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Am Ort des Meuchelmords an der Zarenfamilie steht heute eine Kathedrale (Foto: ab/rufo)
Am Ort des Meuchelmords an der Zarenfamilie steht heute eine Kathedrale (Foto: ab/rufo)
Dienstag, 04.09.2007

Jekaterinburg: Märtyrerkult um den ermordeten Zar

Jekaterinburg. An jenen Stellen, wo 1918 die Romanow-Zarenfamilie ermordet und verscharrt wurde, stehen jetzt Kirchen und Klöster: Im Ural wird Russlands heilig gesprochener letzter Monarch Nikolai II. besonders verehrt.

Die goldenen Kreuze und Kuppeln glänzen und funkeln im Sonnenlicht. Majestätisch thront die 67 Meter hohe „Blutkirche“ in Jekaterinburg auf einer Anhöhe über der Umgebung. Es ist ein Bild mit Symbolcharakter, schließlich wurde die Kathedrale zum Andenken an die einst an diesem Ort ermordete Zarenfamilie errichtet.

Vor sieben Jahren hat die orthodoxe Kirche die Romanows zu Märtyrern erklärt. Inzwischen pilgern immer mehr Gläubige in den Ural, um das Andenken des letzten Zaren zu ehren. Neben der Kirche in Jekaterinburg selbst entwickelt sich auch die einstige Begräbnisstätte außerhalb der Stadt zu einem Wallfahrtsort.

Bis heute sorgt der Tod der ein Jahr zuvor entmachteten Zarenfamilie für Diskussionen in Russland. Immer wieder gibt es Spekulationen um Überlebende, doch Fakt ist: Die gesamte Familie, d.h. auch alle vier Zarentöchter und der erst 14jährige Thronfolger Alexej, wurde am 17. Juli 1918 ermordet.

Nächtliches Blutbad im Keller



Das Erschießungskommando kam nachts ins Haus. Unter einem Vorwand wurden die Familie und vier Bedienstete in den Keller gelockt. Dort wurden sie erschossen. Da die Mädchen wegen im Mieder versteckter Juwelen gegen den Kugelhagel immun zu sein schienen, erstachen die Mörder sie schließlich mit Bajonetten. Es dauerte 20 Minuten, ehe das Blutbad beendet war.

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• Ural – vom Industriegebiet zum Urlaubsparadies? (24.08.2007)
• Russland Geschichte: Zarenfamilie ermordet (17.07.2007)
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• Gericht prüft Rehabilitation für Zarenfamilie (26.06.2006)
Dann wurden die Leichen auf einen Lastwagen geworfen und aus der Stadt gefahren. Dort wurden sie entkleidet und nach Auffassung der orthodoxen Kirche im Wald verbrannt. Nach neueren Erkenntnissen hingegen sind wohl aus Zeitmangel – die weißen Truppen standen kurz vor Jekaterinburg – nur zwei Opfer verbrannt worden, die übrigen Leichen verscharrten die Bolschewiki andernorts im Morast. Anschließend ließen sie einen Lkw mehrfach über das Grab rollen, um die Romanows für immer verschwinden zu lassen.

Doch die Rechnung ging nicht auf. Bereits der von den Weißgardisten eingesetzte Ermittler Nikolai Sokolow fand erste Mordspuren: Feuerstellen, teure Kleidungsfetzen und einzelne Knochenreste. Er schloss daraus, dass die Familie vollständig verbrannt wurde.

Leiche von Zarewitsch Alexej gefunden?



Vor ein paar Jahren wurde dann jedoch die zweite Grabstelle entdeckt. Die neun dort liegenden Leichen wurden schließlich in St. Petersburg in der Grabeskirche der Romanows beigesetzt. Nun wollen Archäologen auch die Skelette der bislang fehlenden Zarenkinder Alexej und Maria gefunden haben. Im August wurde die sensationelle Entdeckung publik gemacht. Mittels einer DNA-Analyse soll bis Jahresende bestimmt werden, ob es sich dabei tatsächlich um die Gesuchten handelt.

Die Regierung des Verwaltungsgebiets Swerdlowsk ist schon jetzt von der Echtheit des Funds überzeugt. Oleg Gubkin, der stellvertretende Kulturminister der Region, hat sich bereits dafür ausgesprochen, ein neues Denkmal für die Zarenfamilie an der Ausgrabungsstelle aufzustellen.

Neues „Märtyrer-Kloster“ der Orthodoxe Kirche



Die orthodoxe Kirche hingegen zweifelt bislang alle Funde an und beharrt auf ihrer Verbrennungsversion. In Ganina Jama, an der Stelle also, an der Lagerfeuer und einzelne Knochen entdeckt wurden, ließ das Moskauer Patriarchat vor sieben Jahren das „Kloster der heiligen Zaren-Märtyrer“ errichten.

Die erste Kirche war dort innerhalb von drei Monaten fertig. „Inzwischen stehen sieben Kathedralen“, erklärt Seminarist Nikolai, der als Fremdenführer im Kloster aushilft. Für jedes Familienmitglied eine.

Heiliger Zar? Es geschehen Zeichen und Wunder



Im Kloster soll es bereits zu wundersamen Erscheinungen gekommen sein. Vor einigen Jahren sei eine Gruppe schwerhöriger Kinder gekommen, erzählt Nikolai. „Einer der Jungen kaufte sich eine Zarenikone, legte sie ans Ohr und betete, dass er wieder hören könne“, berichtet er. Am nächsten Tag konnte er dann tatsächlich hören. „Die Gruppe war später nochmal hier im Kloster – diesmal, um sich zu bedanken.“

Dieses Kirchlein im Märtyrer-Kloster ist nicht dem heilig gesprochenen Zaren Nikolai gewidmet, sondern seinem Namensvetter, dem Heiligen Nikolaus (foto: ab/rufo)
Dieses Kirchlein im Märtyrer-Kloster ist nicht dem heilig gesprochenen Zaren Nikolai gewidmet, sondern seinem Namensvetter, dem Heiligen Nikolaus (foto: ab/rufo)
Viele glauben inzwischen an die Wunderkraft des Zaren. Daher kommen die Gläubigen in Scharen nach Ganina Jama. Am Todestag der Zarenfamilie reihten sich in diesem Jahr gut 10.000 Pilger aus ganz Russland in den Prozessionszug ein, der von der „Blutkirche“ in Jekaterinburg bis ins 25 Kilometer entfernte Kloster führte. „Ich war das erste Mal dabei und muss gestehen, die Menschenmenge war beeindruckend“, berichtet Wsewolod Tschaplin vom Außenamt der Kirche.

Für viele russische Gläubige ist der während seiner Amtszeit eher mittelmäßige Zar nach seinem grausamen Tod zu einem wahren Heiligen aufgestiegen. Nicht umsonst ließ die Parteiführung das Haus, in dem Nikolai II. ermordet wurde, in den 70er Jahren abreißen. Es war zu einem Treffpunkt vieler Zarenverehrer geworden. Zunächst habe das Volk die Zarenfamilie zu Heiligen erhoben, dann erst sei die orthodoxe Kirche dem Beispiel gefolgt, gesteht dann auch Tschaplin.

Die Monarchen sind heiliger als ihre Bediensteten



Die sog. Blutkirche überragt heute Jeakterinburg, das ehemalige Swerdlowsk (Foto: ab/rufo)
Die sog. Blutkirche überragt heute Jeakterinburg, das ehemalige Swerdlowsk (Foto: ab/rufo)
So ließ die Kirche an der Stelle des abgerissenen Todeshauses eine Kathedrale errichten. Sieben Gedenktafeln sind in einer Seitenwand der Kirche eingelassen. Sie erinnern an Nikolai II., seine Frau Alexandra und ihre fünf Kinder. Die Tafeln stehen ungefähr an der Stelle, wo die Familie ermordet wurde. Es ist ein niedriger und düsterer Raum. Erst der Saal darüber ist licht und hell. Er soll die Hoffnung auf das Leben nach dem Tod symbolisieren.

Für die Bediensteten, die mit den Romanows starben, ist freilich kein Platz im Himmel der orthodoxen Kirche. Richtig erklären kann auch Tschaplin die Diskriminierung nicht. „Das ewige Leben hängt auch davon ab, wie stark der Glauben des Einzelnen im irdischen Leben war“, sagt er.

Wie die Kirche den Grad des Glaubens beim Einzelnen bemisst, ist allerdings unklar. Immerhin gehörten mindestens zwei der vier Bediensteten nachweislich der orthodoxen Kirche an.


André Ballin (epd)


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