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Alexander Lukaschenko rechnet seine Errungenschaften vor (Foto: TV) |
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Samstag, 18.03.2006
Warum Lukaschenko jetzt bleibt, aber demnächst gehtMoskau. Natürlich, Lukaschenko ist ein Diktator. Aber nicht deswegen bleibt die Revolution in Minsk aus. Er manipuliert. Aber vor allem gewinnt er, weil seine Weißrussen mit dem Leben doch recht zufrieden sind. Ein paar Fakten:
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In der Ukraine gab es Revolution und Freiheit. Aber den Menschen geht es in der Ukraine schlechter als in Weißrussland.
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In Russland gibt es Gazprom, dicke Valutareserven und Nationale Projekte, aber den Dörflern in Weißrussland geht es besser, als vielen Dörflern in der russischen Provinz.
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Es mag manchem Leser heftig gegen den ideologischen Strich gehen, aber mir scheint, dass es wichtig ist, diese Fakten festzuhalten.
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Warum ist dieses Weißrussland über Jahre hinweg so stabil und auch resistent gegen jedwede politische Intervention? Vielleicht, weil Lukaschenkos KGB so effektiv ist, dank der KGB-Schule in Minsk, die ja auch einige an anderen Orten erfolgreiche Absolventen produzierte? Die Opposition hat es wahrlich nicht leicht in Weißrussland. Aber das ist nicht das Entscheidende.
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Opposition in Weißrussland hat es schwer aber das ist nicht entscheidend
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Es gibt erstaunlich aber wahr - ein Wohlstandsgefälle zugunsten von Weißrussland. Bescheiden aber trotzdem deutlich, besonders, wenn man auf der russischen Landstraße an Kolchosruinen und zerfallenen Dörfern vorbei nach Weißrussland hinein fährt, wo die Kantsteine schön weiß gekalkt und die Zäune frisch gestrichen sind. Sogar, wenn man von der Hauptstraße ein wenig abweicht.
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Es ist eben wichtig, was man miteinander vergleicht. Und für die Menschen auf der weißrussischen Insel ist offensichtlich ziemlich wichtig, was sie mit eigenen Augen um sich herum sehen können. Es spricht mehr für die Insel.
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Stimmen für Lukaschenko Idiotie des Landlebens?
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Die Masse der weißrussischen Wähler auf dem Lande und in den Kleinstädten, so scheint es, zieht aus diesem Lebensgefühl die Konsequenz, für Lukaschenko zu stimmen. Der Ex-Kolchosvorsitzende muss sie nicht einmal dazu zwingen. Man mag das als Idiotie des Landlebens bezeichnen, aber das Recht, so abzustimmen, kann ihnen ernsthaft niemand streitig machen.
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Es gab Mitte der 90iger Jahre die Theorie, das Phänomen Lukaschenko werde sich auf biologisch-soziologischem Weg auflösen. Wenn die Masse der nostalgischen Sowjetrentner und Ex-Militärs, derer es in Weißrussland besonders viele gab, das Zeitliche gesegnet haben, wenn also die Lukaschenko-Wähler ausgestorben sind, dann, so hieß es, werde stärker das Soziotop zur Geltung kommen, das sich in der Hauptstadt Minsk entwickelt.
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Die Lukaschenko-Wähler sterben nicht aus. Sie wachsen nach
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Die Theorie ist natürlich auch Lukaschenko bekannt gewesen. Und man muss ihm lassen, dass es ihm bisher gelungen ist, dieses Soziotop zu kontrollieren. Die Gewerkschaftsbewegung, die sich zu entwickeln begann, hat er im Griff.
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Oppositionspolitiker verschwanden. Die Aktivsten und Talentiertesten aus der neuen Generation wanderten aus nach Ost oder West. Aber auch hier scheint den Ausschlag zu geben, dass ihm ein kleines weißrussisches Wirtschaftswunder gelungen ist. Alle, die in den letzten Jahren in Minsk gewesen sind, berichten, die Stadt sei bemerkenswert sauber und ordentlich.
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Natürlich, heißt es, nur weil de facto Weißrussland von Moskau aus subventioniert wird. Das stimmt aber nur bedingt. Es gibt in Weißrussland eine funktionierende verarbeitende Industrie und Leichtindustrie. Die Trecker, Mähdrescher und Schwertransporter, die Belas und MAS sind keine Marktrenner.
Aber Kühlschränke, Möbel oder Textilien aus Weißrussland finden in Russland guten Absatz. Schützenpanzerwagen und einige sonstige re-sale Waffensysteme sind sogar Exportgüter.
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Lukaschenkos Kolchose funktioniert, weil Batka mit den Unteren teilt
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Lukaschenkos Kolchose funktioniert. Und der Kolchosvorsitzende gibt von den Einkünften offensichtlich soviel ab, dass seine Unteren davon leben können. Anscheinend wird von Batka Lukaschenko verhältnismäßig mehr verteilt, als man es von russischen Oligarchen gewohnt ist.
Demokratisch ist sein Laden überhaupt nicht. Aber ausreichend soziale Akzeptanz gibt es für ihn, so dass sogar erheblicher Druck von außen bisher nicht destabilisierend wirkte.
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Wahlergebnis: ein Pakt mit der Staatsmacht, der Ruhe verspricht
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Kurz und gut: Am Sonntag werden wohl tatsächlich die meisten Weißrussen weniger für Alexander Lukaschenko persönlich abstimmen, als vielmehr dafür, dass sie ihre Ruhe haben wollen. Sie stimmen für einen Pakt mit der Staatsmacht, der sie für ihre Verhältnisse - einigermaßen anständig leben lässt. Das ist politisch nicht korrekt, aber doch verständlich.
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Besonders auch, wenn man auf die Geschichte Weißrusslands schaut, durch das immer die marodierenden Heerscharen der historischen Heilsbringer hindurch gezogen sind: die Polen und Litauer, Napoleon, General Hoffmann und Hitler. Nicht zu vergessen die Kollektivierung und Repressionen Stalins. Und dann noch Tschernobyl. Das kollektive Ruhebedürfnis hat seinen Grund, der sich nicht schnell auflöst.
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Oppositionskundgebung in Minsk. Es gibt sie doch ! |
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Das kollektive Ruhebedürfnis ist historisch begründet
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Das wird sich wohl wirklich erst dann ändern, wenn sich unter dem Deckel des Lukaschenko-Regimes in einer neuen Generation ausreichend viel neues, alternatives Denken und neue soziale Beziehungen entwickelt haben. Ohne (oder mit wenig) Intervention von außen. Je ruhiger, desto schneller. Diese Chance sollte Weißrussland haben.
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Das Wirtschaftswunder, so bescheiden es ist, wird nicht ewig währen
Tatsächlich wird der äußere Druck sowieso eher zunehmen und sich mit einigen inneren Problemen verknüpfen. Der Beitritt Russlands zur WTO dürfte mittelfristig Weißrusslands Wirtschaft einige Probleme bereiten. Besonders auf dem russischen Markt, aber auch wegen der Energiepreise. Die Gazprom-Preise entsprechen zwar eigentlich schon dem Marktniveau. Sie sehen nur deswegen im ersten Halbjahr 2006 mit 46 USD sehr viel niedriger aus, weil Lukaschenko das Gas gegen weißrussischen Boden unter den Pipelines verrechnen läßt, der auf 49 Jahre an Gazprom verpachtet wurde. Allerdings hat Lukaschenko mittelfristig weniger Land zu verpfänden, als er Energie braucht.
Weder Missionierung noch Demokratisierungskrieg
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Wen stört das schon ernsthaft, wenn 10 Millionen Menschen in Mittelosteuropa, hinter den Tschernobyl-Sümpfen und Wäldern, nach einer anderen Facon leben? Auch wenn es nicht ihre eigene ist. Sollen sie doch. Sie werden schon selbst klarkommen mit ihrer Obrigkeit. Soweit sie das wollen, sollte man ihnen und der Opposition helfen. Aber Missionierung tut nicht Not. Ein fröhlicher Demokratisierungskrieg erst Recht nicht.
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Gisbert Mrozek (gim/.rufo)
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