Montag, 16.05.2005
Aids in Russland: Vor allem fehlen InformationenSt. Petersburg. Der populäre Fernsehmoderator Wladimir Posner startete gestern einen Fernsehmarathon zum Thema Aids und berührte damit einen offenbar immer noch wunden Punkt der russischen Gesellschaft.
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Der Petersburger Lokalsender „Kanal 100“ eröffnete am Sonntag eine Fernsehkampagne, welche die Diskussion über Aids anregen soll ein Thema, das in Russland immer noch als Tabuzone gilt. Niemand eignet sich besser als Koordinator für solch heikle Diskussionen als der bekannte Fernsehjournalist Wladimir Posner. Als Leiter der renommierten Politsendung „Vremena“ („Zeiten“) genießt er als einer von wenigen im Fernseh-Business noch eine gewisse Narrenfreiheit, die er nun für eine landesweite Kampagne gegen Aids und Drogensucht einsetzt.
Informationsmangel bei Laien und Profis
Was die zeitlich kompakte, thematisch aber außerordentlich vielschichtige Diskussion vor den Kameras sehr bald ans Licht brachte, ist der dramatische Informationsmangel sowohl unter russischen Laien, aber auch in Fachkreisen. Das Ausmaß der Ignoranz demonstrierte ein Zuschauer mit seiner Behauptung, das HIV-Virus könne wie eine Grippe durch die Luft übertragen werden, mit der er den ganzen Saal wie auch den Moderator sichtlich schockierte. Solche Unwissenheit erklärt jedoch gleichzeitig die allgemeine Stigmatisierung und Ausgrenzung Aidskranker in Russland.
Orthodoxe Kirche offiziell nicht gegen Präservative
Anders als in katholisch geprägten Ländern scheint die Verwendung von Präservativen zur Vorbeugung in Russland kein Problem für die Kirche zu sein, wie ein anwesender orthodoxer Priester bestätigte. Stark kritisiert wurde einmal mehr der Staat, dessen Petersburger Vertreter aus der Gesundheitsbehörde mit seinem offiziösen Statement in der Tat keinen Glanzpunkt setzte: Die Finanzmittel für die Behandlung Aidskranker würden laufend erhöht, und wer Anspruch auf eine Behandlung habe, würde diese auch erhalten, meinte er wortkarg.
Engagierte Selbsthilfegruppen
Ein Teil der russischen Gesellschaft scheint jedoch sowohl genügend informiert wie auch hochgradig engagiert zu sein. So fanden sich im Studiopublikum viele Angehörige von Selbsthilfe-Organisationen, darunter die „Mütter von Drogensüchtigen“. Sie bemängelten nicht nur die knappen staatlichen Gelder, sondern auch die restriktive Zulassungspraxis bei Behandlungsprogrammen. Ehemalige Drogensüchtige würden oft gar nicht aufgenommen, kritisierten sie.
Das sei nicht wahr, setzten sich die Angeschuldigten zur Wehr und machten die Unzuverlässigkeit ihrer Patienten für den Ausschluss aus dem Programm verantwortlich: Wer sich nicht genau an die Vorgaben des Programms halte, dem könne auch nicht geholfen. Wie sehr bürokratische Hürden Hilfe verhindern können, selbst, wenn sie vorhanden ist, veranschaulichte der Anruf einer Zuschauerin, die um Hilfe für ihren aidskranken Sohn bat, der bei allen Behörden auf verschlossene Türen stößt.
„Was kann ich persönlich tun?“
Wladimir Posner, der wegen seines eigenwilligen Umgangs mit dem Publikum ebenso bekannt wie beliebt ist, nahm einerseits die Äußerungen des Publikums ernst, hielt sich selbst aber nicht mit Kritik zurück. Er könne nicht verstehen, dass Russland angesichts von Millionen Aidstoter der Krankheit mit solcher Gleichgültigkeit gegenüberstehen könne, meinte er. Das Problem müsse zu einer Angelegenheit von höchster Priorität erklärt werden - wie etwa in Brasilien, das auch ein Vielfaches der russischen Gelder dafür aufwende.
Andererseits nahm er auch die Politik der gegenseitigen Schuldzuweisungen ins Visier. „Was kann ich persönlich tun?“ mit dieser Frage appellierte er gleichzeitig an die Eigenverantwortung und die Solidarität unter der Bevölkerung.
(eva/.rufo)
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