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Dienstag, 30.07.2002

“Ein Zittern, ein Schlag und Stille”

St. Petersburg. Es war kein Versagen von Menschen oder Triebwerken, kein Vogelschlag und auch kein - wie auch immer geartetes – „Luftloch“ wegen der sommerlichen Hitze: Die sofort nach dem Absturz einer Iljuschin-86 am Sonntag einsetzenden wilden Spekulationen über die Unglücksursache wichen inzwischen nüchternen Rapports der Flugunfallexperten: Nach einer ersten Auswertung der Flugschreiber gilt ein „Klemmen“ der Höhenflosse als wahrscheinlichste Ursache des Absturzes bei Moskau.

Bei Russland-Aktuell
• Petersburger Il-86 stürzt in Moskauer Wald
• Report Russische Zivilluftfahrt
Die Il-86 der Petersburger Fluglinie „Pulkovo“ war nur wenige Sekunden nach dem Start vom Flughafen Moskau-Scheremetjewo aus etwa 200 Meter Höhe in einen Wald gestürzt. Glücklicherweise waren keine Passagiere an Bord der Passagiermaschine, die zuvor Urlauber von Moskau ans Schwarze Meer und zurück gebracht hatte.

Von den 16 Besatzungsmitgliedern überlebten nur zwei Stewardessen, die im Heck der Maschine gesessen hatten. Die 34-jährige Alina Winogradowa erlitt wie durch ein Wunder nur ein paar Kratzer - und zerschnitt sich die Hand, als sie versuchte, aus dem Wrack zu kriechen. In ihrem ersten Interview sagte sie, dass es an Bord weder Feuer noch ungewöhnliche Geräusche gegeben hatte: „Das Heck vibrierte, aber das ist bei der Il-86 eine übliche Erscheinung. Dann zitterte es stark, ein Schlag und Stille.“

Für Sekunden senkrecht in den Himmel

Der Leiter der russischen Unfallexperten erklärte, dass das zur Austarierung des Flugzeugs verstellbare Höhenleitwerk der Il-86 in voll ausgeschlagener Stellung verklemmte. Vor dem Start war es vom Piloten auf minus 3 Grad justiert worden. Doch zwei Sekunden nach dem Abheben bewegte es sich in die Stellung minus zwölf Grad. Die Maschine wurde damit in eine fast senkrechte Lage mit dem Bug nach oben gezwungen, was zu einem Strömungsabriss führte. Acht Sekunden nach dem Start reagierte einer der Piloten und versuchte die Maschine nach unten zu drücken. Wegen der geringen Flughöhe konnte er das Flugzeug aber nicht mehr abfangen und die bei einer solchen Fehlfunktionen vorgesehenen Manöver durchführen.

Noch eine Version: Herztod des Piloten?

Was den verhängnisvollen Steuerimpuls ausgelöst hat, ist dagegen noch offen. Am wahrscheinlichsten ist ein elektrischer Defekt. Ein Verklemmen der Höhenflossen-Steuerung im Steuerhorn des Piloten wird wegen der verlässlichen Konstruktion des entsprechenden „Knopfes“ ausgeschlossen. Nicht auszuschließen ist auch die Version eines plötzlichen Herztodes des ersten Piloten, wenn er dabei im Krampf die Höhenleitwerksteuerung gedrückt hielt. Was sich genau im Cockpit abspielte, wird aber schwer zu rekonstruieren sein, da sich das Tonband mit der Stimmenaufzeichnung als unbrauchbar erwies.

Der Absturz zerstörte einen Mythos der russischen Luftfahrt: Die 350 Sitze bietende Iljuschin-86 wurde als „das sicherste Flugzeug der Welt“ bezeichnet, da es in mit dieser Maschine bislang nie einen tödlichen Absturz gegeben hatte. Von diesem Typ wurden von 1979 bis 1993 etwa 100 Maschinen gebaut. In den letzten Jahren kamen diese Großraumflugzeuge wegen der in Russland stark zurückgegangenen Passagierzahlen auf Linienflügen aber immer weniger zum Einsatz.(ld/rUFO)

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