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Vor Demonstrationen und Großveranstaltungen ist der sonst dich befahrene Newski auch mal autofrei (foto: ld/rufo) |
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Der Newski-ProspektSchlagader der Innenstadt, pulsierendes Kulturzentrum und Einkaufsstraße all das ist der widersprüchliche Newski zugleich. Erker springen aus den Hausfassaden hervor, Skulpturen schmücken die Dächer, gleichzeitigt sind einige ruinierte Blöcke mit Werbeplakaten überspannt. Boutiquen, Juweliere und Parfümerien locken in glitzernde Einkaufsparadiese und Konditoreien auf einen Kaffee mit Sahnetörtchen während draußen vor den Ladentüren arme Babuschkas ihre Waren feilbieten.
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Wohl eine der fast fünf Millionen Einwohner Petersburgs scheint täglich auf dem Newski unterwegs zu sein: Die meisten haben ihren Arbeitsplatz auf der „Großen Seite“, das heißt im Stadtzentrum, und fahren aus den Außenbezirken täglich stadteinwärts. Vorbei an Eisverkäufern und Kunsthändlern schieben sich die Menschen dicht an dicht die Trottoirs entlang.
Die Bilderverkäufer und Porträtmaler haben dabei schon ein Auge für die Touristen inmitten der Massen entwickelt und preisen ihre Waren ohne zu zögern auch auf englisch an. Dabei haben viele von ihnen ihr Geschäft nicht professionell erlernt, zaubern aber stimmungsvolle Bilder Petersburgs auf kleine und große Leinentücher. So auch Wiktor Kirilenko.
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Warten auf Kundschaft: Eine Kutschpferd vor der Kasaner Kathedrale (foto: ld/rufo) |
Der 37-jährige steht mehrere Tage pro Woche an einem der Stände vor der Katharinen-Kirche, nur einige Schritte vom Kanal Gribojedow entfernt und wartet auf kauffreudige Touristen: „Ob ich den Newski liebe? Nun das ist jeden Tag anders: mal ja, mal nein“, erklärt er seine Beziehung zum Herz der Stadt.
Dabei haben viele Menschen ein gespaltenes Verhältnis zu dieser Prunkmeile. Schon die berühmtesten russischen Literaten fühlten sich hin- und her gerissen. „Es gibt nichts Schöneres als den Newski Prospekt; jedenfalls nicht in Petersburg“, beschreibt ihn etwa Nikolai Gogol in seinen „Petersburger Novellen“, um im gleichen Atemzug das Janusgesicht hervorzuheben: „Er lügt, er trügt zu jeder Stunde, dieser Newski Prospekt, am ärgsten aber dann, wenn sich die Nacht gleich einer undurchdringlichen Wolke auf ihn nieder senkt und die ockergelben und weißen Fronten der Häuser herausschält, wenn die ganze Stadt zu lärmen und zu glänzen beginnt,
um alles in einem falschen Licht zu zeigen.“
Und tatsächlich scheint der Newski am Abend oft wie verwandelt; vor allem im Sommer, wenn die Menschen aus der hektischen Arbeitswelt heraus bei einem abendlichen Spaziergang Entspannung suchen an den glitzernden Neonreklamen der Straße, an singenden Studentengruppen oder fackeljonglierenden Jungkünstlern vorbei.
Von der Reisestraße zum Puls der Stadt
Dabei war die 4,5 kilometerlange Hauptschlagader der Stadt zunächst nicht als Stadtzentrum gedacht, sondern wurde 1709 als Verbindung zwischen der Werft an der Newa und der Straße nach Nowgorod durch den Wald gezogen. Der „Ausfallstraße“ wurde der Name „Große Perspektive“ gegeben. Der Weg nach Nowgorod führte damals den Ligowski Prospekt entlang, der heute am Ploschtschad Wosstanija den Newski kreuzt. Weitaus später wurde mit einem Knick an dieser Stelle der sog. Stary Newski (der ‚Alte Newski’) angelegt, der seitdem als schlichtere Verlängerung der Prachtmeile die Verbindung bis zum Alexander-Newski-Kloster herstellt.
Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich das Stadtzentrum von der Wassili-Insel auf die „Große Seite“ zum Newski Prospekt hin verlagert. Unter der Herrschaft Katharinas II. bekam er seinen heutigen Namen und die Holzhäuser, die ihn säumten, wurden abgerissen; stattdessen zog man überall Steinhäuser hoch.
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Die Newski-Fassade des Gostiny Dwor (foto. dan/rufo) |
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Die Aristokratie liebte es besonders hier. So entstanden große Palais an der Straße, die heute Philharmonien, Kinos, Cafés und Museen beherbergen. Zudem eröffnete schon 1785 der riesige Komplex des Kaufhauses Gostiny Dwor (wörtlich: „Gasthof“), der sich 280 Meter zwischen Sadowaja und Dumskaja Uliza entlang des Prospektes erstreckt. Dieser Handelshof für reisende Kaufleute wurde damals Vorbild für viele andere russische Städte.
Dank des kompakt erhaltenen historischen Zentrums sind an jeder Ecke bedeutsame Gebäude zu entdecken: Am Newski Prospekt Nr. 17 an der Ecke zur Mojka steht etwa der Stroganow-Palast, der heute eine Filiale des russischen Museums ist.
Weiter in Richtung Ploschtschad Wosstanija geht es vorbei an der Kasaner Kathedrale und dem (inzwischen umgezogenen) größten Buchgeschäft der Stadt im „Haus des Buches“, auf dessen gläserner Turmspitze ein von Nymphen gehaltener Globus thront. An dieser Stelle kreuzt der Gribojedow-Kanal den Newski Prospekt.
Alte Palast- und neue Café-Landschaft
Weiter entlang des Newski passiert der Spaziergänger eines der ältesten Gebäude der Stadt den Anitschkow-Palast, der unter Hausnummer 39 zu finden ist. Er wurde 1751 vom berühmten Barock-Architekten Franscesco Rastrelli vollendet. An den Palast-Garten schließt sich der Ostrowski-Platz mit dem kleinen Katharinen-Park an, in dessen Mitte eine Statue der Zarin steht.
Dahinter führt die Anitschikow-Brücke über die Fontanka, welche noch bis zum 19. Jahrhundert die Stadtgrenze bildete. Heute hat sich gerade auf dem folgenden Straßenabschnitt eine dichte Café-Landschaft entwickelt: Die Marken-Ketten „Idealnaja Tschaschka“, „Café Marko“ oder „Republic of Coffee“ laden ein, für Espresso und Café Latte einen Halt zu machen oder um im Ledersessel äußerst schmackhafte Milch-Shakes zu genießen. Wie in den meisten Restaurants, Sushi-Bars und Bistros am Newski sind auch hier die Preise eher gehoben.
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Der Obelisk auf dem Pl. Wosstanija - dahinter der Moskauer Bahnhof (foto: ld/rufo) |
Noch einige hundert Meter weiter gelangt man an den Ploschtschad Wosstanija (‚Platz des Aufstandes’), der seinen Namen erhielt, weil die zaristischen Truppen hier während der Februarrevolution 1917 den Schießbefehl auf das demonstrierende Volk verweigerten. Der Obelisk in der Mitte des Platzes mit dem goldenen Stern wurde dagegen erst 1985 zum 40. „Tag des Sieges“ am 9. Mai über Hitler-Deutschland errichtet. Dort starten die Festtags-Paraden, die dann über den Newski bis zum Schlossplatz führen.
Jenseits des Platzes beginnt der leicht geknickte Stary Newski, der lange nicht so prachtvoll ist, aber ebenso mit guten Cafés und Restaurants zu glänzen weiß.
Die Großmütter am Newski echte Businessfrauen!
Besonders charakteristisch für den Newski sind die Großmütter (russisch: „Babuschka“), die am Straßenrand allerlei Produkte zum Kauf anbieten. Ljubow Schipulina ist eine von ihnen. Sie floh nach dem ersten Tschetschenien-Krieg aus ihrer Heimat und steht nun fast täglich auf dem Newski, um ihre Rente aufzubessern. Die Kaukasierin erhält 900 Rubel (etwa 25 Euro) im Monat. „Wie soll man denn davon leben?“, fragt sie.
Deshalb hat sie wie die anderen Großmütter schnell gelernt, wie der Kapitalismus funktioniert. „Business, Business“, sagt sie, wenn sich ein potentieller Kunde nähert und stoppt im Erzählfluss. Die Geschäftsidee der alten Dame und ihrer „Kolleginnen“ ist denkbar einfach. Auf nahe gelegenen Märkten kauft Ljubow Schipulina Großpackungen an Feinstrumpfhosen ein, um sie dann einzeln mit Gewinn weiter zu verkaufen. So hat sich jede der alten Frauen auf etwas spezialisiert: die einen bieten Strickmützen, die anderen Nüsse in allen Variationen an.
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Nur ein paar Meter vom Newski: eine leere Bierflasche bedeutet 1 Rubel mehr in der Tasche (foto. ld/rufo) |
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Der Newski ist eben nicht nur glitzernde Shoppingmeile, garniert mit Theatern und Kinos. Auf den Gehwegen stehen neben den Großmüttern auch Obdachlose; knien sich Mütter mit Kleinkindern auf das Steinpflaster. Sie betteln in der Hoffnung darauf, dass gut betuchte Passanten ein paar Rubel in ihre Mützen und Becherchen werfen.
Des Nachts ist davon aber fast nichts zu sehen; wenn Leuchtreklamen in die mehr oder auch weniger anständigen Etablissements seien es Sportbars, Spelunken, Casinos oder Striptease-Clubs locken, die der noble Newski in den ihn flankierenden Gemäuern ebenso bereit hält. Aber das ist dann schon eine ganz andere Geschichte ...
(mga/.rufo)
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