Von Lothar Deeg, St. Petersburg. Genau zwei Monate vor den Wahlen hat in Russland der Präsidentenwahlkampf begonnen. Zwar müssen acht der zehn Kandidaten zunächst nicht die Stimmen der Wähler, sondern zwei Millionen derer Unterschriften sammeln, aber die Phase der markanten Sprüche hat schon eingesetzt: Irina Chakamada erklärte, dass Putin die Toten des Nord-Ost-Geiseldramas zu verantworten habe. Und Wladimir Schirinowski schlug als Mund und Geist seines kandidierenden Leibwächters vor, auf dem Roten Platz je zehn Duma-Abgeordnete, Generäle, Beamte und Minister zu erschießen. Das sorge für Ordnung im Land.
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Die zehn Kandidaten |
Die Zentrale Wahlkomission hat zunächst zehn Kandidaten für die Präsidentenwahl registriert. Neben Nikolai Charitonow (KPRF), Oleg Malyschkin (LDPR) und Viktor Geraschtschenko (Heimat) treten als formell unabhängige Bewerber an: Wladimir Putin (Präsident, unterstützt von „Einiges Russland“), Sergej Glasjew (Block „Heimat“), Irina Chakamada (SPS), Iwan Rybkin (Liberales Russland/Beresowski), Sergej Mironow (Föderationsratsvorsitzender, Partei des Lebens) sowie die Geschäftsleute Wladimir Bryntsalew und Ansori Aksjontjew. Die Bewerbung des Moskauer Bestattungsunternehmers German Sterligow wurde wegen Formfehlern abgelehnt.
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Der 52 Jahre alte Ex-Bergmann, Box-Champion und Besitzer einer ZIL-Staatslimousine Oleg Malyschkin von der Schirinowski-Partei LDPR war der erste Kandidat, der von der Zentralen Wahlkommission für die Präsidentenwahlen zugelassen wurde. Bekannt war der einstige Leibwächter Schirinowskis vorher nur durch eine Prügelei, die er nach einer Fernsehdebatte zu den Dumawahlen im Fernsehstudio anzettelte. Als Wladimir Schirinowski ihn gestern auf einer Pressekonferenz in Moskau offiziell vorstellte, klang das so: „Oleg Malyschkin trinkt und raucht nicht. Er spricht zwar langsamer als ich, aber dafür denkt er viel.“
Doch dann gestand Schirinowski, dass er seinem als „Cocktail aus Iwan dem Schrecklichen, Peter dem Großen und Stalin“ angepriesenen Parteisoldaten auch nach dessen potentieller Wahl zum Staatsoberhaupt das Denken abnehmen würde: „Wenn Malyschkin Präsident wird, ernennt er mich zum Premierminister, tritt dann zurück und ich werde Präsident“, erklärte Schirinowski. Real spekuliert die Partei von Russlands Ober-Populisten aber nur auf den zweiten Platz hinter Putin und ein Ergebnis wie bei den Duma-Wahlen – etwa zwölf Prozent.
Am Donnerstag wurde dann auch Nikolaj Charitonow von der Zentralen Wahlkommission als Kandidat der Kommunistischen Partei zu den Präsidentenwahlen am 14. März zugelassen. Er und Malyschkin sind die einzigen Kandidaten, die von den in der Duma vertretenen Parteien aufgestellt wurden. Alle anderen Bewerber, darunter auch Putin, müssen noch bis zum 28. Januar zwei Millionen Unterstützer-Unterschriften beibringen.
Ex-Zentralbankchef Viktor Geraschtschenko wollte auf dem Ticket des bei den Wahlen erfolgreichen Wahlblockes „Heimat“ antreten, doch daraus wurde nichts: Aus Termingründen unterstützte seine Kandidatur formell nur eine der drei Block-bildenden Parteien, weshalb die Wahlkommission ihm letzte Woche nahelegte, ebenfalls Unterschriften zu sammeln. Diesen Weg geht für „Heimat“ aber bereits der Block-Chefideologe Sergej Glasjew, weshalb Geraschtschenko wohl früher oder später aus dem Rennen scheidet.
Auch Glasjew hofft auf den zweiten Platz – will aber im Wahlkampf offensichtlich dem Favoriten Wladimir Putin nicht zu nahe treten: Bei seiner Auftakt-Pressekonferenz fiel der Name des beherrschenden Konkurrenten kein einziges Mal. Der Salon-Linke Glasjew setzt auf so populäre Forderungen wie das Abschöpfen der Super-Gewinne aus dem Abbau von Naturschätzen (sprich: Sondersteuern für Ölkonzerne), härtere Antimonopolgesetze zur Senkung der Preise für den Grundbedarf und eine Erstattung der Anfang der 90er Jahre von der Inflation gefressenen Sparguthaben – aber nur zum Kauf einheimischer Waren.
Andere Töne spuckte da die in letzter Minute noch angetretene Überraschungskandidatin Irina Chakamada: Die wirtschaftsliberale Frontfrau der bei den Dumawahlen gescheiterten „Union der rechten Kräfte“ (SPS) begann ihre Kampagne gestern mit einer Breitseite auf Wladimir Putin persönlich. Der sei „kein Mensch, sondern eine Funktion und ein System“. Der Präsident würde seine Verantwortung und die Wahrheit über die Todesumstände der Geiseln bei der Erstürmung des Musical-Theaters Nord-Ost im Herbst 2002 verschleiern. „Unter solchen Umständen tritt man zurück oder bereut oder ermöglicht eine öffentliche Untersuchung, wenn man nicht eine Diktatur errichten will“, so Chakamada.
In großformatigen Zeitungsanzeigen hatte Chakamada sich schon am Vortag an die „zum Opfer des Staatsterrorismus“ gewordenen Bürger gewandt und ihnen im Falle ihrer Wahl eine totale Aufklärung der Terror-Hintergründe versprochen. Dieser Appell könnte ihr allerdings auch noch das Leben und die offizielle Kandidatenkür schwer machen: nämlich wenn die Wahlkommission dies als „vorzeitige Wahlwerbung“ auslegt. Kommerzielle Agitation in den Medien ist nach dem Wahlgesetz erst einen Monat vor dem Wahltermin erlaubt.
Als ihr Wahlziel nannte Chakamada sieben Prozent der Stimmen und – schon nicht mehr originell – den zweiten Platz. Auch teilte Chakamada mit, dass der Yukos-Großaktionär Leonid Newslin ihr seine finanzielle und persönliche Unterstützung zugesagt hätte. Der nach dem Arrest seines Geschäftspartner Chodorkowski nach Israel emigrierte Newslin sagte gegenüber dem „Kommersant“, er identifiziere Chakamada „mit dem Land, in dem ich leben möchte“.
Chakamada ging es mit ihrem forschen Auftritt wohl in erster Linie darum, zu zeigen, dass ihre Kandidatur nicht eine Idee des Kremls zur pseudo-demokratischen Aufwertung der eigentlich schon entschiedenen Wahlen ist. Denn genau dies wurde ihr aus den Reihen ihrer eingeschrumpften Partei vorgeworfen, die sich – gemeinsam mit den Gesinnungsgenossen von „Jabloko“ – schon auf einen Wahlboykott als einzig mögliche Anti-Putin-Protestform festgelegt hatte.
(ld/.rufo)
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