Rechtsrutsch stärkt Putin im ParlamentVon Lothar Deeg, St. Petersburg. Bei den russischen Parlamentswahlen haben nationalistisch orientierte Parteien einen deutlichen Erfolg erzielt: Die LDPR von Wladimir Schirinowski wie auch der neu gegründete Block Heimat vereinigten nach ersten Ergebnissen etwa 20 Prozent der Stimmen auf sich. Unangefochtener Wahlsieger ist jedoch die Kreml-treue Partei Einiges Russland (ER), für die mehr ein Drittel aller Wähler votierten. Die Kommunisten mussten deutliche Verluste hinnehmen. Die beiden liberalen Parteien SPS und Jabloko müssen noch um den Wiedereinzug in die Duma zittern. Ihr Schicksal klärt sich erst nach der Auszählung der Stimmen in den europäischen Landesteilen.
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Verschiedene Meinungsforschungsinistitute führten in Russland Umfragen vor Wahllokalen durch und veröffentlichten ihre üblicherweise recht exakt treffenden Ergebnisse sofort nach Schließung der Wahllokale im westlichsten Landesteil Kaliningrad. Demnach entfielen auf die in unbedingter Gefolgschaft zu Präsident Wladimir Putin stehende ER zwischen 34 und 37 Prozent. Gegenüber den beiden Staatsmacht-nahen Parteien Einheit und Vaterland, die 1999 noch getrennt marschierten und sich erst später hinter Putin als Führerfigur vereinigten, bedeutet dies einen Zugewinn von etwa 10 Prozent. Das Kreml-Projekt, mit der ER eine nicht nur administrativ starke, sondern auch vom Wahlvolk akzeptierte neue Macht-Partei zu schaffen, kann damit als erfolgreich abgeschlossen gelten.
Die von den Kreml-treuen Medien im Wahlkampf stark attackierten Kommunisten verloren gegenüber den letzten Wahlen über ein Drittel ihrer Stimmen. Mit etwa 15 Prozent ist die KPRF aber weiterhin zweitstärkste Kraft. Mit 9 Prozent sehr stark schnitt der mit Rückendeckung des Kremls von kommunistischen Abweichlern, Militärs und vaterländisch orientierten Politikern gebildete neue Wahlblock Heimat ab. Die LDPR des für seine rüden Auftritte und einfachen Parolen bekannten Rechtsaußens Wladimir Schirinowski verdoppelte ihren Stimmenanteil von 6 auf etwa 12 Prozent. Die im Wahlkampf nicht nur seitens dieser beiden Gruppierungen häufig zu hörenden nationalistischen und Großmacht-nostalgischen Losungen haben offenbar bei den Wählern guten Widerhall gefunden. Ebenso verfing die gleich von mehreren Seiten geführte Kampagne zur Demontage der früher einzigen Massenpartei KPRF, die bislang den vom Wandel der letzten Jahre Verbitterten und Verarmten eine politische Heimat bot.
Eine der spannendsten Fragen vor der Wahl war, ob die beiden westlich-liberal orientierten, aber notorisch untereinander zerstrittenen Reformer-Parteien Union Rechter Kräfte (SPS) und Jabloko wieder die Fünf-Prozent-Hürde nehmen können. Die Vorort-Demoskopen sahen sie am Wahlabend im Bereich von 4,5 bis 6 Prozent. Im russischen Fernen Osten, wo die Ergebnisse um 21 Uhr Moskauer Zeit schon ausgezählt waren, erreichten die beiden liberalen Kräfte zunächst nicht einmal 4 Prozent. Für sie bahnte sich also eine nervenaufreibende Nacht an.
Die Wahlbeteiligung von etwa 57 Prozent lag um gut 5 Prozent niedriger als vor vier Jahren. Die Wahlmüdigkeit drückt die Meinung vieler Russen aus, dass die Zusammensetzung der Duma ein eher zweitrangiger Faktor für das Schicksal Russlands ist und dies erst recht, seitdem sich vor vier Jahren in der Duma eine Präsidenten-treue Mehrheit etablierte. Nach den ersten Ergebnissen der Neuwahl ist der Putin-Block, der auch die nationalistischen Kräfte einschließt, jetzt noch stärker geworden.
Insgesamt verliefen die Wahlen ruhig und geordnet - auch in Tschetschenien, von wo, wie schon üblich, eine besonders hohe Wahlbeteiligung von über 70 Prozent gemeldet wurde. Nach dem schweren Bombenanschlag auf einen Vorortzug am Freitag, bei dem im Kaukasus 42 Menschen getötet wurden, wurden weitere Terrorakte radikalislamischer oder tschetschenischer Gruppen befürchtet. Doch diese blieben glücklicherweise aus. Der dramatischste Zwischenfall blieb deshalb ein Eierwurf auf Premierminister Michail Kassjanow: Genau in dem Moment, als er seinen Stimmzettel in die Urne fallen ließ, traf ihn ein rohes Ei an der Schulter. Bevor die junge Frau, die es geworfen hatte, von den Leibwächtern des Regierungs-Chefs überwältigt wurde, rief sie: Kassjanow, die Wahlen sind eine Farce. Dieser bezeichnete in aller Ruhe das Ei als Zeichen der Demokratie. Bei der Attentäterin soll es sich um eine Aktivistin der National-Bolschewistischen Partei handeln, die nach westlichen Maßstäben als sowohl links- wie rechtsextrem gelten würde. Zu den Wahlen war sie nicht zugelassen worden.
Ansonsten wird nur von einer Bombendrohung gegen ein Wahllokal nahe Moskau und von einem Polizisten im Fernen Osten berichtet, der einen betrunkenen Wähler nur mit einem Warnschuss zur Ordnung rufen konnte. Der Traktorist hatte von den Wahlhelfern im Dorf-Klubhaus gefordert, sofort eine Diskothek zu organisieren. Bei der Telefonhotline eines Beobachter-Beirates gingen insgesamt 340 Beschwerden ein, sei es über Bleistifte statt Kugelschreibern in den Wahlkabinen oder die Nichtzulassung von ortsfremden Wahlbeobachtern in einzelnen Wahllokalen.
In Baschkirien, wo gleichzeitig auch der Präsident der Republik gewählt wurde, gab es - wie schon während des Wahlkampfes - die ernstesten Zwischenfälle. In 30 Fällen sollen dort Busse mit Wahlbeobachtern aufgehalten worden sein. Zwei Busse wurden sogar mit Steinen beworfen, 25 Menschen erlitten Verletzungen. Der Chef der Zentralen Wahlkomission, Alexander Weschnjakow, meldete allerdings nur marginale Verstöße gegen die Wahlregeln. Auch in Baschkirien verliefen die Wahlen nach seinen Worten in guter, versöhnlicher Atmosphäre. Die deutsche CDU-Politikerin Rita Süssmuth, die die Wahlbeobachter-Mission der OSZE leitet, zeigte sich nach einem Besuch in zwei Moskauer Wahlkokalen von deren Ausstattung befriedigt. Die Wahlen seien technisch gut vorbereitet, so Süssmuth. Kein Wunder: In das Computer-Wahlauszählungssystem GAS-Wybory wurden 50 Millionen Euro investiert. Es sollte gewährleisten, dass es trotz der über elf Zeitzonen verteilten Zahl von 111 Millionen Wahlberechtigten schnelle und verlässliche Resultate gibt.
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Das Geheimnis der Stimmenauszählung
Wo man nicht nur die Duma wählt
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Wahl-Chef Weschnjakow versicherte vor dem Wahlgang, dass die Möglichkeiten für Manipulationen während der Wahl und bei der Auszählung lächerlich gering seien. Die zehntausende von Wahlhelfern wies er aber trotzdem darauf hin, dass Wahlfälschung eine hart geahndete Straftat sei. Die in der Ära Putin fest im Sattel sitzende Staatsmacht hat es auch kaum noch nötig, mit kleinen Tricks am Resultat zu drehen: Die Bevorzugung von Einiges Russland in der Berichterstattung zumindest der zwei staatlich gelenkten Fernsehsender, die offene Parteinahme Putins für die Kreml-Partei und schließlich die Disqualifikation einzelner unerwünschter Kandidaten im Vorfeld der Wahlen wegen angeblicher Regelverstöße sowie andere Polit-Technologien der gelenkten Demokratie garantierten auch so mehr oder weniger das gewünschte Resultat.
Wladimir Putin hätte vor der Wahl also eigentlich keine schlaflose Nacht haben sollen. Dass er trotzdem am Morgen sichtlich unfrisch zu seinem Moskauer Wahllokal kam, lag an seiner Labradorhündin: Pony gebar in der Nacht acht Welpen und das Präsidentenehepaar arbeitete laut Ehefrau Ludmila die halbe Nacht als Geburtshelfer.
(ld/.rufo)
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