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Schwarzweiss ist der Film, farbig die Musik: "Metropolis" mit Orgelbegleitung im Dom zu Kaliningrad (Foto: tp/.rufo)
Schwarzweiss ist der Film, farbig die Musik: "Metropolis" mit Orgelbegleitung im Dom zu Kaliningrad (Foto: tp/.rufo)
Dienstag, 08.01.2013

Metropolis und Revolution in Königsberger Dom

Thoralf Plath, Kaliningrad. Mit einem Stummfilm-Doppelkonzert ist das „Jahr der deutschen Kultur in Russland“ nun auch in Kaliningrad angekommen. Zeit wird es – man hätte es auch gleich im alten Königsberg eröffnen können.


Stephan von Bothmer hat mehr als 500 Stummfilme vertont, er begleitete Fußballspiele auf der Kirchenorgel und tourte mit seinen Kompositionen bis nach Kolumbien und auf die Philippinen, doch dieser Konzertabend ist auch für den weitgereisten Organisten etwas Besonderes.

Zum ersten Mal steht er in Russland auf einer Bühne, im alten Dom zu Königsberg. Es ist Freitagabend, die Bänke im Langhaus der Basilika sind gefüllt bis fast auf den letzten Platz. Dabei steht schwere Kost auf dem Spielplan: „Metropolis“, der expressionistische Stummfilmkoloss von Fritz Lang, die volle 2,5-Stunden-Version.

Doch Kultur aus Deutschland, das zieht in Russlands westlichster Großstadt, wo Berlin doppelt näher liegt als die eigene Hauptstadt, und wo es sogar ein Brandenburger Tor gibt, es heißt sogar immer noch so: Brandenburgskije worota.

Stephan von Bothmer an seinem ersten russischen Arbeitsplatz, der Königsberger Domorgel (Foto: tp/.rufo)
Stephan von Bothmer an seinem ersten russischen Arbeitsplatz, der Königsberger Domorgel (Foto: tp/.rufo)
Auch Stephan von Bothmer kommt aus Berlin. Zur Begrüßung lässt er sich von Dolmetscherin Swetlana Kolbanjowa dafür entschuldigen, leider „noch“ kein Russisch zu sprechen, doch die Sprache, die er dann anschlägt an der Chororgel, verstehen alle.

Langs utopisch-apokalyptisch-romantisches Stummfilmepos von der Stadt Metropolis und ihrer Zweiklassengesellschaft, dem Oligarchen Frederson und der Menschmaschine erwacht mit jedem Akkord auf einer Sinnesebene, die so ganz anders wirkt, als schaue man einen herkömmlichen Kinofilm. Schwarzweißfilm plus Untertitel plus Musik, das ist 3D in ganz eigener Art, es dauert ein paar Minuten, ehe Hören und Sehen und Lesen und Verstehen sich synchronisiert haben.

Es dauert auch ein paar Minuten, bis das Spiel des Organisten in die Handlung findet, die er vor sich auf einem kleinen Monitor eingeblendet sieht, doch dann fluten funkelnde Töne das alte Kirchenschiff.

Bach, Pink Floyd, Depeche Mode


Der 41Jährige spielt in freier Improvisation, ohne Partitur, die Handlung eher interpretierend als vertonend. Natürlich kennt er den Film, begleitete ihn schon viele Male. Doch er zwängt seine Musik nicht in ein Korsett. Die riesige Königsberger Domorgel, in zwei per Datenkabel verknüpfte Instrumente geteilt und mit ihren 122 Registern eine Art musikalische Allzweckwaffe, sie scheint wie geschaffen für diese Vorführung.

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Bothmer lässt sie zum Tanz der Schwarzweißbilder singen, klagend aushauchen, mit knurrendem Generalbass dröhnen, mal klingt es wie Bach, dann nach Pink Floyd und Depeche Mode.

Aus dem Publikum schwingen sich irritierte Blicke zur Empore hinauf. Dort sitzt der junge Domorganist Artjom Chachaturow ganz still und staunt: „Phantastisch.“ Das würde er auch mal gern machen. Anstatt immer nur Nachmittagskonzerte, Bach, Mendelsohn, Charles Widor.

Der Großfilm auf der riesigen, eigens für die Vorführung angeschafften Leinwand zieht sich, die Kirchenbänke werden hart und härter, doch niemand geht. Am Ende erntet der Deutsche kräftig Applaus, so ist das üblich hier: Russen wissen, was sie Künstlern schuldig sind.

Draußen Topredoboot, drinnen Panzerkreuzer: Der Königsberger Dom ist eine Brücke über die Brüche der Geschichte (Foto: tp/.rufo)
Draußen Topredoboot, drinnen Panzerkreuzer: Der Königsberger Dom ist eine Brücke über die Brüche der Geschichte (Foto: tp/.rufo)
Tags darauf spielt von Bothmer noch einmal, nun zu Sergej Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“, einem wuchtigen Drama um eine Matrosenmeuterei im russischen Revolutionsjahr 1905.

Staunend lernt der Pianist, dass die meisten seiner Gäste das Werk, neu vertont jüngst von der britischen Popband „Pet Shop Boys“, in Gänze zum ersten Mal sehen. „Ich dachte, der Film hätte hier zum Pflichtprogramm gehört. Aber alle, mit denen ich gesprochen habe, sagten mir, dass sie nur Ausschnitte kennen.“

Zum Potemkin-Abend kommen nicht ganz so viele wie zu Metropolis. Stephan von Bothmer haut ihnen revolutionäre Akkorde um die Ohren, dass die Bänke zittern. Als er nach dem Konzert auf die Bühne kommt, steht ihm der Schweiß auf der Stirn.

Auftakt für das Kaliningrader „Deutschlandjahr“


Initiiert hat das Konzert die deutsche Gesellschaft der Freunde Kants und Königsbergs. Deren Vorsitzender Gerfried Horst lernte den Organisten während eines Konzerts im Berliner Dom kennen. „Ich dachte gleich, das müssen wir mal im Königsberger Dom machen.“ Die Kantfreunde zählen zu den großen Förderern deutsch-russischen Kulturdialogs in Kaliningrad.

Verbündete für das Megapolis-Projekt fanden sie vor Ort im deutschen Generalkonsulat. Denn mit dem Stummfilmkonzert startet die Pregelstadt in das „Jahr der deutschen Kultur in Russland“, es läuft seit 2011 in Moskau und kommt nun in den Provinzen an. Die diplomatische Gesandtschaft der Bundesrepublik in Kaliningrad wird im Lauf des Deutschlandjahres noch eine Reihe weitere Veranstaltungen fördern: Ausstellungen, viel Musik, auch ein Lew-Kopelew-Forum ist geplant.

Russisch-Königsberg: Solche Autokennzeichen sieht man immer häufiger in Kaliningrad (Foto: tp/.rufo)
Russisch-Königsberg: Solche Autokennzeichen sieht man immer häufiger in Kaliningrad (Foto: tp/.rufo)

Vielseitige russisch-deutsche Beziehungen


Eigentlich hätte man das Themenjahr auch gleich von Beginn an in Kaliningrad eröffnen können, denn nirgends sonst in einer Provinz des Riesenlandes sind die russisch-deutschen Beziehungen so eng und vielseitig entwickelt wie hier. Es gibt Hunderte von Partnerschaften, von Feuerwehren bis zum Schüleraustausch, die Technische Universität betreibt den einzigen deutschsprachigen Studiengang in ganz Russland, Archäologen aus beiden Ländern graben gemeinsam in der Frühgeschichte der alten Pruzzenstämme.

Von wegen Stummfilm: „Deutschland, das ist für uns gefühlt gar kein richtiges Ausland mehr“, sagt Andrej Portnjagin, Direktor des Deutsch-Russischen Hauses. „Natürlich fühlen die Russen sich auch in Kaliningrad wie Russen. Aber unsere regionale Identität orientiert sich stärker am Ostseeraum, für uns ist das kein Widerspruch. Das liegt bei unserer geopolitischen Lage als Exklave und der Geschichte einfach nahe.“

Moskau argwöhnt „kulturellen Seperatismus“


Mit der Geschichte freilich ist das so eine Sache in Kaliningrad, dem früheren Königsberg. Ganz verbieten ließ sie sich nie. Doch Deutsches Einst und russisches Heute, das wächst so einfach auch nicht zusammen. Was ist eigen, was ist fremd? Ginge es nach Moskau, wären die Untertanen in der Exklave an der Ostsee vor allem patriotische Russen.

Neu-Russlands Symbol über der altdeutschen Stadt: die Kathedrale (Foto: tp/.rufo)
Neu-Russlands Symbol über der altdeutschen Stadt: die Kathedrale (Foto: tp/.rufo)
Der Kreml hat mit der allzu toleranten Offenheit vieler Kaliningrader in Richtung Deutschland und Europa seit jeher ein Problem, Russlands Zentralmacht sieht dahinter immer noch das Gespenst eines vermeintlichen kulturellen Separatismus spuken. Sommer für Sommer finanziert die Regierung Kaliningrader Schulkindern Ferienfahrten ins „richtige“ Russland.

Und nicht ohne Grund ließ man die orthodoxe Kirche am Kaliningrader Siegesplatz die zweitgrößte Kathedrale des Landes hochziehen, mit Putins Segen und Geld vom Kreml. Ein russländisches Mahnmal mit fünf goldenen Zwiebeltürmen.

Genützt hat das nicht viel. Die Kaliningrader schrauben ihre Autonummernschilder neuerdings auf Plastikrahmen mit der Aufschrift „Königsberg“, bald jeder dritte Wagen fährt mittlerweile damit herum auf den von Audi, Mercedes & Co. verstopften Straßen und Prospekten der Halbmillionenstadt.

Das zentrale Lenindenkmal hat man schon vor Jahren vom Sockel geholt und an den Stadtrand verbannt, und zwischen all den Sowjetmonumenten von Kosmonauten und Kriegshelden wuchsen seither neue Denkmale nun auch für Deutsche, die in der Königsberger Geschichte ihre Spuren hinterließen: Ludwig Rhesa, Baron von Münchhausen, E.T.A. Hoffmann.

Auf der Dominsel thront heute lebensgroß Herzog Albrecht von Brandenburg-Ansbach, der letzte Hochmeister des Deutschen Ordens und Gründer der Königsberger Universität. Die einstige Albertina, nach dem Krieg zur Staatliche Universität Kaliningrad mutiert, heißt seit 2005 nach Immanuel Kant – als erste russische Alma mater überhaupt den Namen eines nichtrussischen Gelehrten tragend.

Marzipan und Klospe


Ostpreußens Geschichte, sie ist hier längst salonfähig geworden. Das Kunsthistorische Museum zeigt gerade eine Ausstellung über das Königsberger Marzipan, eine junge Kaliningraderin stellt die berühmte Süßigkeit nach alten Rezepten her. Im Restaurant „Sonnenstein“ neben dem Dohnaturm kann man Kenigsbergskije Klospy bestellen, die Portion für 360 Rubel (neun Euro).

Und wenn neue Hotels öffnen, heißen sie „Oberteich“ und Kaiserhof“. Jüngst versuchte es eine Herberge gar mit „Reichsstraße“, das war denn doch zuviel des Guten. Es musste sich umbenennen, firmiert nun als „Las Palmas“.

Es ist noch gar nicht lange her, da wäre man in Kaliningrad für so etwas nach Sibirien gewandert, weil jeder öffentliche Gedanke an die deutsche Vergangenheit tabu war im abgeriegelten, zum Militärbezirk degradierten Sowjetisch-Ostpreußen. Die roten Kremlherren hatten das kriegsverkrüppelte Schloss schleifen lassen und noch die letzte deutsche Ladeninschrift, sie hätten auch den Dom gesprengt, doch das verhinderte ja angeblich Kant.

Der Grabtempel des großen Königsberger Philosophen lehnt an der Nordwand des Domchores, und Immanuel Kant galt in der Sowjetunion als Wegbereiter des Leninismus. Darum durfte die Domruine bleiben. Heißt es.

Königsberg en miniature


Inzwischen klingt das wie eine skurrile Fußnote der Geschichte in dieser doppelbödigen Stadt. Der Dom, wiederaufgebaut mit Hilfe unzähliger Spenden von Deutschen und Russen, hat wieder ein Dach und Fenster, die wie einst Stifterwappen ostpreußischer Adelsfamilien zieren.

Im Dommuseum, auf drei Etagen des Doppelturm eingerichtet, zeigt ein saalfüllendes Modell die Königsbergs Altstadt in ihrer versunkenen Schönheit. Seit fünf Jahren hat der Dom auch wieder eine Orgel, außen eine Nachbildung der historischen Barockorgel von Josua Mosengel, innen Hightech, die renommierte Potsdamer Orgelbaufirma Schuke zog alle Register.

Der große Denker Kant stand als einziger deutscher Sohn der Stadt auch zu Sowjetzeiten hoch in Kurs - und war als Toter der Schutzpatron des Domes (Foto: tp/.rufo)
Der große Denker Kant stand als einziger deutscher Sohn der Stadt auch zu Sowjetzeiten hoch in Kurs - und war als Toter der Schutzpatron des Domes (Foto: tp/.rufo)
Dies sei die größte Orgel Russlands, betont Igor Odinzow gern: „Allein schon um der Musik Willen hätte sich die ganze Mühe gelohnt.“ Dem 75-Jährigen, der zu sowjetischer Zeit als Bauingenieur der Sowjetarmee Kasernen und Sanatorien hochzog, ist die Rettung des Königsberger Doms zu verdanken.

Anfangs war das ein irrwitziges Unternehmen, Odinzow hatte alle gegen sich und keine hundert Rubel in der Kasse, wie er sagt. Heute besuchen 50.000 Gäste pro Jahr den Dom, der als Wahrzeichen der Pregelstadt alles andere überragt. Igor Odinzow bekam 2011 für sein Aufbauwerk das Bundesverdienstkreuz.

Der Dombaumeister trägt es nicht, aber er ist stolz darauf, Kaliningrad und Königsberg unter dem Dach der gotischen Backsteinbasilika versöhnt zu haben. „Dieser Wiederaufbau wäre im Russland von heute unter der jetzigen Regierung so nicht mehr denkbar. Der Dom ist das Schwerste, aber auch das Schönste, was ich in meinem Leben machen durfte.“

Der Organist will wiederkommen


Es hätte keinen passenderen Ort geben können, das Jahr der deutschen Kultur in Kaliningrad zu eröffnen. Das fand auch Stephan von Bothmer nach einer Besichtigung des Dommuseums, wo Fotos die Wiederauferstehung dieses einzigartigen Kulturdenkmals dokumentieren. Der Organist wird wiederkommen, wie so viele, die diese seltsam doppelbödige Stadt einmal besuchten. Dombaumeister Odinzow hat ihn bereits zu einem weiteren Stummfilmkonzert eingeladen.

Doch der Pianist würde hier auch gern einmal ein Fußballspiel auf der Orgel begleiten. „Ich habe gehört, dass Kaliningrad 2018 zu den Ausrichterstädten der Fußball-WM gehört. Also ich bin sicher, wir werden uns hier wiedersehen.“



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