Dienstag, 03.05.2005
Lutheraner in Russland: Zukunft der ELKRAS unklarKarsten Packeiser, St.Petersburg. Edmund Ratz ist der neue Erzbischof der russischen Lutheraner. Der weitere Weg der Kirche bleibt aber auch nach der Wahl und der Generalsynode in St. Petersburg ungewiss.
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Der evangelischen Petri-Kirche am Petersburger Prachtboulevard Newski Prospekt ist noch immer anzusehen, dass sie während der Sowjetzeit zur Schwimmhalle umgebaut worden war. Ein großes Spruchband mit der Aufschrift „Der Weg unserer Kirche in die Zukunft“ hängt über der einstigen Zuschauertribüne, während auf dem zubetonierten Schwimmbecken teils hitzige Diskussionen stattfinden.
Vor dem Hintergrund dramatisch geschrumpfter Mitgliederzahlen bleibt die weitere Entwicklung der der Evangelisch-Lutherische Kirche Russlands, der Ukraine, Kasachstans und Mittelasiens (ELKRAS) aber auch nach der Generalsynode in der Hauptkathedrale des russischen Luthertums unklar. Die Entscheidungen in den zentralen Fragen wurden auf später vertagt.
Mitgliederzahl eingebrochen
Die ELKRAS hat in den vergangenen Jahren seit ihrer Wiedergründung einen großen Teil ihrer meist russlanddeutschen Gemeindemitglieder verloren. Die Zahlen sind ernüchternd: Offiziell gehören der Kirche zwischen Kaliningrad, Wladiwostok und dem mittelasiatischen Usbekistan von einst vermuteten mehreren hunderttausend nur noch 15.772 Menschen an. In Kasachstan, wohin Stalin über eine halbe Million Deutscher aus den westlichen Teilen der UdSSR deportierten ließ, hat die evangelische Kirche nur noch etwas mehr als 1.300 Mitglieder, die anderen sind nach Deutschland ausgewandert.
Es sei „eigentlich ein Wunder Gottes, dass unsere Kirche diesen Aderlass überlebt hat“, hieß es im Abschiedsbericht des scheidenden Erzbischofs Georg Kretschmar. Der 79-Jährige, der nach der Wende entscheidend zur Wiedergeburt der ELKRAS beigtragen hatte, übergab sein Amt auf der Generalsynode aus Altergründen an den bisherigen evangelischen Bischof der Ukraine, den in Nordbayern geborenen Edmund Ratz.
Wenn wir einladen, kommen alle
Immerhin gebe es inzwischen wieder überall in der ehemaligen Sowjetunion evangelische Gemeinden, sagt Kretschmar. Dies sei der wichtigste Erfolg der russischen Lutheraner, deren Kirchen von den Sowjets alle geschlossen und deren letzte Pastoren während der Stalin-Zeit erschossen worden waren.
Als einzige Kirche Russlands habe die ELKRAS es zudem geschafft, freundschaftliche Kontakte mit den anderen Konfessionen aufzubauen. „Die Orthodoxen können nicht mit den Katholiken, die Baptisten mit niemanden, aber wenn wir einladen, kommen alle“, so Kretschmar.
Rolle der Frauen in der Kirche umstritten
Heute gehören zur ELKRAS die Reste der äußerst konservativen russlanddeutschen Brüdergemeinden ebenso wie russische Großstadt-Bildungsbürger, die eine Alternative zu der ihrer Ansicht nach versteinerten Orthodoxie suchten. In vielen Fragen stehen Russlands Lutheraner der Orthodoxen Kirche aber heute sogar näher als den deutschen Protestanten.
Die ukrainische Teilkirche etwa lehnt die Frauenordination bis heute grundsätzlich ab. In Russland und Kasachstan gibt es zwar Pastorinnen, doch ist ihr Dienst kirchenintern alles andere als unumstritten. „Ich persönlich habe nichts dagegen“, so der neue ELKRAS-Erzbischof Ratz, aber er respektiere es, dass die Mehrheit in seiner Kirche anderer Auffassung sei.
Edmund Ratz ist durch die Auswanderung vieler ohnehin meist armer Mitglieder und die immer schwierigere finanzielle Lage der deutschen Partnerkirchen mit einem erheblichen Sparzwang konfroniert. Ob die in Petersburg beschlossenen Reformen ausreichend sind, damit die im vergangenen Jahr weitgehend gestoppten Finanzhilfen der EKD wieder aufgenommen werden, bleibt aber unklar.
Geldhahn für die ELKRAS zugedreht
Bislang wurde ein erheblicher Teil des ELKRAS-Haushaltes von der Deutschland aus finanziert. Die hohen Kosten der Kirchenarbeit, Probleme bei der Personalpolitik und der Verwendung der Gelder haben aber dazu geführt, dass die EKD ein Moratorium für ihre Zahlungen nach Russland ausrief. Bei einem Krisentreffen einigten sich Vertreter beider Kirchen im Januar im westfälischen Bad Sassendorf auf eine Liste nötiger Reformen, etwa die Einführung einer Altershöchstgrenze von 75 Jahren für die ELKRAS-Bischöfe und den Erzbischof.
Die angemahnten Veränderungen sind unter Russlands Lutheranern jedoch nicht unumstritten, weil es sich um ein „Diktat“ aus Deutschland handele. Teile der ELKRAS setzen ohnehin darauf, anstelle der EKD verstärkt mit amerikanischen Partnern wie der konservativen Missouri Synode zusammenzuarbeiten, die ganz andere Vorstellungen über den weiteren Weg der ELKRAS haben, als die EKD. „Wir müssen selbst anfangen, Geld zu verdienen“, ist sich der neue Erzbischof Ratz sicher. Dies sei zum Beispiel möglich, wenn die ELKRAS historische Kirchengebäude vom Staat zurückerhalte und sie dann teilweise vermieten könne.
Da auch Kretschmars Nachfolger Ratz schon 72 Jahre alt ist, stellt sich in der ELKRAS bereits in wenigen Jahren erneut die Führungsfrage. Spätestens dann werden sich Russlands Lutheraner auch erneut die Frage stellen, ob die derzeitige Kirchenstruktur mit einem Erzbischof und sieben Bischöfen noch zeitgemäß ist. Und ob es auf Dauer sinnvoll ist, dass es in Russland neben der ELKRAS noch eine zweite, ursprünglich finnisch geprägte evangelisch-lutherische Kirche gibt. De facto sei die ELKRAS längst eine multinationale Kirche, so der scheidende Erzbischof Kretschmar. Dennoch sei sie für die Lutheraner aus der früher finnisch dominierten „Kirche Ingriens“ immer noch viel zu deutsch.
(kp/epd/.rufo)
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