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Hugo Wormsbecher ist Schriftsteller und ehemaliger Vizepräsident der Russlanddeutschen Kulturautonomie, einer der wichtigsten Sprecher der Russlanddeutschen (Foto: Wormsbecher)
Hugo Wormsbecher ist Schriftsteller und ehemaliger Vizepräsident der Russlanddeutschen Kulturautonomie, einer der wichtigsten Sprecher der Russlanddeutschen (Foto: Wormsbecher)
Donnerstag, 16.03.2006

Russlanddeutsche: Wolgarepublik dank Putin?

Moskau. Ein neues Autonomes Gebiet der 1,5 Mio Russlanddeutschen könnte eine Lokomotive der Wirtschaft werden – wenn der Kreml will. Das, so meint Hugo Wormsbecher, ist keine Utopie, sondern eine reale politische Möglichkeit.

Im Jahr 1941, während der Phase militärischer Misserfolge, wurden die Deutschen in der UdSSR der Zusammenarbeit mit dem Feind bezichtigt und nach Sibirien und Kasachstan deportiert. Ihre Autonome Republik an der Wolga wurde liquidiert. Ein ganzes Volk wurde jahrzehntelang unterdrückt und diskriminiert.

Die Frage der Russlanddeutschen wurde nie gelöst, nicht als die Autonomie anderer repressierter Völker nach Stalins Tod wiederhergestellt wurde; nicht nach dem Erlass, mit dem alle Anschuldigungen als unbegründet zurückgenommen wurden (1964); nicht unter Michail Gorbatschow, als der Neuaufbau der Autonomen Republik der Wolgadeutschen vorbereitet wurde; nicht unter Boris Jelzin, der vorschlug die Russlanddeutschen auf einem Truppenübungsplatz im Gebiet Saratow anzusiedeln. („Wenn man dort die Blindgänger beseitigt, ist dort ein deutscher Weg möglich“.) Bis heute ist die russland-deutsche Frage ungelöst.

Bis heute ist die russland-deutsche Frage ungelöst – weil die Russlanddeutschen zu gut arbeiteten


Der Grund: Russlanddeutsche erwiesen sich als gute Arbeiter. Sie spielten in der Wirtschaft der Regionen, in die sie umgesiedelt wurden, eine bedeutende Rolle. Aus diesem Grund waren die Regionen gegen eine „Wiederauferstehung“ der Republik der Russlanddeutschen, um die für sie wichtigen Arbeitskräfte nicht zu verlieren.

„Es wäre eigentlich gut, die Republik der Wolgadeutschen wieder aufzubauen, aber dann würden 500 Tsd. Deutsche die Brachlandzone in Kasachstan verlassen und ohne sie ist es nicht möglich, Landwirtschaft zu betreiben“. Das äußerte A. Mikojan, einer der Führer der UdSSR, im Jahr 1965 ganz offen gegenüber den Mitgliedern einer Delegation der Russlanddeutschen.

Die Reaktion des Volkes ist bekannt: nachdem sie alle Hoffnung auf Gerechtigkeit und Gleichberechtigung aufgegeben hatten, gingen 2,5 Mill. Russlanddeutsche nach Deutschland, „damit zumindest die Kinder deutsch bleiben“ (Ab 1941 gab es in der Sowjetunion, und später auch in Russland, keine einzige deutsche Schule mehr)

In Russland lebt immer noch etwa eine Million Russlanddeutsche


Es schien, als hätte sich die Frage der Russlanddeutschen erledigt: es reisten sogar mehr Deutsche aus, als es in der UdSSR lt. Zählung des Jahres 1989 gab (2 Mill. 38 Tsd). Trotz allem hat die neue Zählung des Jahres 2002 ergeben, dass in Russland fast 600 Tsd. Deutsche leben. Wenn man berücksichtigt, dass bei dieser Zählung die befragten Bürger ihre Nationalität selbst angeben sollten, kann man als sicher annehmen, dass die Anzahl der „echten Deutschen“ nicht weniger als 1 Million Menschen beträgt.

Hinzu kommt, dass ca. 90 % ihrer Ehen „Mischehen“ sind und praktisch alle Kinder aus diesen Ehen –wie früher auch- als Russen registriert werden. Und das bedeutet wiederum, dass die Anzahl der Deutschen und Ihrer Familienmitglieder mindestens 1,5 Mill. beträgt.

Organisationen der Russlanddeutschen wollen nach wie vor die volle Rehabilitierung erreichen


Die nationale Bewegung der Russlanddeutschen (die Föderale nationale Kulturautonomie, die Assoziation „Gemeinschaft“ und der von ihnen gegründete vereinigte Föderale Koordinierungsrat bemühen sich nach wie vor intensiv, in Übereinstimmung mit der Verfassung der Russischen Förderation, dem Gesetz „Über die Rehabilitierung repressierter Völker“ (1991) und des russisch-deutschen Gemeinschaftsprotokolls der Regierungen beider Länder „über die Zusammenarbeit bei der schrittweisen Wiederherstellung der Staatlichkeit der Russlanddeutschen“ (1992), um ihre vollständige Rehabilitierung.

Festzustellen ist die Ineffektivität aller früher durchgeführten Maßnahmen: Die föderalen Programme der Russlanddeutschen wurden in den Jahren 1997-2006 nur zu 3% erfüllt. Das geschaffene Netz der Kulturzentren und andere Strukturen können ohne Unterstützung von Außen nicht funktionieren; rund 97% der Deutschen, die im ganzen Land verstreut leben, sind praktisch der Möglichkeit beraubt, am nationalen Kulturleben teilzunehmen oder die Muttersprache zu erlernen; aber auch in den zwei geschaffenen nationalen Bezirken verringert sich der Anteil der deutschen Bevölkerung wegen der sich fortsetzenden Ausreise.

Neue Lösungsformen für die Russlanddeutsche Frage


Unter diesen Bedingungen schlugen die Russlanddeutschen neue Herangehensweisen zur Lösung Ihrer Probleme vor. Als Hauptziel nannten Sie nicht die Wiederherstellung der Republik der Russlanddeutschen an der Wolga (obwohl man diese Variante nicht ablehnt) sondern die Bewahrung der Russlanddeutschen als Volk, was voraussetzt, Ihnen die gleichen Rechte und Bedingungen wie anderen Völkern Russlands zu gewähren.



Ein autonomes Gebiet für die Russlanddeutschen


Grundvoraussetzung ist die Wiederherstellung der territorialen Autonomie (wo – da kann man sich Varianten überlegen). Das löst die Hauptfrage, nämlich die nach einem gemeinsamen Lebensraum für Russlanddeutsche, ohne den es unmöglich ist, die Muttersprache und die Nationalkultur zu bewahren und sich als Volk zu erhalten.

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Gleichzeitig gestattet sie, eine eigenständige wirtschaftliche Basis zu schaffen, um die Abhängigkeit von außen zu vermeiden und eigene Probleme selbstständig zu lösen.

Das Wesentliche aber, was in den neuen Herangehensweisen vorgeschlagen wird, ist die Verknüpfung der Lösung der Probleme der Russlanddeutschen einerseits mit der Realisierung einer Reihe gewaltiger, aktueller wirtschaftlicher Aufgaben für das Land oder die konkrete Region andererseits. Russlanddeutsche könnten zur Realisierung „nationaler Projekte“ eingesetzt werden.

Russlanddeutsche realisieren Nationale Projekte für Russland – und lösen dabei zugleich die eigenen Probleme


Das ermöglicht im Zuge der Verwirklichung der Projekte zugleich die Schaffung aller grundsätzlich notwendigen Voraussetzungen zur Erneuerung des Volkes: Diese Voraussetzungen sind ein gemeinsames Territorium, die Schaffung einer ökonomischen Basis, die soziale-, die kulturelle- und die Bildungsinfrastruktur.

Wenn man diese Projekte, z.B. mit der deutschen Wirtschaft gemeinsam bearbeitet, so kann man ihre Realisierung nicht nur bedeutend beschleunigen, sondern auch einen messbaren Beitrag zur Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern leisten.

In den Sonderwirtschaftszonen - Hand in Hand mit der deutschen Wirtschaft – und Putin


Zusätzliche Möglichkeiten bieten sich, wenn man die Lösung der Probleme mit der Schaffung der vom Präsidenten der RF Wladimir Putin vorgeschlagenen Sonderwirtschaftszonen verbindet, aber auch mit dem staatlichen Einwanderungsprogramm für im Ausland lebender Landsleute, das sich in Vorbereitung befindet.

Diese Herangehensweise an die Lösung ihrer Probleme ist sowohl für das ganze Land, als auch für die konkrete Region von volkswirtschaftlichem Interesse, so die Meinung der Russlanddeutschen. Gleichzeitig liegen solche Lösungen im demographischen Interesse der Länder, da sie die Auswanderung der Russlanddeutschen mindern und sie sogar aus anderen Ländern der GUS und womöglich sogar aus Deutschland nach Russland locken.

Rückwanderung aus Deutschland nach Russland?


Solche Lösungen sind für Russland auch von politischem Interesse: endlich wird dem einzigen, bisher nicht rehabilitierten Volk Gerechtigkeit zugesprochen. Es werden Probleme gelöst, die im Laufe der vergangenen 65 Jahren nicht ein einziger der Vorgänger W.Putins lösen konnte; es wird der erste große positive Schritt in der Nationalitätenpolitik des neuen Russlands getan - einer Politik, die bisher in der Welt nur durch die Ereignisse in Tschetschenien auf sich aufmerksam machte.

In den letzten Jahren sind in Russland große Veränderungen eingetreten: Festigung der Prioritäten der Staatsinteressen; ernsthafte Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Landes; Rahmenprogramme und Projekte, die auf die Zukunft ausgerichtet sind; aber auch die Festigung von Recht und Ordnung im Lande, Maßnahmen zur Sicherung der Rechte der Bürger und Völker des Landes, „damit sie sich in ihrem Land wie zu Hause fühlen“-, das alles erlaubt den Gedanken, dass die Lösung der Probleme der Russlanddeutschen heute besser denn je möglich ist.
Hugo Wormsbecher, ehemaliger Vize-Präsident der Föderalen Nationalen Kulturautonomie (FNKA) der Russlanddeutschen, Schriftsteller aus Moskau und einer der wichtigsten Sprecher der Russlanddeutschen in Russland selbst.



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