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Nicht das Gerard Depardieu jetzt immer so rumlaufen müsste - dies ist ein Szenenfoto aus dem neuen Rasputin-TV-Film (Foto: lemonde.fr)
Nicht das Gerard Depardieu jetzt immer so rumlaufen müsste - dies ist ein Szenenfoto aus dem neuen Rasputin-TV-Film (Foto: lemonde.fr)
Montag, 07.01.2013

Bienvenue en Russie, Gerard!

Thomas Fasbender, Moskau. Der offene Brief des Gerard Depardieu enthält einen Schlüsselsatz: Er, Depardieu, möge die Presse, aber es sei sehr ärgerlich, dass man da allzu oft nur reinen Konformismus („pensée unique“) antreffe.

Die Formulierung in seinem Schreiben vom 4. Januar entstammt der französischen Debatte um Mainstream-Meinungen und Neoliberalismus. Als hätten sie ihn perfekt verstanden, reagieren die westlichen Medien mit einhelliger Entrüstung. Wie kann man nur! Frankreich, den Born der Aufklärung, den Gral der Zivilisation, eintauschen gegen das despotische Moskauer Imperium ... gegen Dschingis Khan, Iwan den Schrecklichen, Stalin, Putin.

Bei Russland-Aktuell
• Abendessen mit Putin: Gerard Depardieu ist jetzt Russe (07.01.2013)
Depardieu ist Sinnbild für ein Frankreich, das es nicht mehr gibt - das bukolische, liebenswürdige, widerspenstige Frankreich der Provinz. Symbolisch steht dafür ein kleines Dorf in Aremorica; einen seiner Helden hat Depardieu mit inniger Lust auf der Leinwand verkörpert.

Obelix ist viel mehr als eine Comicfigur. Frankreich jedoch nur noch eine Teilrepublik des globalisierten Westens, regiert von denselben Buchhaltern wie alle Länder zwischen Wien und Washington.

Bullen im FJS-Stil sind nicht mehr vermittelbar


Gestalten wie Depardieu haben ausgedient. Dabei dominierten die urwüchsigen Männer noch vor nicht allzu langer Zeit die Rednertribünen der Politik, die Bühnen und den Film. Heute würden sie einen Franz-Josef Strauß gar nicht erst ans Mikrofon lassen. Männlichkeit ist so out wie Kinderkriegen; wenn Männern noch Tribut gezollt wird, dann schrillen schwulen Modezaren.

Vielleicht gefällt Depardieu das einfach nicht. Vielleicht hat er in Russland ein Land gefunden, das einen anderen Weg gehen will. Vielleicht auch in Wladimir Putin, der sich wie Depardieu aus kleinsten Verhältnissen empor gearbeitet hat, sein russisches Alter Ego. Beide kennen den Anspruch auf Privilegien. Das teilen jene, die sich durchgebissen haben, mit denen, die reich geboren sind.

Bei Russland-Aktuell
• Brigitte Bardot wird auch Russin - Elefanten zuliebe (04.01.2013)
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• Depardieu: „Putin hat mir schon einen Pass geschickt!“ (19.12.2012)
Quod licet Iovis, non licet bovis – was dem Jupiter gebührt, gebührt dem Ochs noch lange nicht. Das galt auch in Europa lange Zeit; inzwischen ist der Kontinent so demokratisch, dass Ochs und Jupiter schon kaum noch auseinanderzuhalten sind. Privilegien stehen unter Kardinalverdacht. Selbst einem Helmut Schmidt vermiest man seine öffentliche Raucherei ... es könnte ja jeder kommen.

Vielleicht will Depardieu auch das Diktat der urbanen Mittelschichten nicht ertragen, die in Westeuropa die öffentliche Meinung beherrschen, obschon sie vom Leben (von dem mit Blut dran, mit Speichel und Erde) nicht die geringste Ahnung haben. Das sind die anämischen Verwalter unserer Gegenwart. Männer wie Depardieu – saftig, urwüchsig, aggressiv – werden von solchen Vernunftengeln nur als Bedrohung wahrgenommen. Und als höchst anstößig, etwa wenn sie Zigeuner Zigeuner nennen oder Neger Neger.

Russland als neuer Fluchtpunkt für EU-(Ver-)Zweifler?


Für Putin ist Depardieu ein gelungener Coup. Vielleicht nutzt der Kreml ja die Gelegenheit, im europäischen Osten eine Alternative zum Geist der „EU-Wertegemeinschaft“ zu kreieren. Dann ginge es nicht um 13 % Einkommensteuer. Dann ginge es um jene Europäer, die heute schon am offiziellen EU-Weltbild zweifeln. Die spüren, dass ihnen Bären aufgebunden werden von Politikern, die nur ihren Pelz retten wollen.

Bei Russland-Aktuell
• Deutsch sein - eine Sache um ihrer selbst willen tun (12.11.2012)
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• Pussy Riot: Putins klammheimliche Freude (21.08.2012)
• Putin: Wohin lenkt der "unverschnörkelte Staatsmann"? (08.05.2012)
• Gerhard Schröder, Putin und die ganz falsche Demokratie (09.03.2012)
Sicher weiß auch Depardieu, dass Russland keine ideale Demokratie ist, wie immer man die definieren mag. Die Frage ist, welchen Stellenwert das Kriterium hat.

Die westliche Presse kennt darauf nur eine einzige Antwort – es ist eben dieser Konformismus, den der Franzose als sehr ärgerlich bezeichnet. Man möchte hinzufügen: phantasielos. Das Spektrum der korrekten, öffentlich geduldeten Meinungen ist eng geworden in Westeuropa. Man wundert sich, dass es überhaupt noch für zwei Parteien reicht.

Möglicherweise sind konkurrierende Entwürfe eines künftigen Europa gar nicht das Schlechteste. Für den Westen die geltende EU-Position: Demokratisierung, Angleichung der Lebensverhältnisse, Aufgabe von Souveränität. Im Osten die Variante: nationale Selbstbestimmung, Wahrung gesellschaftlicher Eigenarten, enge wirtschaftliche Verflechtung.

Der Franzose Depardieu hat seine Entscheidung getroffen. Wer ihn im Westen schmäht, mag es tun. Wir meinen: Bienvenue, Gérard!


Russische Übersetzungen >>>
Thomas Fasbender lebt seit 1992 in Moskau und ist mit regelmäßigen Kommentaren auf Russland Aktuell präsent.



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ivanfi 08.01.2013 - 11:09

Gut auf den Punkt gebracht, Herr Mraz.

.........\"Ironischerweise fühle ich mich dort als deutscher wesentlich freier und geschätzter als im eigenen Land, obwohl ich mich daheim als kleiner Selbständiger mit Steuern und Auflagen sowie als Privatmensch oft auf unsägliche Weise traktiert und bevormundet fühle.

In RUS glaubt mir dies kein Mensch.
Die denken ich erzähle von einem anderen Planeten.

Dort werde ich nicht in allen Medien damit täglich konfrontiert wie schlecht wir Deutsche doch sind und das ich mich jeden Tag als Gutmensch beweisen muss.

Im Gegenteil, ich werde dort ausnahmslos mit allergrößter Hochachtung behandelt und bin oft beschämt, welche Attribute man mir als Deutschen zuschreibt, die es schon längst nicht mehr gibt oder uns abgewöhnt wurden.

Fazit: Russland hat riesige Zukunftschancen und Putin weiß diese zu nutzen.\"


Wolfgang Mraz 08.01.2013 - 02:28

Russland als neuer Fluchtpunkt für EU-(Ver-)Zweifler

Ich hoffe das Putin ein Konkurrenzmodell zur EU hervorbringt, da das Problem für Deutsche wie mich unendlich vielschichtiger ist, als in diesem Artikel beschrieben wird. Vorweg möchte ich sagen, dass ich viele Dinge in Deutschland auch besser finde als in Russland und dort gerne wiederfände. Die Frage ist nur, zu welchem Preis diese erkauft werden. Wenn ich oft erlebe mit welcher Ausgelassenheit mir meine russischen Bekannten, auch die die wenig Geld haben, begegnen, kann ich nur neidisch werden. Dann merke ich, wie mich mein Land und viele meiner Mitbürger in opportunistische Hamster(respektive kleinkarierte Spießbürger), im Laufrad verwandelt hat. Mit verpönter Vergangenheit und ohne wirkliche Zukunftshoffnung, angesichts 2 Billionen Schulden und den charakterlosen und uncharismatischen dt. sowie EU-Politikern (Die wenigen, die es gab, hat man gepflegt eliminiert). Da beneide ich RUS um seinen Präsidenten Putin, der sich als stolzer Patriot outet und seine Menschen mit ihrem erfrischenden Patriotismus. Ironischerweise fühle ich mich dort als deutscher wesentlich freier und geschätzter als im eigenen Land, obwohl ich mich daheim als kleiner Selbständiger mit Steuern und Auflagen sowie als Privatmensch oft auf unsägliche Weise traktiert und bevormundet fühle. In RUS glaubt mir dies kein Mensch. Die denken ich erzähle von einem anderen Planeten. Dort werde ich nicht in allen Medien damit täglich konfrontiert wie schlecht wir Deutsche doch sind und das ich mich jeden Tag als Gutmensch beweisen muss. Im Gegenteil, ich werde dort ausnahmslos mit allergrößter Hochachtung behandelt und bin oft beschämt, welche Attribute man mir als Deutschen zuschreibt, die es schon längst nicht mehr gibt oder uns abgewöhnt wurden.
Fazit: Russland hat riesige Zukunftschancen und Putin weiß diese zu nutzen. Ob er es schafft, dieses riesige Land aufs richtige Gleis zu stellen ist natürlich nicht garantiert. Schadenfreude bei Rückschlägen auf Seiten Deutschlands ist unangebracht, da D speziell mit dieser EU definitiv keine Zukunftschance hat. Ich hoffe nur das Russland uns weiterhin so oft die Hand reicht, obwohl wir RUS oft so negativ darstellen.


ivanfi 07.01.2013 - 23:14

Wolfgang Mraz schreibt:

„…….in jeder nur erdenklich freien Minute in Russland und liebe die unkonformistische Freiheit in diesem Land
und hasse mit jedem Tag mehr
diese verlogene Meinungsdiktatur unter dem Denkmantel der Demokratie wie sie besonders in Deutschland,
aufgrund dessen Geschichte, mittlerweile anzutreffen ist.“
---------

Ich kann Ihre Position sehr gut nachempfinden, Herr Mraz!

Es gibt VIELE Gründe die BRD/EU-Mediale-Diktatur nicht zu mögen. Es steht jedem mündigen Bürger zu, dies zu erkennen, sich damit auseinander zu setzen und sich MEDIAL gegen die GOTTVERLOGENE, ganz besonders antirussische, antislawisch festsitzende systemkonforme BRD-Propaganda zu wehren.

(Einmischung der West-Politiker, der systemkonform gesteuerten West-Einheits-Medien mit Stammtischgehabe, in die inneren Angelegenheiten Russlands: Natürlich alles nur „GUT GEMEINT“ im Sinne der „Menschenrechte“!
Subversive, Geopolitische Bestrebungen gegen Russland?.... sind nur „rein zufällig“)

(Und dass viele emotionell gesteuerte, West-ideologisierte, Stereotypen dreschende Steigbügelhalter-„Gutmenschen“ gerne im Fahrwasser des Westens argumentieren, operieren, damit kommen die russischen Politiker trotzdem ganz gut klar….Sie wissen dies gut und klug zuzuordnen.)


Wolfgang Mraz 07.01.2013 - 22:22

Selten hat ein Artikel mir so aus der Seele gesprochen.

Dieser Artikel trifft den sprichwörtlichen Nagel wirklich auf den Kopf. Ich bin seit 2005 in jeder nur erdenklich freien Minute in Russland und liebe die unkonformistische Freiheit in diesem Land und hasse mit jedem Tag mehr diese verlogene Meinungsdiktatur unter dem Denkmantel der Demokratie wie sie besonders in Deutschland, aufgrund dessen Geschichte, mittlerweile anzutrefen ist. Leider ist es mir aus diversen Gründen nicht gegeben ständig in Russland zu leben, da für ausländische \\\\\\\"Normalos\\\\\\\" ohne besondere Fähigkeiten oder Geld, es auch sehr schwer ist in Russland ein komfortabels Leben zu führen. In diesem Land wird nämlich nicht jeder Ausländer mit Zuwendungen überhäuft.


Holger Eekhof 07.01.2013 - 21:29

Verzeihung, Fehlerteufel...

Das russische Staatsoberhaupt mit der guten Presse war Alexander der I, bitte um Verzeihung :)


Paulsen-Consult 07.01.2013 - 21:26

Guter Russlandkenner, Herr Fassbender,

aber leider kein Europakenner. Die Sache mit den Privilegien: Sie werden in Westeuropa genauso verteilt wie von Putin oder Janukowitsch oder Lukaschenko. In Europa geschieht das nur sehr verdeckt. Man darf nicht drüber sprechen, was die politische Korrekheit verbietet.
An diesem Punkt liegt die Verdrängung in Europa. Wo die Verdrängung in Russland liegt, kann Herr Fassbender besser beurteilen als ich.
Nur, die Europäer sind stinksauer über diesen Zustand und der Kessel baut einen immer höheren Druck auf. Die Tatsache, dass es bei Depardieu bumm gemacht hat, ist die eine Seite der Medaille, die wesentlich bedeutsamere Seite ist aber die neue europäische Armut (allein in Deutschland 20% der Bevölkerung).
Da kommt man dann mit den Weisheiten von Herr Fassbender genauso wenig weiter, wie mit der ungerechtfertigten Selbstsicherheit von Wladimir Putin. Am ehesten wäre ein anderer Wahlrusse in dieser Situation zeitgemäß. Aber der befindet sich bereits seit Jahrzehnten im Mausoleum.


Holger Eekhof 07.01.2013 - 20:59

Ich hätte da auch noch einen Pass zum eintauschen ...

werde es aber niemals tun.. nicht weil ich nicht gerne in Russland leben würde ... ganz im Gegenteil, mir wäre es ganz lieb wenn man bestimmte Dinge ganz abschaffen würde, und in dieser Beziehung bleibe ich dann lieber Utopist :)

Aber noch einmal zum Thema Mainstream Medien, sehen wir von russischen Vertretern der jüngsten Geschichte ab, so hat bis auf Alexander II keiner im Westen jemals wirklich gute Presse gehabt.

Und was ist mit ihm geschehen, statt versprochener Reformen gabs zwar Anerkennung für die Elite im Westen, aber im Endeffekt fungierte er - wie sagte Puschkin es so schön, als Metternichs Assessor.

Mir persönlich ist es da lieber , wenn die jetzige Elite im Westen zerissen, zerfetzt und geschmäht wird - aber stattdessen auf Ihrem Weg voranstreitet, auch wenn Sie gelegentlich einen kleinen Umweg einlegen...

Womit wir wieder beim Thema Weg wären, auch Straße genannt, auch öffentlicher Raum genannt, hier auch noch schnell einen Puschkinschen Protagonisten zitiert:
>Jeder hat seine Freiheit. Und die Straße gehört allen.<

Warum Puschkins Zitate.. nun, ich weiß nicht was er von einem solchen Verbot gehalten hätte - vermutlich nichts bis gar nichts.
Und wenn ich schon mal etwas zum kritisieren finde möchte ich mich auch daran weiden....:)


neorealist 07.01.2013 - 19:11

Super Artikel!!!

Da ist viel Wahres daran, was die so gennante ´´westliche Welt´´ betrifft. Lässt hoffen! :)


Matthias 07.01.2013 - 17:09

Selten so einen Schmarren gelesen. Aber jeder darf ja seine Meinung haben.


marcello 07.01.2013 - 15:55

Genau!

Ein super Kommentar! Absolut richtig, hier in Europa herrscht nur noch glattpolierte und konforme Meinung des Gegen-S-21undauchsonstalles Mittelstandes! Obwohl es auf den Aufschrei der Besserwisser nicht lange dauern wird...


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