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Donnerstag, 05.01.2006

Die Gaspreise für Ukraine und Weißrussland und sogar auch für Russland sind durchaus politische Preise – aber anders, als meist angenommen



Lieber Herr Obuchoff,

herzlichen Dank – erstens für das Lob für unsere Arbeit und zweitens für die sachliche Auseinandersetzung mit meiner Position im Gaskonflikt Russland-Ukraine-Europa.

Nehmen Sie sich die Zeit, meine Argumentation in Ruhe anzuschauen?

An Ihrer Kritik stimmt sicher, dass der von Ihnen angesprochene Kommentar (Wahlkampf unter der Gas-Maske) starke Schlagseite hat. Er ist aus Moskauer Sicht provokativ und einseitig formuliert. Das war aber so auch Absicht. Früher hieß unser Kommentar-Ressort sogar vieldeutig „Schlagseite“. Manchmal scheint es der Wahrheitsfindung dienlich zu sein, dem westeuropäischen Mainstream zu wiedersprechen .

Ansonsten haben wir uns im Gas-Konflikt sehr um Sachlichkeit bemüht. Wir bemühen uns meist darum, auch die "andere Seite" zu sehen. Aber im Falle des Gaskonflikts fiel diese Sachlichkeit in der Tat zugunsten von Gazprom (Gasprom) aus. Aber dies ist eher das Ergebnis der Sachlage. Fast alle Argumente und Fakten, die Sie selbst anführen, sind auch in unseren zahlreichen Berichten nachzulesen.

Wie ist zu erklären, dass die Ukraine 230 Dollar zahlen soll, Armenien und Georgien hingegen nur 110 ? Warum will Gazprom 230 Dollar, wenn Turkmenistan mit 60 zufrieden ist ?

Eben darum, weil es keinen einheitlichen Welt-Gaspreis gibt, sondern einen stark regionalisierten Markt. In der Kaspi-Kaukasus-Region konkurrieren Russland, Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan, Aserbeidschan und potentiell sogar der Iran auf dem Markt. Dementsprechend fällt der Preis erheblich niedriger aus, als in Europa.

Zweite Frage: Warum zahlt dann Weißrussland nur 46 Dollar ? Weil Weißrussland in 2005 den Grund und Boden unter dem gesamten System der Jamal-Europa-Pipeline für 49 Jahre an Gazprom verpachtet hat. Weil Weißrussland sehr schnell die Genehmigungen für den Bau von Kompressorstationen an der Pipeline erteilt hat, die Gazprom braucht, um die Gaslieferungen durch Weißrussland und Polen (!) um etwa 30 Prozent zu erhöhen.

Der Preis von 46 Dollar gilt übrigens für das Jahr 2006. Danach wird Weißrussland wieder vor der Frage stehen „Was tun?“. Nun ist 2006 Wahljahr für Präsident Lukaschenko. Insofern ist sein Entgegenkommen gegenüber Gazprom ebenso ein politischer Faktor, wie auch der Billigpreis, den Gazprom daraufhin einräumte.

Eben dies gilt auch – mit umgekehrten Vorzeichen – für die Ukraine. Für Präsident Juschtschenko ist es erstens völlig ausgeschlossen, Grund und Boden an Gazprom zu verpachten. Zweitens ist die ukrainische Wirtschaft schon längst ruiniert und wäre auch mit allerbilligstem Gas bis zu den Parlamentswahlen im März nicht mehr zu sanieren. Darum ist es drittens für Juschtschenko interessanter, eine Konfrontation um das Gas zur politische Positionierung als Opfer des russischen Imperialismus’ zu nutzen – was auch teilweise gelungen zu sein scheint.

Mit anderen Worten: die Gaspreise für Ukraine und Weißrussland und sogar auch für Russland sind durchaus politische Preise – aber anders, als meist angenommen.

Aus Putins Sicht ist das Wichtigste, habe ich geschrieben, Milliarden für seine Nationalen Projekte, für die soziale Sanierung und die allseitige Modernisierung des Landes zu kassieren. )

Ich gebe Ihnen an dieser Stelle ganz und gar Recht: Ich bezweifele auch, dass es mit den Öl- und Gasmilliarden in Russland gerecht zu geht. In der Ära Putin sind an die Stelle – und teilweise an die Seite - räuberischer Oligarchen nicht minder einnehmende Bürokraten getreten. Korruption ist - neben sozialer Ungerechtigkeit und Elend - die größte Geißel Russlands. Die einzige Hoffnung ist die, dass der Selbsterhaltungstrieb des Systems und die politische Logik wenigstens den führenden Teil der politischen Elite vielleicht zum Umdenken bringen. Dass vielleicht wenigstens ein Teil der Gas-Milliarden in die Nationalen Projekte geht und zum Boden der russischen Gesellschaft durchsickert. Gewisse Anzeichen dafür gibt es.

Ich muss Ihnen auch noch an einem weiteren Punkt Recht geben: die fiese Trickserei Gazproms mit dem turkmenischen Gas war moralisch nicht einwandfrei, aber technisch wirksam. Dass der russisch-ukrainische Gas-Vertrag bis 2009 gilt, stimmt hingegen nicht. Die Ukraine hatte ihn in 2005 selbst desavouiert.

Dafür haben Sie aber endgültig Recht mit Ihrer Aussage, ein internationales Gastransit-Pipeline-Konsortium müsste ein ukrainisch-russisch-europäisches sein. Ganz genau dies hab ich aber auch geschrieben. Und es scheint ja auch so, als ginge die reale Entwicklung in diese Richtung.

Natürlich müsste in einem solchen Fall die Verteilung der Aktienpakete anders sein, als bei der NEGPC, wo Schröder den Aufsichtsrat führt. Bei der Ostseepipeline hat Gazprom 51 % und alle anderen (bisher EON-Ruhrgas und BASF-Wintershall) teilen sich 49 %. In der Ostsee ist das in Ordnung, in der Ukraine würde es sicher anders aussehen – zum Nutzen aller Beteiligten.

Aber so, wie ich Gazprom verstehe, ist es hier auch gar nicht nötig, den russischen Gaskonzern zu überzeugen, sondern vielmehr die ukrainische Regierung, die den bereits bestehenden Plan eines deutsch-ukrainisch-russischen Gaskonsortiums gecancelt hat.

An dieser Stelle verkneife ich mir, auch noch ins Feld zu führen, dass die Anti-Gas-Allianz der Cordon-Staaten Ukraine, Polens und vielleicht der Litauer unter Umständen den amerikanischen Interessen entspricht, sicher aber nicht den Interessen des „good old Europe“ und auch nicht den russischen.

Stattdessen wünsche ich Ihnen ein erfolgreiches Neues Jahr 2006. Und versichere Ihnen, dass wir uns stets darum bemühen werden, klischeefrei und objektiv zu berichten. Auch wenns manchmal schief geht.

Mit besten Grüßen
Gisbert Mrozek

PS.: Über eine Fortsetzung der Diskussion würde ich mich freuen - sowohl online, als auch offline.



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