensweg orthodoxer Heiliger und die Besonderheiten byzantinischer Baukunst. Einen Widerspruch zwischen dem neuen Fach und der Trennung von Staat und Kirche sieht das Bildungsministerium nicht. „Weltliche Bildung schließt auch Wissen über Religion ein“, argumentiert der stellvertretende Minister Leonid Grebnjew.

„Dieses Dokument riecht nach Mittelalter und Obskurantismus“, kritisierte dagegen Regierungssprecher Alexej Wolin in einem Interview mit der Zeitung „Gaseta“ die Empfehlungen. Russland sei ein weltlicher Staat, in dem religiöse Erziehung innerhalb der Schulmauern unzulässig sei. Sollte Religionsunterricht gar Pflicht werden, würden die Schüler auf das Fach in etwa so reagieren, wie zu Sowjetzeiten auf den berüchtigten Pflichtkursus in „Geschichte der KPdSU“.

Außerdem gebe es in Russland nun einmal nicht nur orthodoxe Christen, sondern auch Protestanten, Katholiken, Altgläubige und Angehörige nichtchristlicher Religionen. „Wenn schon ein religionskundliches Fach eingeführt wird, dann müssten dort auch die Grundlagen aller Religionen unterrichtet werden“, sagte Wolin, „und außerdem die Geschichte des Atheismus“.

Bei Russland-Aktuell
• Religionsunterricht nur für Freiwillige
• Kein Religionsunterricht an staatlichen Schulen
• Georgien sucht das Bündnis mit der Kirche
Das Moskauer Patriarchat spricht sich seit Jahren für eine Wiedereinführung des orthodoxen Religionsunterrichts aus. „Jeder zivilisierte Mensch sollte die Grundlagen der orthodoxen Kultur kennen“, erklärte der Leiter des Moskauer Bistums Metropolit Sergij. Es spreche aber nichts dagegen, wenn in Regionen mit mehrheitlich nicht-orthodoxer Konfession auch islamischer oder buddhistischer Religionsunterricht eingeführt werde.

Eine „antikirchliche Hysterie“ wittert auch Igor Frolow, Sprecher des dem Patriarchat nahe stehenden „Bundes Orthodoxer Bürger“. Denn keineswegs gehe es darum, der Kirche einen Teil des staatlichen Schulunterrichts zu übertragen. Vor allem sei nicht geplant, aktiv die Glaubensbotschaft der Bibel unter den Schülern zu propagieren, also Religionsunterricht im traditionellen Sinne einzuführen.

„Das, was wir wollen“, so Frolow, „ist doch viel weniger, als das, was an deutschen oder polnischen Schulen als ganz selbstverständlich gilt“. Die Lehrpläne für die „Grundlagen der orthodoxen Kultur“ würden zwar in Zusammenarbeit mit der Kirche entstehen. Was gelehrt werde, entscheide aber immer noch der Staat.

(epd).

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