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Gennadii Sjuganow, KP-Vorsitzender (Foto: Sonitschew/.rufo)
Dienstag, 26.04.2005

Sjuganow: Rede für die Reichen im Lande der Armen

Moskau. KP-Chef Gennadi Sjuganow kommentiert die Botschaft Putins an die Nation: „Ausverkauf“. Die Neureichen bekamen Sündenablaß für die Vergangenheit und einen Freifahrtschein für die Zukunft.

Von Gennadi Sjuganow, Moskau. Alle wichtigen Begriffe und populären Losungen sind von der “Partei der Macht” bereits verschlissen, ramponiert und abgenutzt. Aus Furcht, die wirklichen Probleme anzusprechen, wurde der Öffentlichkeit erneut ein Sammelsurium demagogischer Übungen vorgelegt. Quintessenz: besser reich und gesund als arm und krank. Dabei hatte die jüngste Rede Putins an die Nation den Anspruch eines ideologischen Manifestes und strategischen Programms für die nächsten zehn Jahre.

Es war eine Rede an die Reichen inmitten eines Landes voller Armut.

Die vorgestellte „Ideologie“ ist allerdings bereits zum Übelwerden bekannt: Nichts als das Wiederkäuen schon fauliger Wortmasse aus der Perestroika-Jelzin-Epoche, während der die Zerstörung des Landes begonnen worden war.

Die Häufigkeit, mit der zu Anfang der Rede die Worte „Freiheit“, „Gerechtigkeit“ und „Demokratie“ fielen, ließ sofort den Verdacht aufkommen, dass alles nur ein hübscher Schleier für mehr als zweifelhafte Taten sein sollte.

Die Praxis der Putin-Reden lehrt: Je häufiger schöne Worte und Losungen erklingen, umso wahrscheinlicher werden genau entgegengesetzte Handlungen der Staatsmacht.

Es taucht die Frage auf: Auf welcher Grundlage ist in der Ansprache von einem Handlungsprogramm für die kommenden zehn Jahre die Rede? Sogar rein juristisch bleiben dem Präsidenten nur noch zwei Jahre an der Macht. Was sind zehn Minuten Gerede über den Rechtsstaat und die Achtung vor dem Gesetz wert, wenn der Präsident gleich am Anfang von einem Zehnjahresprogramm spricht und sich somit über das geltende Recht hinwegsetzt?

Allen rhetorischen Kunststücken und den Zitaten bekannter Autoren vom Beginn des 20. Jahrhunderts zum Trotz wurde offensichtlich, wie übereilt diese Rede angefertigt wurde.

Obwohl sie mit entschlossener Stimme vorgetragen und vom andressierten Beifall der „Bären-Mehrheit“ unterbrochen wurde, blieb ein Beigeschmack minderwertiger Qualität. Es war dasselbe Leid wie mit allen Putin-Auftritten: ständige Wiederholung der selben Aussagen, Durcheinander der Themen und innere Widersprüche innerhalb der Rede.

Dem einen den Kringel und dem anderen das Loch vom Kringel

„Manche kriegen den Kringel, manche das Loch vom Kringel – so geht das in der demokratischen Republik.“ Majakowski hat geradezu prophetisch Putins Programm vorhergesagt. Alles Gerede über Gerechtigkeit, Erfolg im Leben und Freiheit endete mit dem Schrei, das „Gestohlene nicht anzurühren“.

Putin erteilte eine Absolution zur Legalisierung und Vererbung dessen, was unmittelbar während seiner Herrschaft gestohlen wurde. All das wurde von Gerede darüber begleitet, die „Eigentumsrechte auf die Datscha“ zu stärken.

Faktisch wurde eine Amnestie für das kriminell erworbene, ins Ausland geschaffte Kapital ausgerufen.

Die Verkündigung weitreichender und gleicher Möglichkeiten hört sich vor dem Hintergrund dessen wie Hohn an, dass Bildung in allen Formen immer seltener kostenlos ist. Die kokette Kritik an „Reformen um der Reformen willen“ ändert daran nichts.

Putin gibt zu, dass unser Land in manchem die europäischen sozialen Standards sogar teilweise überholt hatte, als er von der größten Nation Europas spricht. Wenn man dies in eine normale Sprache übersetzt, bedeutet es nichts anderes, als dass die Sowjetmacht ein Vorbild bei der Lösung sozialer Probleme war. Nicht nur für das entwickelte Europa, sondern für die ganze Welt. Sein Mut reichte nicht dazu, dies direkt auszusprechen oder die Rolle Stalins und der Kommunistischen Partei beim Sieg im Mai 1945 zu erwähnen.

Die These klingt wie Hohn, dass das Einkommen von der Arbeitsleistung und den Fähigkeiten abhängen soll, der Erfolg aber auch von seinen sittlichen Qualitäten. Welche Arbeitsleistung soll das Maß des Einkommens sein, wenn während der Putin-Regierung die Löhne und Gehälter einen Bruchteil des in anderen Ländern Europas Üblichen liegen, die Zahl der Dollar-Milliardäre sich aber verdoppelte und ihr Vermögen dem Umfang des Staatshaushalts entspricht.

Gennadii Sjuganow, KP-Vorsitzender (Foto: Sonitschew/.rufo) Während der Herrschaft Putins ist die Kluft zwischen den reichsten und den ärmsten Bürgern noch tiefer geworden.

Das Volk ging auf die Straße, um seine sozial-ökonomischen Interessen zu schützen, als es durch das Gesetz über die Abschaffung der kostenlosen Sozialleistungen ausgeraubt wurde. Dieses Problem wurde mit keinem einzigen Wort erwähnt. So, als ob Millionen Bürger, die auf die Straße gingen, in einer Realität lebten, und die Botschaft des Präsidenten für irgendeine parallele Realität bestimmt war.

Die Behauptung, der Staat müsse nichterwerbsfähigen Bürgern helfen, sieht vor dem Hintergrund der Abschaffung von Vergünstigungen für Schwerbeschädigte, Waisen und Rentner einfach lästerlich aus.

Demagogische Ausführungen über Beamte als Kaste, die den Staatsdienst in eine Art einträgliches Geschäft verwandelt habe, fallen angesichts der Tatsache, dass Putins engste Umgebung die reichsten nationalen Monopolbetriebe leitet, besonders auf.

Die Partei der Macht verspricht aus Putins Munde, nachdem sie Lehrer, Ärzte, Soldaten und Angestellte des staatlichen Dienstes ausgeraubt hat, deren Bezüge binnen drei Jahren um 50 Prozent zu erhöhen. Und so etwas wird dann „den Schlußstrich unter alte Probleme ziehen“ genannt. Aber auch diese Gehaltserhöhung wird sie nicht über das Existenzminimum anzuheben. Das ist alles, was „der Goldregen der Öldollar“ beschert.

Recht makaber klingt Putins Bemerkung, die meisten Angestellen des Staatsdienstes würden von regionalen Behörden bezahlt. Deshalb sehen die versprochenen „Berge von Gold“, die sie von den durch die Zentrale ausgeraubten Regionen erhalten sollen, als weiterer Betrug aus.

Bei www.aktuell.RU
• Putin: Für Kapitalamnestie, gegen Korruption (25.4.2005)
• Putin-Rede: Moralpredigt gegen Vertrauensdefizit (26.4.2005)
Von der Demokratie weg - in die entgegengesetzte Richtung

Schöne Worte von der „Notwendigkeit und Wirksamkeit“ demokratischer Prozeduren“ und „der Zivilen Gesellschaft“ sind in Wahrheit wieder einmal ein Schirm, hinter dem sich zunehmende autoritäre Tendenzen verbergen. Die jüngsten Gesetze über Wahlen, Referendum und bürokratische Kontrolle politischer Parteien weisen in die genau entgegengesetzte Richtung, weil sie die letzten Möglichkeiten für den politischen Wettbewerb und freie Willensäußerung der Bürger vernichten.

Putins Versprechen, er werde erwägen, den Parlamentsfraktionen den Zutritt zum Fernsehen garantieren und das Fernsehen durch die imaginäre Gesellschaftliche Kammer kontrollieren lassen, sieht wie eine neue politische Kurpfuscherei aus. Wenn das Parlament das Fernsehen nicht kontrollieren kann, was wird da die dekorative Gesellschaftliche Kammer ausrichten können. Nachdem die Referendumsinitiative der KPRF von den kremlhörigen Fernsehkanälen praktisch totgeschwiegen wurde, ist klar, was solches Gerede wert ist.

Konsolidierung durch Zerstörung

Auch die Passage über eine Konsolidierung der Föderation nimmt sich vor dem Hintergrund der faktischen Ernennung der Gouverneure durch den Kreml als Schönfärberei aus.

Auf den ersten Blick ähnelt Putins Vorschlag, er werde einen Vertreter der stärksten Partei der Region als Kandidaten für den Gouverneursposten nominieren, einem Punkt des Programms für die „Regenerierung der Exekutive“, wie es vom ZK-Plenum der KPRF verabschiedet wurde.

Die KPRF hatte aber vorgeschlagen, die stärkste Partei der Region solle dort die Regierung ohne jegliche Genehmigung des Präsidenten bilden. Stattdessen erklärt sich Herr Putin nun großzügig bereit, unter anderen auch den Kandidaten der stärksten Partei „in Betracht zu ziehen“.

Bei näherem Hinsehen wird also klar: es ist ein weiterer Bauernfang, um die ohnehin übermäßig großen Präsidentenvollmachten, die dem Grundsatz des Föderalismus schlechthin direkt widersprechen, noch mehr auszuweiten.

Bei www.aktuell.RU
• Gorbatschow: Perestroika ist auch heute aktuell (21.04.2005)
Er eilt, den Diebstahl zu legalisieren – Programm für die Klasse der neuen Eigentümer

Nach seinen allgemeinen Erörterungen über die Gerechtigkeit und die Tragödien nach dem Zusammenbruch der UdSSR, die an die Adresse der Normalbürger gehen, formuliert Putin konkreter das Programm für die neue Klasse der Eigentümer.

Hinter dem schönen Wort von der „Liberalisierung des unternehmerischen Raumes“ eröffnet sich ein weiter Raum für die ungehemmte Privatisierung von ausnahmslos allem auf russischer Erde. Und natürlich die Legalisierung des räuberisch Privatisierten. Dabei wird freigiebig sowohl den bekannten Oligarchen Ablaß erteilt, wie auch den Schiebern, die ihre Milliarden jenseits der Grenzen unserer Heimat aufbewahren.

An sie ist das bekannte Wort gerichtet: „Kehre um – ich verzeihe dir alles.“ So ist wohl der Vorschlag zu verstehen, auf jegliche Bedingungen für die Rückkehr des Fluchtkapitals nach Russland zu verzichten, wenn 13 Prozent Einkommenssteuer bezahlt werden.

Schlicht lächerlich klingen die Aussagen über den Erwerb von Wohneigentum als Beleg für die These von der „Unantastbarkeit des Privateigentums.“ Der oft wiederholte Satz von den Garantien für Erbschaften und den Entfall der Erbschaftssteuer zeigt, dass die heutige Regierung sich darum sorgt, das System des Diebstahls im Amt für immer festzuschreiben, das sich heute entwickelt hat.

Entgegen der Praxis entwickelter Länder, wo es nicht nur eine Einkommenssteuerprogression gibt, sondern auch eine Steuer für große Vermögenswerte, veranstaltet das putinsche Russland seine „Gerechtigkeit“ auf seine eigene, nie gesehene Art.

Hinter dem Euphimismus von der „Stärkung des Zivilen Umsatzes“ verbirgt sich die Privatisierung der russischen Wälder und Gewässer. Die gerade eben in der Duma von der „Bären-Mehrheit“ freigestempelten Wald- und Wasser-Gesetzesbücher verwandeln dies Volksvermögen in einzelne Parzellen von Privateigentum.

Lösung des Bevölkerungsproblems: Einwanderung statt Geburtenpolitik

Die gewundenen Worte Putins über die Lösung der Bevölkerungsprobleme lassen sich einfach in menschliche Alltagssprache übersetzen: es wird ein Volk in „diesem Lande“ geben, aber es wird ein anderes sein.

Denn das Staatsoberhaupt machte nicht einen einzigen realistischen Vorschlag zur Erhöhung der Geburtenrate. Wie man das Ansehen für Mutterschaft und Vaterschaft anheben kann, wenn das Kindergeld 70 Rubel beträgt, das erklärte Herr Putin nicht.

Stattdessen erzählte er in allen Einzelheiten, dass den Einwanderern aus anderen Ländern auf alle nur mögliche Art der Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft erleichtert werden müsse. Um welche Einwanderer es sich dabei handelt, das wissen die Bewohner Russlands schon gut genug. Es ist eine Million Chinesen, die sich im Fernen Osten angesiedelt haben und bereits ihr „Chinatown“ in St.Petersburg bauen. Das ist die Hälfte der ehemaligen Bewohner Georgiens, Aserbeidschans und Armeniens, die erst für ihre Unabhängigkeit von Russland stimmten und dann in aller Eile in eben dieses Russland übersiedelten. Und dann gibt es noch alle möglichen „Schokoladenhäschen“ vor den Toren.

Indem er davon sprach, dass „Russland immer eine europäische Nation“ war, antwortete Putin nicht auf die Frage, was für eine Nation es sein wird. Und sehr groß ist die Frage, von welcher Nation die Rede ist – von einer russischen oder einer „russländischen“.

Indem er vom Tod arbeitsfähiger Männer durch Alkohol und gepanschten Alkohol redete, erwähnte Herr Putin noch nicht einmal, dass es eine wirklich einfache Methode gibt, die Zahl der Todesopfer zu vermindern: ein anständiges Staatsmonopol für Produktion und Vertrieb von alkoholischen Getränken zu bilden und die Wodka-Mafia zu vernichten, die das Volk mit Gepanschtem vergiftet.

Die Weigerung Herrn Putins, sozial-ökonomische Themen zu erörtern, spricht dafür, dass es keinerlei Änderungen in der von den Ultraliberalen betriebenen Wirtschaftspolitik geben wird. Das ist das Wesentliche. Alles andere ist ein verbales Tarnnetz.

Die russischen Oligarchen und Neureichen haben die Absolution für vergangene Sünden und eine Carte Blanche für die Zukunft bekommen. In erster Linie werden die Erwerbungen des putinschen Teams selbst legalisiert werden.

Was aber das eigentliche Volk Russlands und sein Wohlergehen betrifft, so hat das Staatsoberhaupt keinerlei realistischen Ideen außer der, dieses Volk durch ein anderes zu ersetzen. Darauf ist offenbar das Zehnjahresprogramm Putins ausgerichtet, der von Gesetzes wegen nur noch etwas länger als zwei Jahre regieren dürfte.

Ja, die Botschaft des Präsidenten ist ein Schritt nach vorn. Vorwärts in den Abgrund, wohin schon seit 20 Jahren Russland beharrlich gestoßen wird. Ein Schritt, um dem Volk, das zum Untergang verurteilt ist, ein Bein zu stellen.




Gennadi Andrejewitsch Sjuganow, Moskau, 26.4.2004




Gennadi Sjuganow ist Vorsitzender der Kommunistischen Partei Russlands. Dieser Kommentar zur Jahresbotschaft 2005 Wladimir Putins wurde von ihm für Russland-Aktuell geschrieben.


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