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Wladimir Fesenko ist Politologe in Kiew (Foto: unian)
Wladimir Fesenko ist Politologe in Kiew (Foto: unian)
Donnerstag, 05.12.2013

Experte: Die Opposition in Kiew hat die Lage überschätzt

Kiew. Die ukrainische Regierung bleibt im Amt. Der Politologe Wladimir Fesenko spricht im Interview mit Russland-Aktuell über Schwächen der Opposition, den neuen Kurs der Ukraine und Janukowitschs Chance auf die Wiederwahl.

Russland-Aktuell: Der Misstrauensantrag gegen die ukrainische Regierung ist gescheitert. Kann die Opposition den Machtkampf noch gewinnen oder sitzt Viktor Janukowitsch die Krise aus?

Fesenko: Die Opposition hat nur eine Chance, wenn sich die Anzahl der Demonstranten erhöht. Theoretisch ist das möglich. Dazu muss sie die Leute in Kiew und im Westen des Landes mobilisieren. Sie muss sich stärker artikulieren und auch das Fernsehen nutzen. Derzeit ist die Enttäuschung über das Scheitern der Abstimmung allerdings groß, so dass der Zusammenbruch des Protests wahrscheinlicher ist.

Russland-Aktuell: Wo liegt denn die große Schwäche der Opposition?

Fesenko: Die Opposition ist stärker als in Weißrussland und Russland, aber klar ist auch: Die Menschen sind am Sonntag nicht wegen der Opposition auf die Straße gegangen, sondern weil sie das brutale Vorgehen der Polizei empört hat. Viele Demonstranten sind kritisch gegenüber der Opposition eingestellt und haben kein Vertrauen in sie. Damit fehlt der Zusammenhalt.

Die Opposition hat auch kein einheitliches Zentrum. Es gibt drei oppositionelle Parteien in der Rada und dann noch eine Gruppierung um den Unternehmer Pjotr Poroschenko herum, die alle eigene Ziele verfolgen. Gerüchten zufolge sind sich die Oppositionsführer uneinig über Strategie und Taktik, was Entscheidungen verzögert.

Die organisatorische Schwäche hat objektive Gründe: Die Opposition war auf die Ereignisse nicht vorbereitet, wurde von der Stärke des Protests überrascht und hat dann in ihrer Euphorie die Lage im Parlament überschätzt, auf massenhafte Übertritte aus der Partei der Regionen gehofft und keinen weiteren Plan entwickelt.

Russland-Aktuell: Hat sich die politische Führung wieder gefestigt?

Fesenko: Die Regierung ist sehr schnell aus ihrer Schockstarre herausgekommen und hat sich von ihrem sonntäglichen Knockout erholt. Sie ist zum Gegenangriff übergegangen. Sowohl Janukowitsch, als auch Premier Nikolai Asarow haben Fernsehansprachen gehalten. Hinter den Kulissen wurde an den nötigen Fäden gezogen, um das Regierungsbündnis zu stabilisieren.

Russland-Aktuell: Wird sich Janukowitsch nun Richtung Moskau orientieren?

Fesenko: Seit den Verhandlungen von Charkow zwischen Russland und der Ukraine vor drei Jahren herrschte große Enttäuschung auf beiden Seiten: Russland hatte gehofft, Janukowitsch schnell unterzukriegen, doch das hat nicht geklappt. Auf der anderen Seite bekam Janukowitsch nicht den Gasrabatt, den er haben wollte. Darum hat er in der Vergangenheit eine Balance zwischen Russland und der EU gesucht und mit beiden Seiten verhandelt.

Vor den nächsten Präsidentenwahlen wird er sich vermutlich Russland stärker annähern. Allerdings ist das ein langsamer Prozess. Ein jäher Wechsel würde die Gesellschaft weiter spalten. Wenn schon der Aufschub der Annäherung an die EU solche Proteste hervorgerufen hat, dann droht der Ukraine durch einen Beitritt zur Zollunion eine schwere politische Krise.

Russland-Aktuell: Die ukrainische Wirtschaft lahmt. Wie groß ist die Gefahr eines Defaults?

Fesenko: Die Gefahr besteht, andererseits wird über die Abwertung der Hrywna (Währung in der Ukraine – d.Red) seit eineinhalb Jahren spekuliert. Die Regierung hält aber mit aller Anstrengung den Kurs. Die Verschuldung wächst und ewig ist das nicht durchzuhalten. Zudem gab es letztes Jahr ein Nullwachstum und heuer wohl ein Minus im BIP.

Also sucht die ukrainische Regierung nach neuen Krediten – entweder über den IWF oder Russland. Die Forderungen des IWF nach harten Sozialkürzungen sind aber vor den Wahlen für die ukrainische Führung nicht machbar, also wird sich Kiew wohl an Moskau wenden. Dort könnte Janukowitsch dann aber mit der Forderung konfrontiert werden, der Eurasischen Union, also der politischen Weiterentwicklung der Zollunion, beizutreten.

Russland-Aktuell: Wie groß ist denn Janukowitschs Chance, 2015 noch einmal Präsident zu werden?

Fesenko: Wenn er die jetzige Krise übersteht und er einen sozialen Einbruch im kommenden Jahr verhindern kann, hat er noch eine Chance. Die Opposition hofft auf vorgezogene Wahlen, um Janukowitsch zu schlagen. Gelingt ihr das nicht, wird sie geschwächt.

Allerdings hat Janukowitsch Umfragen nach derzeit in einem zweiten Wahlgang weder gegen Witali Klitschko, noch gegen Arseni Jazenjuk oder – wenn sie freikommen sollte – Julia Timoschenko eine Chance. Schlagen könnte er einzig den Nationalisten Oleg Tjagnibok, doch der wird es wohl nicht in die Stichwahl schaffen. Das wichtigste für Janukowitsch ist, dass sich die wirtschaftliche Lage nicht noch weiter verschlechtert, ansonsten bleiben seine Wähler zu Hause und allein mit Fälschungen kann er nicht gewinnen.


Wladimir Fesenko (55) ist Leiter des Zentrums für angewandte und politische Forschungen „Penta“ in Kiew.




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Paulsen-Consult 05.12.2013 - 14:53

Ausgezeichnetes Interview!

Die Lage in der Ukraine absolut realistisch dargestellt. Es gibt jedoch noch andere Player, die die Situation unerwartet beeinflussen könnten. Für die Oligarchen wird der Abstand zu Europa langsam etwas zu groß. Sie müssen etwas unternehmen, um Janukowitsch über die Euro-Linie zu bringen. Eine rein russiche Perspektive würde für die ukrainischen Oligarchen wahrscheinlich nicht funktionieren.


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