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Der Lebende Kopf von Pawel Filonow
Der Lebende Kopf von Pawel Filonow
Donnerstag, 28.09.2006

Filonow: Die Spaltung des Seelen-Atoms im Kopf

St. Petersburg. Zwar wird Pawel Filonow (1883-1941) zur Avantgarde gezählt, doch seine "analytische Kunst" hat wenig gemein mit den übrigen Stilrichtungen der Epoche. Im Russischen Museum gibt es eine Ausstellung.

Auf einem Rundgang durch den Korpus Benois, wo die Kunst des 20. Jahrhunderts im Russischen Museums untergebracht ist, erhalten die Werke Filonows üblicherweise wenig Aufmerksamkeit.

Das Publikum ist entweder bereits erschöpft von der Tour durchs die anderen Kunst-Jahrhunderte, oder es wird durch klangvollere Namen der Avantgarde abgelenkt, die gleich daneben hängen: Malewitsch, Rodtschenko oder Popowa. Wer sich trotzdem etwas Zeit nimmt, erhält Einblick in die einzigartige Welt eines künstlerischen Außenseiters, der sich eigentlich als Volkskünstler sah, von der Masse jedoch unverstanden blieb.

Gegenwärtig läuft jedoch eine Filonow-Ausstellung im Korpus Benois des Russischen Museums, die noch bis zum 13. November zu sehen ist.

Eintritt in die Seelenhöhle


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Wer seine Bilder anschaut, verlässt den Saal und betritt eine Seelenhöhle. Diese wird in der aktuellen Grossausstellung treffend durch Dunkelheit simuliert, in der die mit Spots beleuchteten Bilder wie im Traum aufleuchten. In dieser rotbraun dominierten Unterwelt leben Menschen und Tiere nach eigenen Gesetzen miteinander, und verschmelzen mit ihrer Umgebung zu einem undurchdringlichen Farben- und Formendschungel. Dieser teilt sich immer wieder auf in neue Untereinheiten – das Seelenatom wird gespalten.

Filonows "Lebendiger Kopf" (1926) erweist sich als Globus, der ganze Kontinente und Völker aufnimmt, ein filigraner, lebendiger Kosmos aus zarten Farben und Formen, der sein Publikum gleichzeitig mit den hohlen und drohenden Augenhöhlen eines Totenkopfs anschaut. Man ist fasziniert und zugleich schockiert vom Künstlerblick, der einem eine bunte und unbekannte Welt eröffnet und andererseits stechend und analysierend durch alle Poren bis in die Zellen zu dringen scheint.

Schnell kann sich die harmonische Landschaft mit Dörfern und Menschen in einen dämonischen Abgrund mit wucherndem Leben werden, in dem sich das Tierische mit dem Menschlichen vereint.

Sicht von innen statt von außen


Filonows Künstlerkarriere beginnt wie bei einem Großteil der Avantgardekünstler in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Von 1909 bis 1913 ist er Mitglied der Vereinigung "Bund der Jugend", an deren Ausstellungen sich viele Jugendstilkünstler und Symbolisten beteiligen und die eine Basis für futuristische Künstlergruppen bildete.

1913 beteiligt sich Filonow an den Arbeiten für das Bühnenbild zu Majakowskis "Tragödie", die im selben Jahr aufgeführt wird. Mit zwei Manifesten "Kanon und Gesetz" (1912) und "Gemachte Bilder" (1914) unternimmt der Maler die ersten Schritte in seine ganz eigene Kunstrichtung.

Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen, die mit alternativen Perspektiven und Darstellungsformen einen neuen Blick auf die moderne Wirklichkeit entwickeln wollen und einen neuen visuellen "Kanon" schaffen, sucht Filonow eine organisch-universellen Seelenkunst, die inneren Gesetzen gehorcht – er nennt sie "analytische Malerei".

Außerdem schließt er sich auch nicht der allgemeinen Technikbegeisterung an, sondern orientiert sich an traditionellen Werten und Symbolen des einfachen bäuerlichen Russlands. Laut Anatoli Dmitrenko, ehemaliger Leiter der Abteilung für Malerei des 20. Jahrhunderts am Russischen Museum, weicht Filonow damit klar von den übrigen Avantgarde-Strömungen ab. "Aber im Prinzip ist er mehr Avantgardist als alle anderen, weil er viel mehr in die Tiefe geht."

Dogmatiker und unverstandener Volkskünstler


Trotz der Differenziertheit seiner Kunst ist Filonow ein Dogmatiker, sowohl politisch, wie künstlerisch. Er ist überzeugter Sozialist und schlägt sich während des Bürgerkriegs klar auf die Seite der Revolutionäre. Als Mitglied eines der berüchtigten Soldatentribunale soll Filonow sogar besonders streng und unbarmherzig mit den Beschuldigten umgegangen sein.

In der jungen Sowjetunion engagiert er sich erst in der ideologischen Künstlerausbildung und leitet ab 1925 in Leningrad sein eigenes Atelier "Meister der analytischen Kunst", das drei Jahre existiert. Von seinen Schülern verlangt er bedingungslose Unterordnung unter seine Prinzipien. Außerdem verfasst er weitere Schriften zur Kunst – allerdings bewegt er sich stets in seiner Welt: "Filonow theoretisierte zwar, aber aber nicht wissenschaftlich", so Dmitrenko.

So eigenbrötlerisch Filonow auch war und so stark seine Kunst von den Grundsätzen des ab 1932 sakrosankten Sozialistischen Realismus abwich, fiel er erstaunlicherweise nicht dem Stalinterror der 30er Jahre zum Opfer. Doch obschon sich Filonow als sozialistischer und volksnaher Künstler verstand, geriet er ins Abseits. "Er liebte zwar das Volk, aber das Volk liebte ihn nicht, weil es ihn nicht verstand, " meint Dmitrenko.

Hinzu kam, dass er außerordentlich wenig verkaufte, aber nicht, weil seine Bilder keinen Erfolg gehabt hätten, sondern einfach, weil er nicht verkaufen wollte. Er behielt alles bei sich, arbeitete ausschließlich in Leningrad und stellte grundsätzlich nur in Russland aus.

Darum blieb der größte Teil der Arbeiten beisammen und kam dank seiner Schwester nach dem Krieg praktisch geschlossen in die Sammlung des Russischen Museums. So einsam und zurückgezogen wie sein Leben, war auch sein Tod – vergessen verhungerte er während der ersten Monate der Leningrader Blockade im Herbst 1941.

(Eugen von Arb/SPZ)


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