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Ein Jahr in einem ganz normalen Moskauer Studentenwohnheim

Von Marie Strohe (Moskau). Zwei Wächter mit Gummiknüppeln stehen unten am Eingang. Mein Gesicht kennen sie schon und fragen nicht mehr nach dem Wohnheimsausweis. Auch Besucher, die selbstbewußt an der Kontrolle vorbeigehen, kommen gelegentlich unbehelligt ins Gebäude. Werden sie jedoch als Unbefugte identifiziert, ist nicht sicher, ob sie an den Wächtern vorbeikommen.

Nach den Bombenanschlägen im September 1999 war monatelang kein Besuch zugelassen. Sogar Studenten des Nachbarblockes durften ihre Freunde nebenan nicht besuchen und konnten sich mit ihnen nur vor der Haustür treffen, bei gelegentlich 20 Grad Frost. Auch in ruhigeren Zeiten gibt es keine Garantie dafür, dass Besuch gerade erlaubt ist. Grippe-Epidemien oder Prüfungszeiten können eine vorübergehende Quarantäne auslösen. Wenn ausnahmsweise kein Besuchsverbot besteht, muss jeder Außenstehende, der ins Wohnheim möchte, am Eingang ein Ausweisdokument hinterlegen und die Nummer des Zimmers angeben, in das er sich begibt. Der Besucher darf dann bis 23.00 Uhr im Wohnheim bleiben. Geht er nicht freiwillig, poltert spätestens halb zwölf einer der Wächter an die Zimmertür und nötigt den Gast zum Gehen.

Die Kakerlakenhäufigkeit schwankt. Mal sehe ich eine ganze Woche lang keine einzige Schabe in meinem Zimmer. Dann kann es passieren, dass die Tierchen bei hellichtem Tag über meinen Frühstückstisch marschieren. Nur ein einziges mal ist mir eine Maus über den Weg gelaufen. Sie war schon halbtot und ließ sich ohne Probleme fangen und vor das Wohnheim werfen. Eine andere deutsche Studentin fand bei ihrer Ankunft eine tote Maus auf dem Kühlschrank vor. Aber wir haben Glück. In anderen Wohnheimen wissen die verzweifelten Studenten nicht, wie sie ihr Essen vor Mäusen und Kakerlaken in Sicherheit bringen sollen. Bei uns sind die Lebensmittel wenigstens im Kühlschrank sicher.

Für die zehn Appartments einer Etage gibt es eine große Gemeinschaftsküche. Wenn dort nicht zwei Küchenherde stehen würden, könnte man denken, es sei ein Duschraum oder eine Waschküche. Quer durch den Raum sind Wäscheleinen gespannt, auf denen Bettwäsche und Überdecken trocknen.
Auf unserer Etage wohnen nur in einem der Zwei-Zimmer-Appartments drei russische Studentinnen. In den übrigen Zimmern sind Ausländer untergebracht, die an der Universität Russisch-Sprachkurse besuchen und ganz normale russische Familien, die mit der Universität nichts zu tun haben.
Da wir nur zwei deutsche Studentinnen sind und man uns anscheinend nicht zumuten kann, mit Russinnen zusammenzuwohnen, haben wir die zwei Zimmer mit Dusche und Toilette für uns alleine. Die russischen Studenten wohnen zu dritt, zu viert oder zu fünft in so einem Appartment, je nachdem wieviel Geld sie für ihr Wohnheimzimmer aufbringen können.

Bei uns westlichen Ausländern wird regelmäßig gewischt und die Bettwäsche gewechselt, dafür hat die Putzfrau aber auch den Schlüssel zum Zimmer, und wer weiß, wer noch. So etwas wie Privatsphäre scheinen sie hier nicht zu kennen. Es kann passieren, dass die „Kommendantka“, die Wohnheimsverwalterin, ohne anzuklopfen einfach das 2-Zimmer-Appartement aufschließt, um es einem Handwerker zu zeigen. Einmal kommt sie gerade, während ich beim Umkleiden bin. Als ich merke, das es nicht meine Nachbarin ist, die hereinkommt, schließe ich erschrocken die Zimmertür. Sie klopft und meint verwundert „Aber ich bin doch eine Frau“; während hinter ihr grinsend der Handwerker steht.

Gut, dass die Putzfrau, wenn sie kommt, auch den Müll mitnimmt. Ich fürchte mich regelrecht vor dem Müllschlucker. Es ist unmöglich, den Müll einzuwerfen, ohne dass einem ein übelriechender Luftzug entgegenkommt. Es passiert auch immer mal wieder, dass sperrige Gegenstände den Müllschacht verstopfen. Dann stapelt sich der Müll auf dem Gang, weil offensichtlich niemand weiß, dass vor dem Haus Müllcontainer stehen. Manchmal schlägt mir schon beim Verlassen des Fahrstuhles ein widerlicher Gestank entgegen und es fliegen überall Müllfetzen umher, die aus dem Schacht geweht wurden. Die Müllklappe liegt neben der gähnenden Öffnung des Schachtes auf dem Boden. Ich nehme all meinen Mut zusammen, wickle mir den Schal vor Nase und Mund, halte die Luft an, hebe die Klappe wieder in die Angeln und hoffe, dass die Konstruktion diesmal eine Weile hält.

Auf einem kleinen Tisch im Eingangsbereich liegt die Post. Es gibt zwar ein Regal mit alphabetisch gekennzeichneten Fächern, aber niemand macht sich die Mühe, die Briefe einzuordnen. Nur die alten Briefe, die niemand mitgenommen hat, werden wahllos dort hineingestopft. In den ersten Monaten bekommen meine Zimmernachbarin und ich regelmäßig Briefe aus Deutschland. Nach einiger Zeit landen nur noch Briefe für mich auf dem Postwühltisch. Die Korrespondenz meiner Nachbarin geht konsequent verloren. In den letzten Monaten schließlich gelangen auch für mich nur noch Postkarten durch die Briefblockade. Ein einziger Brief kommt dann im September doch noch an. Er ist im Mai abgestempelt.

Auch bei geöffneten Türen kann ich mich mit meiner Nachbarin nicht so einfach von Zimmer zu Zimmer unterhalten. Die Wände sind außerordentlich schalldicht. Aber dafür kann ich durch die Heizung die Gespräche über mir belauschen. Auch die Resonanz der Zimmerdecke ist einzigartig. Gelegentlich habe ich das Gefühl, dass die Mädchen über mir Volkstänze aufführen oder Stepdance üben. Es kommt auch schon mal vor, dass ich nachts um zwei von Musik geweckt werde, die so laut ist, als ob das Radio in meinem Zimmer auf maximale Lautstärke gestellt ist. Und dazu poltert es, als ob schwere Metallkugeln auf den Boden fallen.

An das Scheppern der Flaschen und das dumpfe Zerplatzen halbvoller Getränkekartons, die auf dem Mensadach unter meinem Fenster aufprallen, habe ich mich schon so sehr gewöhnt, dass ich davon nachts nicht mehr aufwache. Es kommt auch vor, dass metallene Mülleimer; Holzstühle und Kochtöpfe aus den Fenstern fliegen. Im Frühling wurde dann einmal eine Studentenbrigade abkommandiert, um das Mensadach von dem ganzen Müll zu befreien. Aber der Nachschub ließ nicht lange auf sich warten.

Innerhalb Moskaus kann man umsonst telefonieren vom Studentenwohnheim aus. Allerdings gibt es für das ganze 16-stöckige Gebäude nur ein einziges Telefon, das sich unten im zugigen Eingangsbereich befindet. Auf den Zimmern gibt es keine Möglichkeit für einen Telefonanschluss. Aber das Wohnheimstelefon ist dafür sehr kommunikationsfördernd. In der halben Stunde, die man dort abends mindestens in der Schlange steht, kann man sich in aller Ruhe mit den anderen Wartenden unterhalten, Bekanntschaften schließen und die Ein- und Ausgehenden grüßen. Im Winter, als es kalt und noch zugiger wurde, habe ich mich dann letztendlich trotzdem für ein Mobiltelefon entschieden.

Studentenwohnheime
Studentenwohnheim
der Geisteswissenschaftlichen Universität (RGU)
Moskau
Kirowogradskaja Ul. 25
Tel.: 388 43 36

Studentenwohnheim
der Internationalen Universität
Moskau
Skakowaja Ul. 9
Tel.: 945 45 00

Studentenwohnheim
der Lingustischen Universität (MGLU)
Moskau
Komsomolskij Prospekt 6
Tel.: 246 06 93

Studentenwohnheim
der Lomonossow-Universität (MGU)
(“Haus der Aspiranten” –Jasenewo)
Moskau
Litowskij Boulevard 6, Haus 1
Tel.: 425 37 00

Studentenwohnheim
der Lomonossow-Universitaet (MGU)
(“Haus der Studierenden”)
Moskau
Krawtschenko Ul. 7
Tel.: 434 21 65

Studentenwohnheim
der Lomonossow-Universität (MGU)
(Wohnheim-Hauptverwaltung der MGU)
Moskau
Worobjowy Gory, MGU, Hauptgebäude
Tel.: 939 08 40

Studentenwohnheim
der Russischen Universität der Völkerfreundschaft (RUDN)
Moskau
Miklucho–Maklaja Ul. 3
Tel.: 431 16 41



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