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Mehr als nur ein Actionfilm? Die 9. Rotte wird in Afghanistan verheizt (foto: Filmplakat)
Mehr als nur ein Actionfilm? Die 9. Rotte wird in Afghanistan verheizt (foto: Filmplakat)
Dienstag, 11.04.2006

Film: Vergangenheits-Bewältigung per Kassenhit?

St. Petersburg. Das russische Kino und Fernsehen zeigten während der vergangenen Monate eine Reihe von Filmen mit brisantem Inhalt: Krieg und Stalinismus werden darin kritisch beleuchtet. Was steckt dahinter?

Sind diese neuen Filme Ausdruck des Willens, Tabuthemen anzusprechen - oder einfach nur Geldmacherei mit Actionfilmen?

Afghanistan ist das russische Vietnam - auch im Kino. Seit Oktober vergangenen Jahres wurde das russische Publikum mit dem Action-Streifen "9. Rota" ("Die 9. Kompanie") in einen Krieg zurückgeholt, der über zwanzig Jahre zurückliegt.

Wurde der Vietnamkrieg zumindest von Medien und Intellektuellenkreisen wahrgenommen, so blieb der Afghanistankrieg für die Russen während und bis lange nach der Sowjetzeit ein absolutes Schweigethema. Das, obwohl dort über 15.000 sowjetische Soldaten ihr Leben ließen und noch viel mehr psychisch und physisch verkrüppelt heimkehrten. Ihr Leiden wird noch heute versteckt, nur manche bettelnde Invaliden in der Metro erinnern die russische Öffentlichkeit an dieses grausame Abenteuer.

Das Genre „Vietnam-Film“ nach Afghanistan versetzt


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Ein Film verspricht nun, die Wahrheit über dieses Thema zu erzählen. In der "9. Kompanie" von Fjodr Bondartschuk (Regie und Hauptrolle) spielt sich jenes Schauspiel des Irrsinns ab, das dem westlichen Publikum bereits aus amerikanischen Filmen, wie "Apocalypse Now", "Platoon" oder "Full Metall Jacket" bekannt ist.

Der Ukrainer Chochol und seine jungen Kameraden werden 1988/89 durch die unbarmherzige Mühle brutalen Kasernendrills gedreht und nach Afghanistan geschickt, um allesamt verheizt zu werden - bis auf einen. Chochol überlebt die Schlacht gegen die unbändigen Mudschahedin auf der Höhe 3234, die verteidigt wird, obwohl der Krieg offiziell bereits beendet ist.

Das actionreiche Kriegsdrama mit einem tüchtigen Quantum Brutalität, Sex, Stuntszenen und Schlachtenlärm endet mit der wohlbekannten Szene des "letzten Mannes", welcher zwischen seinen erschossenen Kameraden durchdreht und sich die Seele aus dem Leib schreit - eine Anklage?

In ähnlich harter Tonart wird in dem Streifen "Swolotschi" ("Das Gesindel") von Maxim Fesjun die Geschichte Jugendlicher erzählt, die der NKWD während des Zweiten Weltkriegs in einem Speziallager zu Elitesoldaten ausbildet, um sie bei Himmelfahrtskommandos gegen die Deutschen hinter der Front einzusetzen - Vergangenheitsbewältigung?

Kriegsdramen als Geldmaschinen


Für Olga Scherwud, Filmkritikerin den "Sankt Peterburgskie Vedomosti", ist der Fall klar: "Solche Filme kann man nicht ernst nehmen, sie sind reine Geldmacherei!". Außer dem actionreichen Stil stört sie vor allem die Tatsache, dass beide Filme es mit der Wahrheit nicht genau nehmen - solche Lager, wie in "Swolotschi" habe es gar nicht gegeben, kritisiert sie.

Ebenso zweifelhaft ist, ob russische Wehrpflichtige wirklich, wie in der "9. Kompanie" dargestellt, gefragt wurden, ob sie an Einsätzen in Afghanistan teilnehmen wollen. Dass russische Filmautoren heute solche Stoffe wählen, wertet sie als reine Marktstrategie. „Die Zuschauer haben eben genug von Räuber- und Banditengeschichten, darum wählt man zur Abwechslung solche historischen Motive, um sie zu unterhalten." Das mit Erfolg, mehr als 2,5 Millionen Zuschauer haben „Die 9. Kompanie" gesehen.

Diskussion über die Sowjet-Vergangenheit findet nicht statt


Ganz anders beurteilt Scherwud die Verfilmung von Solschenizyns Roman "Im ersten Kreis der Hölle" vom Gleb Panfilow, die im Februar in zwölf Teilen im Fernsehen gezeigt wurde.

Anhand der Gefangenenschicksale in einem Speziallager für Wissenschaftler gibt der Autor die düstere Welt des stalinistischen Russlands im Jahr 1949 wieder - innerhalb und außerhalb der Gefängnismauern bis hinauf in die Privatgemächer des Diktators. Mit seinem Entscheid, seine genialen technischen Fähigkeiten nicht in die Dienste des Regimes zu stellen, wählt der Romanheld Gleb Nerschin (Jewgeni Mironow) die Abschiebung in den Gulag und damit den sicheren Tod.

Neben ihrer filmischen und schauspielerischen Qualität gesteht die Journalistin der hochkarätig besetzten Serie einen Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung zu - an der es ihrer Meinung nach in der russischen Gesellschaft fast völlig fehlt.

Der Staat engagiert sich nur halbherzig


Gleichzeitig macht sie sich keine Illusion über die Wirksamkeit solcher Projekte: „Solche Filme verändern gar nichts - Solschenizyn wird nur von einem winzigen Kreis Intellektueller wahrgenommen, die keinen Einfluss auf die Politik haben", lautet ihr bitteres Urteil. Der Staat selbst ist laut der Kritikerin überhaupt nicht an einer breiten Diskussion interessiert - ganz im Gegenteil sei momentan überall eine Art Restauration im Gange.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der landesweite staatliche Fernsehkanal "Rossia" sich maßgeblich bei der Entstehung des Solschenizyn-Films beteiligte und ihn ausstrahlte.

„Sie hatten einfach keine andere Wahl, als mitzumachen", meint Scherwud zynisch, „es wäre zu peinlich gewesen, abzusagen." Außerdem sei der Stalinismus heute eigentlich kein wirklich verbotenes Thema mehr. Man könne deshalb auch ohne Schwierigkeiten einen Film darüber drehen.

Putin als Kritik-Thema ist tabu


Aktuelle Tabus sind für die Kritikerin viel eher der Tschetschenienkrieg und die Politik der Regierung Putin – dementsprechend werde auch die Zensur angepasst. „Ein Kollege von mir sagte kürzlich auf einer Pressekonferenz, die Grenze der Zensur sei heute ganz klar durch das Jahr 1999 gesetzt, dem Jahr vor Putins Wahl zum Präsidenten."

Eugen von Arb
(-eva/SPZ/rufo)


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