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Tante Emma ist seit 1941 in Tomsk (Foto: Ballin/.rufo)
Tante Emma ist seit 1941 in Tomsk (Foto: Ballin/.rufo)
Donnerstag, 13.04.2006

Russlanddeutsche zwischen Vergangenheit und Zukunft

André Ballin, Tomsk. Knapp 13.000 Russlanddeutsche leben im Gebiet Tomsk. Doch im Leben der Region spielt die kleine Minderheit eine nicht zu unterschätzende Rolle, nicht nur wegen Gouverneur Kress.


Es gibt eine lange deutsche Tradition in Tomsk. Die ersten Siedler kamen bereits vor der Jahrhundertwende, der nächste Schub folgte – unfreiwillig – 1941, als Russlanddeutsche von den Sowjet-Behörden aus der Ukraine, dem Kaukasusgebiet und der Wolgaregion vertrieben wurden. Und schließlich zogen einige Russlanddeutsche aus den mittelasiatischen Sowjetrepubliken nach dem Zusammenbruch der UdSSR eine Rückkehr nach Russland der ungewissen Zukunft in Deutschland vor.

Harte Zeiten der Vertreibung


Die Geschichten könnten unterschiedlicher nicht sein. „Tjotja“ Emma (Tante Emma), wie die knapp 80jährige Emma Grasmik genannt wird, kam 1941 in Sibirien an. Die damals 13jährige sprach kein Wort Russisch, denn in ihrem Dorf Laube im Wolgagebiet Saratow wurde nur deutsch geredet.

Vom deutschen verfällt Emma Grasmik beim Erzählen schon mal ins Russische und umgekehrt. (Foto: Ballin/.rufo)
Vom deutschen verfällt Emma Grasmik beim Erzählen schon mal ins Russische und umgekehrt. (Foto: Ballin/.rufo)
Einen deutschen Akzent hat sie bis heute, auch wenn sie ihre Muttersprache schon teilweise vergessen hat. „Anfangs war es besonders hart“, erinnert sie sich. Die Neuankömmlinge wurden mit Unverständnis, Misstrauen und Ablehnung behandelt. Das harte sibirische Klima – „es fiel Schneeregen, als wir Ende September hier ankamen“ – forderte gleich zu Beginn eine Menge Opfer.

„Viele mussten betteln gehen, um zu überleben“. Als die jungen Männer kurz darauf zur Arbeitsarmee eingezogen wurden, wurde es für die Frauen noch schwerer. Doch Emma, ihre Mutter und ihre beiden jüngeren Schwestern schlugen sich durch.

Rückkehr nach Deutschland ist kein Thema


Zur „Tante Emma“ wurde Emma Grasmik erst nach dem Krieg, als sie in einem Lebensmittelgeschäft arbeitete und sich die Achtung und das Vertrauen ihrer Mitmenschen erkämpfte.

Inzwischen ist sie lange in Rente, aber rüstig ist sie bis heute. Die Kuh ist zwar seit einem halben Jahr vom Hof, doch ein paar Hühner halten die Grasmiks immer noch. Eine Rückkehr nach Deutschland kommt übrigens nicht in Frage für die Familie.

„Als vor einigen Jahren die Frage im Raum stand, gab es Diskussionen. Die einen wollten, die anderen nicht. Da habe ich gesagt: Entweder alle oder keiner.“ So sind denn am Ende alle geblieben. Auch an die Wolga wolle sie nicht mehr zurück, Tomsk sei ihre zweite Heimat geworden, versichert sie.

Kirche ist Bestandteil der Identität


Interessante Bauweise: Eine lutherische Kirche im russischen Blockhausstil (Foto: Ballin/.rufo)
Interessante Bauweise: Eine lutherische Kirche im russischen Blockhausstil (Foto: Ballin/.rufo)
Wer heute noch in Tomsk wohne, wolle auch bleiben, bestätigt der Diakon der Lutherischen Kirche, Alexander Hahn: „Vor sechs – sieben Jahren ließen sich die Leute bei uns taufen, weil sie hofften, dass dies ihre Chancen bei der Ausreise verbessern würde. Inzwischen ist das nicht mehr so“, sagt der aus Kirgisien nach Tomsk gekommene Russlanddeutsche. Er versteht Deutsch und liest auch ganz gut, aber für ein normales Gespräch fehle ihm die Praxis, gibt Hahn zu.

Wenn bei dem Merkel-Besuch seine neue Kirche eingeweiht wird, geht für den Pfarrer ein lange gehegter Traum in Erfüllung. Der Aufbau der Kirche ist aus dem Regionalbudget finanziert worden, aber auch viele Gemeindemitglieder hätten gespendet, um die Inneneinrichtung des Gotteshauses auszustatten, versichert Hahn.

1884 wurde die Brauerei Tomskoje Piwo von Karl Krüger gegründet (Foto: Ballin/.rufo)
1884 wurde die Brauerei Tomskoje Piwo von Karl Krüger gegründet (Foto: Ballin/.rufo)

Wirtschaftlicher Erfolg dank „deutscher Tüchtigkeit“?



In der Wirtschaft der Region spielen Russlanddeutsche keine unwesentliche Rolle. Der Besitzer der Brauerei „Tomsker Bier“, Iwan Klein, beispielsweise ist einer von ihnen. Als Abgeordneter der Stadtduma und Mitglied des Steuerkomitees hat der 46jährige auch politischen Einfluss. Die schon vor der Wende zum 19. Jahrhundert von zwei preußischen Auswanderern gegründete Brauerei wirft heute wieder ein gutes Geschäft ab.

Das Business von Wladimir Baitinger ist da schon bescheidener. Doch der Professor hat es geschafft sein Institut für Mikrochirurgie zu einem der modernsten weltweit zu entwickeln. In einem Bereich, der in Russland lange Zeit als subventionsbedürftig galt, hat er ein selbstständiges Unternehmen aufgebaut. Die 44 Mitarbeiter des Instituts verdienen deutlich mehr als ihre schlecht bezahlten Kollegen im Staatsdienst.

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• Russlanddeutsche: Wolgarepublik dank Putin? (16.03.2006)
• Russland Geschichte: Heldentag oder Deportationstag? (23.02.2006)
• Wolfgang Seiffert: Skandal um Russlanddeutsche (07.04.2006)
Das Geld für die Entwicklung stammt überwiegend aus plastischen Operationen, die auch in Russland immer mehr Verbreitung finden. Den Löwenanteil der Operationen machen allerdings Notfälle aus, wenn abgetrennte Finger o.ä. wieder angenäht werden müssen.

Tomsk als neue Heimat


Baitinger, ist stolz auf seine deutschen Vorfahren ist, seine Zukunft sieht er jedoch in Russland. Er will ein russisch-deutsches Zentrum für Mikrochirurgie in Tomsk aufbauen und sieht gute Chancen, bei dem Gipfel eine entsprechende Vereinbarung zu erzielen.

„Ich gehöre zwei großen Nationen an“, versichert auch Gouverneur Viktor Kress, der 1949 mit seinen Eltern aus einer Arbeitskolonie nach Sibirien kam. Es ist wohl das Lebensgefühl vieler Russlanddeutscher in Tomsk. Es ist vielleicht eine Trotzreaktion auf die Ablehnung, die ihnen lange Zeit in Russland und nun vielerorts in Deutschland entgegenschlägt.

In Tomsk haben viele von ihnen inzwischen Anerkennung gefunden. Die „deutsche Tüchtigkeit“ schätzen viele Russen hier. Und auch für die meisten Russlanddeutschen von Tomsk liegt die Heimat und die Zukunft in Sibirien. An der wollen sie kräftig mitgestalten.


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