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Samstag, 25.10.2003

Helle Aufregung um Chodorkowski-Verhaftung

Von Lothar Deeg, St. Petersburg. Die Actionfilm-reife Verhaftung von Yukos-Chef Michail Chodorkowski auf dem Flughafen von Nowosibirsk und seine Vorführung vor einem Haftrichter in Moskau am gleichen Tag hat Russland aus der Wochenendruhe gerissen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem reichsten Mann Russlands mehrere Wirtschaftsverbrechen vor. Menschenrechtler, Politiker und die Business-Elite äußerten sich besorgt bis geschockt über die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft.

Bei Russland-Aktuell
• Kurze Geschichte des Yukos-Skandals
Der Yukos-Skandal, im Kern eine Machtprobe zwischen dem privaten und unanbhängigen russischen Big Business und zumindest gewissen Teilen der Staatsmacht, hat am Samstag einen neuen Höhepunkt erreicht. Oligarch Michail Chodorkowski wurde um 5 Uhr morgens bei einer Zwischenlandung seines Business-Jets auf dem Flug von Nischny Nowgorod nach Irkutsk von einem Großaufgebot Bewaffneter aus dem Flugzeug geholt und nach Moskau verfrachtet. Ein Yukos-Sprecher dementierte am Abend, dass Chodorkowski dabei geschlagen wurde.

Nach einem zweistündigen Verhör wurde Chodorkowski am Nachmittag dem Moskauer Basmanny-Gericht vorgeführt, wo über die Anordnung von Untersuchungshaft entschieden wurde. Die Verhandlung des Gerichtes fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt – und endete mit dem zu erwartenden Ergebnis: Chodorkowski wurde in Untersuchungshaft genommen. Die Generalstaatsanwaltschaft rechtfertigt ihr Vorgehen gegen den Chef des größten russischen Ölkonzerns mit einer ganzen Reihe von Belastungspunkten – sechs Straftatbestände, ausgeführt auf insgesamt 50 Seiten. Ihm werden Diebstahl und Betrug in großem Umfang, Steuerhinterziehung in verschiedenen Fällen, Urkundenfälschung und Veruntreuung fremden Eigentums vorgeworfen.

Kern der Vorwürfe ist die angeblich betrügerische Aneignung eines 20-Prozent-Aktienpaketes des Apatit-Konzerns im Gebiet Murmansk durch die zum Yukos-Imperium gehörende Menatep-Gruppe. Wegen dieses Verfahrens sitzt Chodorkowskis Partner und Teilhaber Platon Lebedew bereits seit Anfang Juli hinter Gittern. Dabei habe Lebedew auf Chodorkowskis Anweisung gehandelt, sagt die Staatsanwaltschaft. Chodorkowski persönlich soll darüber hinaus in den Jahren 1998 und 1999 Steuern und Sozialverwsicherungsbeiträge in höhe von 1,7 Millionen Dollar unterschlagen haben. Es sei nicht auszuschließen, dass noch weitere Vorwürfe hinzukämen, so die Ermittler.

Die Pressestelle der Generalstaatsanwaltschaft erklärte, das Ermittlungsverfahren gegen den Yukos-Konzern und dessen Tochterstrukturen sei „einzigartig beim Ausmaß der unterschlagenen Summen wie auch vom Umfang der Ermittlungsarbeiten. „Der von Chodorkowski und Lebedew verursachte Schaden beträgt über eine Milliarde Dollar“.

Der Schaden, den das fragwürdige Vorgehen der Ermittler gegen den größten russischen Ölkonzern dagegen der Attraktivität Russlands als Wirtschaftsstandort und seinem Selbstverständnis als nach demokratischen Normen funktionierenden Staatswesen zufügt, lässt dagegen die Staatsanwälte kalt, setzte heute aber die Geschäftswelt und den liberalen Teil der russischen Politik in helle Aufregung. Selbst Menschenrechtler meldeten ihre Bedenken gegen das Vorgehen gegen den Multimilliardär an.

Der russische Menschenrechtsbeauftragte Oleg Mironow sagte, die Kaperung von Chodorkowskis Flugzeug und seine Zwangsvorführung sei „vom Rechtsstandpunkt her unsinnig“. Chodorkowski hätte sich nicht versteckt und mehrfach erklärt, Russland nicht verlassen zu wollen. Auch sei er immer zu Vernehmungen bei der Staatsanwaltschaft erschienen. „In Russland hat die offene Phase der Repression begonnen“, kommentierte ein Sprecher der Russland-weiten Bewegung „Für Menschenrechte“ die Verhaftung Chodorkowskis.

Eine nicht näher genannte Quelle in der Regierung bezeichnete die Verhaftung Chodrokowskis sarkastisch als „weiteren Erfolg der Generalstaatsanwaltschaft im langen und harten Kampf um die Zerstörung der russischen Finanzmärkte und Russlands Position als für Investitionen attraktives Land“. Etwas ernsthafter äußerte der Informant die Hoffnung, dass die Verhaftung endlich Klarheit bringen sollte, was Yukos konkret vorgeworfen wird.

Mit einem gemeinsamen Appell reagierten drei Wirtschaftsverbände auf die Verhaftung des Oligarchen: „Das Vertrauen der Geschäftswelt zur Staatsmacht ist gestört und ihr Dialog faktisch unterbrochen. In die Mühlen der Ordnungshüter geraten gerade diejenigen Geschäftsleute, die zur Offenlegung der Informationen über ihre Firmen und einer transparenten Steuerzahlung übergingen. Heute vertraut das russische Business dem russischen Rechtssystem und seinen führenden Vertretern nicht mehr“, erklärten drei russische Unternehmerverbände, die sowohl die Großindustrie wie auch das Kleingewerbe und den Mittelstand vertreten. Die Lage retten könnte nur eine klare und unvoreingenommene Haltung von Präsident Waldimir Putin, hieß es in dem Schreiben.

Die liberalen Parteien Jabloko und SPS kündigten eine gemeinsame Erklärung zum Yukos-Skandal an. SPS-Chef Boris Nemzow forderte ein Treffen der führenden Parteien mit Präsident Putin zur Erörterung der „ernsten Lage“. Als einziger bekannter Politiker äußerte der Nationalist Wladimir Schirninowski sein tiefes Behagen über Chodorkowskis Verhaftung.

Bei Russland-Aktuell
• Die Oligarchen
Als „gemeingefährlich“ bezeichnete der bekannte russische Anwalt Genri Resnik die „diese Staatsanwaltschaft“. Als weiteres Beispiel für Rechtsbeugung im Falle Chodorkowski gilt russischen Juristen die ebenfalls am Samstag erfolgte Vorladung von Chodorkowskis Anwalt Anton Drel als Zeuge in diesem Verfahren. Offenbar soll dem Rechtsbeistand so die Wahrnehmung der Interessen seines Mandaten unmöglich gemacht werden. Die Moskauer Anwaltskammer drohte Drel mit Ausschluss, wenn er der Staatsanwaltschaft Folge leisten würde.
(ld/.rufo)

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