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Aus der Großbaustelle wird wieder ein Musentempel: Das Moskauer Bolschoj Theater steht kurz vor der Wiedereröffnung (Foto: Heyden/.rufo) |
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Donnerstag, 27.10.2011
Bolschoi Theater erlebt Wiedergeburt im ZarenglanzMoskau. Das legendäre Moskauer Bolschoi Theater erstrahlt wieder im Glanz der Zarenzeiten. Sechs Jahre dauerte die teils dramatische Totalsanierung des Musentempels - dem Zuhause der weltgrößten Balletttruppe.
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Die acht kolossalen Säulen und der Musengott Apollon auf einem Pferdegespann künden im Zentrum von Moskau von großem Theater. Der Blick auf das Bolschoi Theater, lange verstellt von Baugerüsten, Zäunen und Baracken, ist wieder frei. Nach sechs Jahren Totalsanierung - doppelt so lange wie geplant - beginnt am Theaterplatz in Kreml-Nähe mit der Neueröffnung des Musentempels von 1856 das kulturelle Herz Russlands neu zu schlagen. Am 28. Oktober ist es so weit.
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Das zu Sowjetzeiten fast bis zum Einsturz heruntergewirtschaftete Bolschoi erstrahlt im Glanz der Zarenzeit des 19. Jahrhunderts. «Sogar die Kulturexperten von der Unesco haben uns Bestnoten für diese einmalige Sanierungsleistung gegeben», betont Bolschoi-Generaldirektor Anatoli Iksanow bei einer Führung.
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Baukosten: eine halbe Milliarde Euro - oder auch eine ganze
Von den Skandalen um Baupfusch, Korruption und den Machtspielen um die international renommierte Opern- und Ballettbühne mag der Intendant lieber nicht mehr sprechen. Auch nicht von den Kosten. Die schlagen nach offiziellen Angaben mit rund einer halben Milliarde Euro zu Buche. Inoffiziell ist aber die Rede von einem Milliardenbetrag.
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«Wir sind für die Kunst zuständig, dafür, dass Russlands musikalisches Nationalerbe wieder sein angestammtes Zuhause hat», sagt der 59-jährige Iksanow. Für den Neubeginn am Bolschoi lässt er Michail Glinkas Märchenoper «Ruslan und Ljudmila» - ein russisches Nationalheiligtum - aufführen.
Das mit mehr als 200 Tänzern größte Ballett der Welt wird seine erste Spielzeit im sanierten Haus mit Tschaikowski beginnen. Aber nicht mit «Schwanensee», dem berühmtesten Ballett des Hauses. Die Uraufführung hier liegt 134 Jahre zurück. Nein, mit «Dornröschen» in der Urchoreographie von Marius Petipa. Bolschoi-Altmeister Juri Grigorowitsch (84) hat das Ballett neu inszeniert.
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Ein neues Fundament unter alten Mauern
Beim Gang durch die hellen Flure des klassizistischen Prunkbaus gibt sich Generaldirektor Iksanow ruhig. Doch merkt ihm jeder die Feiertagslaune an. Der spannendste Moment der Baujahre am Bolschoi? Für ihn sind es die Tage, als der Theaterbau auf ein neues Fundament gehievt wurde. Viele Moskauer hielten bei der Rettung gebannt den Atem an.
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Lange Zeit war das auf sumpfigem Grund stehende Haus einsturzgefährdet. Jetzt aber ist der Kolossalbau bis zu 20 Meter tief im Boden verankert, bis zum Fels. Direkt unter dem Springbrunnen auf dem Theaterplatz hat sich das Bolschoi erstmals mit Untergeschossen in die Tiefe begeben. Dort liegt der neue Beethoven-Saal mit wuchtigen Säulen und 300 Plätzen.
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Ein neuer Saal im Keller - und unterm Dach
Sein High-Tech-Boden aus edlen Nusshölzern ist in Einzelflächen teilbar, die sich heben und senken. Je nach Anlass verwandelt sich der Saal in ein Amphitheater für Kammerkonzerte oder in eine Empfangshalle. Vor allem dank dieses unterirdischen Ausbaus hat sich die Gesamtfläche des Bolschoi Theaters auf rund 80.000 Quadratmeter verdoppelt. Unter dem Dach befindet sich zudem eine Probenbühne mit Zuschauertribüne für die Ballett-Truppe.
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Nur der prächtige Hauptsaal bietet nun weniger Platz. Statt der mehr als 2000 Sitzplätze vor der Schließung gibt es nun nur noch 1700 Stühle - «für mehr Komfort und auch eine bessere Akustik», wie Iksanow ausführt.
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Tickets für 100 Rubel - oder 200 Euro
Ein Besuch in dem Prachtbau des russisch-italienischen Architekten Alberto Cavos gehört zum Muss für jeden Moskau-Touristen. Doch die Tickets für «Schwanensee» kosten umgerechnet bis über 200 Euro. «So kämpfen wir gegen Spekulanten», sagt Iksanow. Er meint Moskaus Ticketmafia, die Karten stapelweise aufkauft und dann zu Fantasiepreisen auf dem Schwarzmarkt verhökert. Das Geld streicht das Theater längst lieber selbst ein.
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«Die Preise entstehen nach Angebot und Nachfrage. Wir haben jedoch pro Vorstellung ein Kontingent von Tickets für 100 Rubel für diejenigen, die sich das nicht leisten können», betont Iksanow. Er ist seit 2000 im Amt, hat den 2002 eröffneten Bau einer neuen Spielstätte nebenan mit überwacht und die Schließung der historischen Bühne betreut.
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Renommierte Zuwanderer stärken die Bolschoi-Gemeinde
Vor allem aber hat er auch das sowjetisch verstaubte Repertoire erneuert und Stars wie John Neumeier vom Hamburger Ballett und Opernregisseur Peter Konwitschny nach Moskau eingeladen. Nun ist Iksanow Herr über zwei große Häuser am Theaterplatz. Auch wenn der kugelige Manager, damals von Kremlchef Wladimir Putin von St. Petersburg in die Hauptstadt geholt, gemütlich aussieht, ist klar, dass es für die Leitung eines solchen Betriebs Härte braucht.
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Zum Bolschoi gehören zahlreiche Werkstätten, Depots und Lager sowie Nebengebäude in der Stadt. Sogar ein Betriebskrankenhaus und einen Kindergarten kann sich das Theater mit seinen mehr als 2.000 Beschäftigten leisten - ein eigener Organismus in der Stadt.
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Doch erst mit der Wiedergeburt der prunkvollen historischen Bühne ist das Bolschoi wieder vollkommen. Überall im Haus reflektiert Blattgold das warm gleißende Licht von prunkvollen Lüstern und Wandstrahlern. «Märchenhaft, nicht wahr!», flüstert Regisseur Dmitri Tschernjakow bei einer Führung. Und er souffliert sich selbst: «Unikalno!» - zu deutsch: «Einzigartig!».
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Farbtöne Gold und Himbeer betören das Auge
Es ist, als ob die funkelnde Kraft des Goldes auf den Stuck-Arabesken im Zuschauersaal die Sinne blendet. Eine Mischung aus Renaissance mit byzantinischen Stilelementen. Nur die himbeerroten Stoffe der Holzsitze und der Logen beruhigen die Augen.
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«Alles hier ist bis ins Detail durchdacht», erklärt Michail Sidorow vom Generalunternehmer Summa Group in Moskau. «Vor allem auch mit Blick auf die ursprüngliche Akustik. Sogar die Stoffe der Sitze sind extra so gewählt, damit alles klingt wie im 19. Jahrhundert.» Im vergrößerten Orchestergraben finden nun bis zu 130 Musiker Platz. Damit sind bombastische Inszenierungen etwa von Richard Wagners Opern möglich.
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Akustik und Bühnentechnik aus Deutschland
Für den Klang zeichnen deutsche Ingenieure verantwortlich. Experten des Münchner Unternehmens BBM-Müller hätten die audio- und videotechnischen Anlagen geplant und deren Bau überwacht, sagt Sidorow. «Sie haben gezielt Schall und Schwingungen reduziert, um den optimalen Klang zu erzielen.» Fast komplett hatte der russische Staat die Aufträge für Bühnen-, Theater- und Medientechnik nach Deutschland an die Firma Bosch Rexroth AG vergeben.
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«Im Schichtsystem und rund um die Uhr haben hier rund 3.500 Arbeiter dem Bolschoi wieder zu Glanz verholfen», sagt Sidorow. Mehr als 1.000 Restauratoren aus ganz Russland erneuern in jahrelanger Kleinarbeit detailgetreu den Stuck, vergolden ihn. Auch die zu Sowjetzeiten weiß übertünchten Deckenmalereien sind wieder freigelegt.
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Happy-end auch für den Denkmalschutz
Im Treppenhaus scheinen hinter Glas noch die Ziegel der alten Gemäuer durch. Ein Siegesbeweis für den Denkmalschutz, der sonst vielerorts im alten Moskau gegen superreiche und kriminelle Bauherren kaum eine Chance hat. «Wir wissen heute wahrscheinlich mehr über das Bolschoi-Theater als zu jeder anderen Zeit», berichtet Sidorow.
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Der Manager schwärmt im kleinen und großen Imperator-Saal davon, wie feinfühlig die Stoffe aus Seide und Wolle gewebt sind. «Das, was hier an wissenschaftlicher Restaurierung geleistet wurde, sucht sowohl vom Umfang als von der Qualität her seinesgleichen auf der Welt», meint Sidorow.
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Das Theater zählt zu den Meisterwerken des russischen Klassizismus. Sein Ursprung geht auf eine Initiative von Katharina der Großen 1776 zurück. 1805 wird es während eines Brandes fast restlos zerstört. Der von 1821 bis 1825 errichtete Neubau wird dann nach der Mailänder Scala das zweitgrößte Theater der Welt.
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Auch bei einem zweiten Brand 1853 und einem Bombeneinschlag 1941 im Zweiten Weltkrieg wird das Gebäude fast zerstört. Die Institution aber stirbt nie, auch dann nicht, als hier der eisige Hauch der Zensur der kommunistischen Kulturfunktionäre weht. Künstler von Weltklasse setzen sich in dieser Zeit bei Gastspielen in den Westen ab.
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Abwanderung gestoppt: Auch für die Künstler ist Geld da
Das Ausbluten sei heute kein Thema mehr, sagt Ballettchef Sergej Filin. Der 40-Jährige erinnert sich gut an die chaotischen 1990er Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als Hunger und Armut an den Kräften der russischen Kulturszene zehren. Das Haus, das seinen Weltruf Tänzerinnen wie Galina Ulanowa und Maja Plissezkaja verdankt, sieht sich unter dem Dach des wieder reichen russischen Staates gerüstet für die Zukunft.
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«Wir können heute mit den Durchschnittsgagen von bis zu 2.000 Dollar monatlich im weltweiten Vergleich mithalten. Solisten erhalten natürlich deutlich mehr», sagt Filin. Gerade hat er den US-Amerikaner David Hallberg als Star verpflichtet - ein Novum für die auf ihren klassischen Spitzentanz und die athletische Sprungkraft der Tänzer so stolze Ballettnation.
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Filin verspricht das Beste, was die Ballettwelt heute zu bieten hat. Die «museal-klassischen» Aufführungen, die viel Wert auf synchrone Bewegungen legen, seien die «Brillanten» des Traditionshauses. Aber auch zeitgenössisches Ballett werde hier seinen Platz haben. Viele Bolschoi-Inszenierungen sollen künftig auch auf deutsche Kinoleinwände übertragen werden.
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Für Lenin gibt es noch eine Gedenktafel
An die wechselhafte Geschichte des Theaters erinnert zumindest äußerlich an dem monumentalen Prunkbau inzwischen kaum noch etwas. Nur an der Außenfassade zeugen noch goldene Inschriften von einem Auftritt des Revolutionsführers Lenin in den 1920er Jahren und von den damaligen Parteitagen der Kommunisten.
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Hammer und Sichel im Zuschauersaal hingegen sind verschwunden - für den neuen Glanz der alten Zarenzeit und den Doppeladler vom Staatswappen Russlands.
(Ulf Mauder, dpa)
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